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21. September 2010

Rocktäschel, Lutz: Vuvuzela oder Die Stimmen der Götter

Filed under: Fantasy, Horror, SciFi — Ati @ 00:10

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Vuvuzela oder die Stimmen der Götter

Von Lutz Rocktäschel

 

Verlag Pro Business

ISBN: 978-3-868-05746-1

Science fiction

Originalausgabe 2010

Taschenbuch 236 Seiten

€ 9,99 [D]

 

Zum Autor

 

Der 1961 in Cottbus geborene Autor und studierte Philosoph arbeitet als selbstständiger Trainer für Rhetorik und Konfliktmanagement sowie Handelsvertreter für Industrieprodukte. Die Menschen und technischen Errungenschaften oder Erfahrungen, die er dabei kennenlernt bzw. macht, fließen in seine Geschichten mit ein. Rocktäschel ist Mitbegründer des Autorenvereins „Kristallfeder“.

 

„Vuvuzela oder die Stimmen der Götter“ ist sein zweiter Roman. Zwei der hier auftauchenden Figuren finden sich auch in seinem Erstlingswerk „Die Stimmgabel – Berichte aus dem Wimpernschlag“. In beiden Büchern geht es um Töne, harmonische Schwingungen und Resonanzen, was angesichts der persönlichen Geschichte des Autors vielleicht nicht allzu sehr verwundert. In seinem zweiten Buch merkt er eingangs an: ‚Der Lärm der Vuvuzelas in den Fußballstadien wird von manchen als Summen eines Bienenschwarms beschrieben. Ich fühle mich auf mein Ohrenrauschen zurückgeworfen, das als lautes auf- und abschwellendes Kreischen an den Nerven zerrt. Ich wollte diesen Thriller eigentlich ‚Tinnitus‘ nennen, aber es gibt keinen Gegenstand, der besser jedem Ahnungslosen den Gehörlärm näher bringt, wie die Vuvuzela. Heute gilt das Ohrenrauschen als zivilisatorische Krankheit. In der griechisch-römischen Antike wurde den Betroffenen des Tinnitus die Fähigkeit zugeschrieben, die Stimmen der Götter oder die Melodie des Kosmos zu hören. Historische Vorbilder haben aus der Not ihres Tinnitus heraus wunderbare Musik komponiert, Bilder gemalt oder Bücher geschrieben. Ich mute meinen Lesern einen spannenden Akustik-Thriller zu, der voller Fantasie und abgedrehter Unmöglichkeiten steckt. (Autorenseite: www.energiemeer.de)

 

Zum Buch

 

Auch dieses Mal hat Rocktäschel ein schlichtes Cover gewählt. Es zeigt weiß auf schwarz die Unendlichkeit eines Spiralnebels. Was darüber hinaus auf den ersten flüchtigen Blick wie ein weiterer farbiger Nebel wirkt, stellt jedoch eine der spätestens seit der WM2010 allseits bekannte Vuvuzela dar.

 

Was verrät die Rückseite des Buches? Zitatanfang >>… Kohlpeter, ein ehemaliger Wirtschaftsagent, besucht auf Anraten seines Freundes ein international beachtetes Klangsanatorium bei Berchtesgaden. Dort will er sein Ohrenrauschen, ein furchtbares Tröten, wie von einer Vuvuzela, behandeln lassen. Ergebnis der Klangtherapie ist eine Hyper-Sensibilisierung, die es ihm ermöglicht, mit dem Tinnitus kreativ umzugehen. Auf einer nächtlichen Wanderung durch das Sanatorium hört er Stimmen und entdeckt ein experimentelles Labor zur kosmischen Fernerkundung. Der Akustik-Thriller nimmt seinen Lauf …<< Zitatende

 

Meine Meinung

 

Damit wird schon einmal recht gut wiedergegeben, was in dieser Geschichte geschieht. Auch dieses Mal bedient sich der Autor seines mir bereits aus seinem ersten Buch bekannten philosophischen Stils, was ‚Vuvuzela oder die Stimmen der Götter‘ zu einer Lektüre macht, der man seine volle Aufmerksamkeit in ruhiger Umgebung widmen sollte.

