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29. Januar 2012

Geisler, Bernd: Das Buch Deborah

Filed under: Krimi/Thriller,Roman — Ati @ 15:57

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Bernd Geisler: Das Buch Deborah
Gardez! Verlag
ISBN-13: 9783897962194
ISBN-10: 3897962195
Thriller
1. Auflage 10/2010
Taschenbuch, 302 Seiten
[D] 9,90


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Der 1950 in Herten geborene Bernd Geisler unterrichtet kreatives Schreiben und arbeitet als freier Autor und Journalist. Schriftstellerisch bewegt er sich im Genre Krimi/Thriller. 2005 wurde sein Der Geldwurm für den Deutschen-Kurzkrimi-Preis nominiert. Geislers 2010 veröffentlichter Roman Der geschmackvolle Tod ist nicht nur sein Debütroman, sondern auch der Auftakt einer Trilogie. Dem vor mir liegenden zweiten Band Das Buch Deborah soll der dritte Band mit dem Titel Spitze folgen.

 

Die Trilogie spielt in der Gegenwart. Hauptfiguren sind Kriminalkommissar Saupe und Deborah Goldmann, eine junge Frau, die gegen ihren Willen in das mordlastige Geschehen gezogen wird. Mit ihr mischt sich ein Hauch Mystery in die Geschichte, denn Deborah ist nicht ganz so gewöhnlich, wie man vielleicht glauben möchte. Sie kann das Ableben anderer im Voraus sehen. Es äußerst sich in einem Dröhnen in ihren Ohren, Schwindelgefühl und Blutstropfen auf der Stirn der betreffenden Person.

 

Im zweiten Band Das Buch Deborah möchte Deborah eigentlich nur einen Neuanfang in Bergisch Gladbach machen. Einen ruhigen, lebenswerten Auftakt. Dieser zweite Band bildet im Übrigen die eigentliche Vorgeschichte zu Band 1. Insoweit muss dieser nicht zwangsläufig vorab gelesen werden.

 

Im Zuge des Neuanfangs sucht die arbeitslose Brückeningenieurin auch eine neue Arbeitsstelle und eine Nachbarin möchte ihr bei der Suche helfen. Dazu kommt es allerdings nicht mehr, denn kurz darauf wird eben jene Nachbarin ermordet und zerstückelt. Deborah gerät prompt unter Mordverdacht, doch noch kann ihr niemand etwas beweisen und sie bleibt auf freiem Fuß.

 

Das ist allerdings noch längst nicht alles, was schief läuft. Deborah wird in ihrer Wohnung überfallen und muss nach einem Unfall ins Krankenhaus und gerät so ganz nebenbei in den Bannkreis einer obskuren Sekte, die in ihr so etwas wie eine Anführerin sieht. Dass die in Das Buch Deborah vorkommenden Ermordeten allesamt zu eben dieser Sekte gehören, trägt nicht gerade zu Deborahs Entlastung bei.

 

Das gezeichnete Cover mit seiner Hand, dem Buch und der gesichtslosen (statt Gesichtszügen findet sich dort eine Turmfassade) mit einem Kapuzenmantel verhüllten Gestalt, finde ich im übrigen gut gelungen. Es vermittelt allerdings nicht unbedingt den absolut stimmigen Hinweis auf den Buchinhalt.

 

Saupe versucht Deborah zu überführen, konzentriert sich völlig auf sie. Doch damit ist er bei Deborah an der falschen Adresse. Ihre innere Überzeugung sorgt dafür, dass sie sich trotz aller Vorkommnisse nicht völlig aus der Bahn werfen lässt; ihr Mundwerk dafür, dass sich ihre Versuche für Geislers LeserInnen kurzweilig gestalten. Sie bildet einen relativ sympathischen Gegenpol zu der eher miesepetrig und eigenwillig gestalteten männlichen Hauptfigur Saupe. Trotz der an und für sich brutalen Thematik sorgt Geisler für den einen oder anderen Lacher oder zumindest hochgezogenen Mundwinkel. Der Schnellhefter mit Deborahs Bewerbungsunterlagen begleitet beispielsweise die LeserInnen quer durch die Geschichte, Deborah denkt auch in der unmöglichsten Situation an ihn. Auf glaubhafte Art, denn wer schon einmal eine brenzlige Situation erlebt hat, wird vielleicht wissen, dass einem die seltsamsten Gedanken durch den Kopf schießen (das zuhause noch das Frühstücksgeschirr steht etwa, oder dass man ein Loch im Socken hat, weil man ja eigentlich nur kurz vor die Tür wollte und dachte, dass das mit dem Socken damit gerade noch geht).