 

Es geht erneut um Klang, um Resonanzen und darum, dass wir nicht alleine im Weltraum sind. Und wieder ist das Buch eine Art Bericht. Eine Fortsetzung von „Die Stimmgabel – Berichte aus dem Wimpernschlag“? Ja und nein. Beide Bücher hängen zusammen und können doch völlig separiert voneinander gelesen werden. Und so wie ‚Vuvuzela oder Die Stimmen der Götter‘ endet, dürfen wir vermutlich davon ausgehen, dass es einen Nachfolgeband gibt.

 

Aber zunächst einmal zurück zum jetzigen Buch:

 

Hauptschauplatz der Geschichte ist die Erde. Der technische Fortschritt hat der Menschheit bereits Tragschrauber gebracht, mit denen sie sich fortbewegen können, aber das Meiste ist noch so, wie wir es aus unserem täglichen Leben kennen. Auch Krankheiten gibt es noch. Etwa Tinnitus.

 

Dieser wird unter anderem in einem Klangsanatorium behandelt. Es liegt abgeschieden im Berchtesgadener Land in einer ländlichen Idylle. Eine Journalistin will über dieses Sanatorium berichten. Dort werden ihrer Meinung nach nicht nur Patienten behandelt, sondern auch geheime Abhöroperationen durchgeführt. Sie vermutet gar, dass Patienten oder ausgewählte Agenten in eine Art Cyberborg umgewandelt werden. Damit liegt sie nur teilweise falsch. Die Journalistin trifft etwa zeitgleich in dem Sanatorium ein, wie der an Tinnitus leidende Protagonist Kohlpeter.

 

Allein die Darstellung des Sanatoriums ist futurisch unterhaltsam und bietet gleichzeitig einen Exkurs in die Beschreibung und Funktionsweise des menschlichen Ohrs und die Bedeutung des Hörens an sich. Die ersten Tage, die die Hauptfigur der Geschichte dort verbringt, sind für den Leser mit einer sehr authentisch wirkenden Schilderung eines Tinnitus-Patienten gefüllt. Der Autor weiß, wovon er schreibt.

 

Der Protagonist Kohlpeter erfüllt mit seiner Krankheit und einigen in seiner Person liegenden Besonderheiten jedoch auch die Grundvoraussetzung dafür, einer der ersten Esonauten zu sein – das sind Raumfahrer, die das Weltall und fremde Galaxien ohne Raumschiffe erkunden können. Sie erkunden alles mental, indem sie auf oder mit Resonanzwellen reisen. Die von ihnen gemachten Reisen bzw. Erfahrungen werden in einem unterirdischen Labor, welches zum Sanatorium gehört, visuell umgewandelt und können mit Daten einer herkömmlichen Weltraumexpedition mittels Sonden abgeglichen werden, um die Richtigkeit zu überprüfen.

 

Wer einmal in einem Akustik-Museum war, weiß, dass alles Töne hat, die entweder harmonisch miteinander schwingen oder sich gegenseitig abstoßen und dass diese Bewegungen visuell dargestellt werden können. Dabei entstehen faszinierende Bilder. Insoweit fand ich die Idee der mentalen Weltraumreisen schon mal spannend und die Sache mit der visuellen Umwandlung durchaus nachvollziehbar.

 

Auf diesen Reisen geht natürlich das eine oder andere schief. Zum einen, weil die Esonautik noch in den Kinderschuhen steckt, zum anderen, weil wir tatsächlich nicht allein im Weltraum zu sein scheinen. So muss Kohlpeter beispielsweise plötzlich feststellen, dass er seinen Körper und Schmerzen fühlen kann, obwohl besagter Körper ja eigentlich auf der Erde ist.

 

Doch das ahnt er noch nicht, als er, schlaflos in der Nacht sonderbaren Stimmen folgt, die ihn nicht nur in das unterirdische Labor, sondern auch zu jemandem aus seiner Vergangenheit führen, den er eigentlich nicht mehr wiedersehen wollte. Polwächter – in Rocktäschels erstem Buch einer der staatlichen Hüter zum Schutz der (Energie-)Netze – hat mittlerweile ein anderes Betätigungsfeld für sich entdeckt: die kosmische Fernerkundung. Und es gelingt ihm und den übrigen Mitarbeitern des Labors recht schnell, Kohlpeter für ihre Sache zu gewinnen. Zu groß ist seine Neugier.

 

Als Kohlpeter auf seinen Exkursionen jedoch nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit zu überwinden beginnt, gerät das Experiment außer Kontrolle. Zwei weitere Esonauten verschwinden mental spurlos, während ihre leblosen Körper auf der Erde zurückbleiben. Einer der beiden zieht die unendlichen, klangerfüllten Welten seinem geräuschüberfrachteten, irdischen Dasein vor und geht freiwillig.

 

Hier wirft der Autor die Frage auf, was passiert, wenn diese Körper vernichtet werden. Und das, obwohl sie für Esonauten die einzige Möglichkeit zu sein scheinen, wieder zur Erde zurückzukehren. Auch stellt sich beim überraschenden Ende der Geschichte die Frage, ob die Dinge, die Kohlpeter auf seinen Exkursionen gesehen und erlebt hat, tatsächlich extraterrestrischen Ursprungs sind oder ob sie lediglich gewissermaßen durch einen Zeitsprung entstanden und ganz und gar irdisch waren. Womit der Autor bei mir eindeutig die Neugier auf einen hoffentlich erscheinenden Folgeband geweckt hat.

 

Was mir in diesem Buch auch sehr gut gefallen hat, war die Intensität, mit der Rocktäschel auf die Themen Hören bzw. unseren Hörsinn und Tinnitus eingeht. Auf die Probleme, die entstehen, wenn wir nicht richtig hinhören; wenn wir nicht auf unseren Körper hören; wenn wir pausenlos von uns selbst überfordert werden. Auch wenn wir in der Lage sind, immer mehr zu hören, hören wir immer seltener zu und finden auch immer seltener Gehör. Hören fördert weit mehr Hirnaktivitäten, als beispielsweise das Sehen. Anders als Objekte, die für uns Symbolcharakter haben, müssen wir Geräusche erst interpretieren, eigene Erfahrungen daraus sammeln und Vorstellungen entwickeln, die dazu passen. Hören erzeugt quasi eine Art Kopfkino, wohingegen fertige Bilder unsere Fantasie so gut wie gar nicht fordern. Unser (gesunder) Hörsinn ermöglicht uns nicht nur Kommunikation, sondern ist der Sinn, der niemals schläft, der uns notfalls warnt. Doch unser Körper kann sich genauso wenig an Lärm gewöhnen, wie unser Gehör. Für beide ist Lärm Stress pur. Am stärksten muss dies Personen mit Tinnitus bewusst werden. Denn ihr Körper, ihr Hörsinn nimmt Geräusche noch einmal ganz anders wahr, als ‚gesunde‘ Menschen. Sperrt sie gar in eine Welt, die mit kleinen Dissonanzen beginnt und in einer Kakofonie an Geräuschen endet. Eine Welt, die ‚Gesunde‘ selten verstehen und aus der ein Entkommen unmöglich scheint.

 

Wie gut, dass Heilung über den Hörsinn ebenfalls möglich ist. Klänge, die uns nicht einmal wirklich gefallen müssen, wirken sich auf unseren Puls und die Atemfrequenz aus, regulieren den Blutdruck und beeinflussen sogar unser Immunsystem, ebenso wie unser Hormon- oder Nervensystem, weil sie auf Gehirnbereiche wirken, die wir nicht kontrollieren können. Leider können Klänge genau deshalb aber auch als Waffe eingesetzt werden.

 

Obwohl Rocktäschel explizit auf das Thema Hören eingeht, stört dies die Geschichte über kosmische Fernerkundung nicht. Im Gegenteil, sie wird dadurch verständlicher und erscheint weniger abgedreht als fantastisch. Und weckt, wie bereits erwähnt, die Lust auf einen hoffentlich kommenden Folgeband.

 

Lunden, September 2010

© Antje Jürgens (AJ)

 

 

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