 

Die Geschichte lässt sich leicht lesen. Geisler knüpft eine Szene an die andere, das Tempo ist relativ hoch. Das eigentlich grausame Geschehen kommt durch den, sagen wir mal, dunkel angehauchten Humor jedoch gar nicht so brutal heraus. Der Spannungsbogen wirkt manchmal allerdings etwas überdehnt. Das liegt auch daran, dass Deborah selbst ermittelt. Angesichts Saupes Verbohrtheit klingt das zwar zunächst durchaus logisch – irgendjemand muss sie ja entlasten. Doch wirklich schlüssig fand ich nicht alle Handlungsansätze und Überlegungen. Es geschieht einfach fast zu viel und vor allem zu schnell. Hier hätten ein paar Kapitel mehr oder der eine oder andere Ansatz weniger notgetan, um das Ganze ausführlicher zu gestalten.

 

Allerdings, wer den ersten Teil gelesen hat, wird sich daran erinnern, dass Deborah dort an Saupes Seite ermittelt. In ganz normalen Kriminalfällen, ohne Sektenhintergrund. Der im zweiten Band versuchte Neuanfang gelingt also letztlich doch, wenn auch anders als geplant.

 

Fazit:

 

Wer einen knallharten Thriller sucht, ist mit Das Buch Deborah eher schlechter bedient. Geisler spinnt eher scheinbar mühelos sein Garn als Erzähler für lange Winterabende, in denen es eben auch um Mord geht. Die sind deshalb allerdings noch lange nicht langweilig oder wenig lesenswert. Ich habe mich trotz der kleinen Schwächen gut und kurzweilig unterhalten gefühlt und möchte für Das Buch Deborah vier von fünf Punkten vergeben.

 

Copyright © 2012, Antje Jürgens (AJ)

28. Januar 2012

Wisnewski, Gerhard: Operation 9/11 – Der Wahrheit auf der Spur

Filed under: Fach- & Sachbuch,Wissen — Ati @ 18:27

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Gerhard Wisnewski: Operation 9/11: Der Wahrheit auf der Spur
Knaur Taschenbuch Verlag
ISBN-13: 9783426784365
ISBN-10: 342678436X
Sachbuch
Erschienen 08/2011
Taschenbuch, 480
[D] 12,99 €

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Es gibt Dinge im Leben, die prägen sich unauslöschlich in uns ein. Bilder, Gerüche, Worte, Töne, Gefühle. So auch am 11.09.2001. Damals unterstützte ich gerade meinen Bruder als Aufpasserin und Animateurin bei der Geburtstagsfeier meiner Nichte mit ihren Kindergartenfreunden. Irgendwann, während ich Topfschlagen mit den Kindern spielte, flüsterte mir mein Bruder ins Ohr, dass ein Turm des WTC eingestürzt war. Mein Bruder hat zugegebenermaßen einen manchmal bizarren, pechschwarzen Humor und im ersten Moment fragte ich mich, was mich im Folgenden wohl noch erwarten würde. Leider meinte er es todernst und so feierten wir zwar mit den Kleinen, allerdings mit einem überaus schlechten Gefühl. Die Folgetage schürten dieses schlechte Gefühl.

 

Nicht nur, weil die Worte Krieg und Terror plötzlich in aller Munde waren. Auch weil hier allzu schnell ein Schuldiger benannt und der Krieg erklärt wurde, während im Zuge anderer terroristischer Aktivitäten oft jahrelang erfolglos ermittelt wird. Ich bin keine Verschwörungstheoretikerin, doch das kam mir mehr als spanisch vor. Eine objektive Berichterstattung vermissten wohl die meisten nicht sofort, dafür war das Geschehen zu aufwühlend.

 

Der 1959 in Krumbach geborene Gerhard Wisnewski, der es nach eigener Aussage als seinen Auftrag ansieht, ein unbequemer Journalist zu sein, produzierte zusammen mit Willy Brunner die Sendung Aktenzeichen 11.9. ungelöst für den WDR. Im Gegensatz zu den emotionsüberfrachteten Dokumentationen, die man sonst zu sehen bekam, verfolgte er dabei einen überaus kritischen Ansatz. Während meiner (Aushilfs-)Tätigkeit in den Redaktionen Fernsehen In- und Ausland beim (damals noch) SDR, merkte einmal einer der dort arbeitenden Redakteure bitter und desillusioniert an, dass der Zuschauer keine Meinung zu haben hat, weil Meinung gemacht wird. Diese Worte waren und sind nicht völlig aus der Luft gegriffen, denn nach einer fragwürdigen Kampagne des Spiegels  und anderer Kritiker gegen ihn endete nicht nur Wisnewskis Tätigkeit für den WDR. Zudem folgte sein halboffizieller Ausschluss aus dem Journalistenverband. Warum? Weil er etwas aussprach, was man nicht aussprechen durfte? Es gab und gibt unzählige Journalisten, die alle möglichen schlecht recherchierten und aus Halbwahrheiten gesponnenen Beiträge produzieren und überraschenderweise dennoch weitaus weniger Folgen fürchten müssen.

 

Wisnewski brauchte länger als die Ermittler der Anschläge, um diverse Dinge zu präsentieren. Doch 2003 erschien bei Knaur sein Buch Operation 9/11 – Angriff auf den Globus, welches ich mir gleich nach Erscheinen besorgte und geradezu verschlang. Wie gesagt: Ich bin keine Anhängerin von abstrusen Verschwörungstheorien. Doch ich lebe in einer Welt, in der alles zusammenhängt. Was mich deshalb interessiert, ist eine Beleuchtung des Weltgeschehens aus verschiedenen Blickwinkeln. Und dies wurde mir vom Autor durch seine Recherchen geliefert. Sie betrafen nicht nur Überlegungen zu den schnellen Ermittlungserfolgen, den Filmbeiträgen (mit denen wir überschwemmt wurden) und Zeugenaussagen von ansonsten eher totgeschwiegenen Zeugen. Er zeigte logische Widersprüche auf und ging möglichen Motiven auf den Grund. Wisnewski lenkte den Blick auf relevante Fragen, allerdings deuteten die von ihm angesprochenen Kausalitäten und Folgerungen sehr schnell in Richtung einer Verschwörung. Dieses unschöne Ergebnis brachte ihm dann prompt (und nicht zum ersten Mal) den Vorwurf eines Verschwörungstheoretikers ein.

 

Unglaubwürdig wirkten seine Fragen und Mutmaßungen jedoch nicht zwingend, denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass Verschwörungen nicht nur theoretisch existieren. Zu viele Zufälle, zu viele Ungereimtheiten, zu schnelle Verlautbarungen sorgten zunehmend für Stirnrunzeln. Und die Folgen für die Welt (der schnell ausgerufene Krieg, die Aushebelung von Gesetzen) wie für ihn selbst (Kündigung, Rufschädigung, etc.) untermauerten für mich seine Aussagen. Sie lassen mich ihn weiterhin als das sehen, was er ist: ein investigativer Journalist, der sich glücklicherweise nicht so schnell unterkriegen lässt.

 

10 Jahre nach den Anschlägen erinnerten sowohl die Printmedien als auch Film und Fernsehen an die damaligen Geschehnisse. Und wieder konnte man feststellen, dass im Gros der Blick eher auf emotionsgeschüttelte, tränenüberströmte Angehörige oder Beteiligte geschwenkt wurde, als auf tatsächlich nach wie vor nicht zufriedenstellend aufgeklärte Widersprüche. Dass die Ereignisse damals schrecklich waren, steht außer Frage. Dass Emotionen mit ihnen verbunden sind ebenfalls. Doch gerade deshalb tut Aufklärung not.

 

KNAUR veröffentlichte dankenswerterweise 2011 eine völlig überarbeitete Fassung von Operation 9/11 mit dem Untertitel Der Wahrheit auf der Spur. Genau wie das erste Buch sorgte auch dieses neben einigem Lob und Anerkennung für Aufruhr und Vorwürfe. Und für Magendrücken, weil die bereits früher gezogenen Rückschlüsse sich nicht nur bestätigen, sondern nach wie vor nichts von ihrer bestürzenden Aussagekraft verloren haben.

 

Die Überarbeitung bietet keinen flachen Aufguss, sondern abermals viele gut ermittelte Fakten und daraus resultierende Überlegungen. So geht Wisnewski etwa darauf ein, dass die oft vorgespielten Telefonmitschnitte von Bordtelefonen Lügen gestraft wurden, weil es in dem Flugzeugtyp der betreffenden Maschine gar keine gab. Oder fragt nach, warum der offizielle Schuldige Bin Laden sich trotz der Anschläge anscheinend seltsamerweise nicht auf der offiziellen Liste der Top-Terroristen der amerikanischen Regierung befunden hat. Er setzt fragmentierte Erkenntnisse puzzlegleich zusammen und verfestigt seine damals gefundenen, teils harsch angeprangerten, logischen Widersprüche. Ein weiteres Mal konfrontiert er die tatsächlichen Ungereimtheiten mit den offiziellen Wahrheiten und lässt Letztere schlecht aussehen. Ein weiteres Mal streitet er nicht den terroristischen Angriff an sich ab, sondern hinterfragt differenziert die damit verbundene Suggestion bezüglich vermeintlicher Hintermänner und Hintergründe. Oder die Verschleierung der tatsächlichen Strippenzieher und ihre Motive.

 

Seine Überlegungen sind abermals flüssig leicht zu lesen. Seine Argumentationskette reißt nicht ab. Wisnewski langweilt nicht mit dem, was er herausgefunden hat, sondern verursacht erneut Schluckbeschwerden. Die Flut der zusätzlichen Informationen und die daraus resultierenden Fragen und Schlüsse regen zum Nachdenken an. Sie erschüttern das Weltbild noch ein wenig mehr – zumindest all derer, die kritische Fragen zulassen.

 

Fazit:

 

Wie sagte mein Kollege damals so bitter und desillusioniert? „Der Zuschauer hat keine Meinung zu haben, weil Meinung gemacht wird“. Wer die Berichterstattung bestimmter Ereignisse aufmerksam verfolgt (nicht nur die vom 11. September) merkt sehr schnell, dass da etwas daran ist. Wir leben in einer globalen Welt. Es soll uns interessieren, was etwa in Afghanistan passiert. Gleichzeitig sollen wir anscheinend die Augen vor allzu kritischen Fragen verschließen. Wer sich dieser Denkweise anpassen kann und möchte, sollte die Finger von dem Buch lassen. Alle anderen, die über den Tellerrand hinausschauen und differenzierte Zweifel erlauben, kann ich es jedoch empfehlen. Operation 9/11, egal ob die 2003er-Ausgabe mit dem Untertitel Angriff auf den Globus oder die 2011er-Ausgabe mit dem Untertitel Der Wahrheit auf der Spur, erschüttert. Macht Angst und wütend. Nicht nur weil es deutlich macht, wie leicht man manipuliert werden kann, sondern auch angesichts des Umstandes, dass die Manipulatoren keine allzugroßen Strafen befürchten müssen.

 

Copyright © 2012, Antje Jürgens (AJ)

21. Januar 2012

Von Aster, Christian: Armageddon TV

Filed under: Dystopie/Endzeit,Fantasy, Horror, SciFi,Roman — Ati @ 14:17

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Christian von Aster: Armageddon TV

periplaneta
ISBN13:
9783940767721
ISBN10:
3940767727
Science-Fiction, Dystopie
2. Auflage 03/2011
Taschenbuch, 216 Seiten
[D] 13,00 €

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Ein Blick auf seine Homepage verrät, dass sich der 1973 geborene Autor Christian von Aster als Genregrenzensaboteur und Wortartisten und in gewisser Weise auch als trotzig beschreibt. Von Aster studierte Germanistik und Kunst, schreibt Drehbücher (ohne Hoffnung auf die filmische Umsetzung hierzulande, aber es gibt ja auch die Bühne), Kurzgeschichten, Erzählungen und Romane. Nebenbei führt er auch schon mal Regie bei Hörspielen oder Kurzfilmen. Letztere wurden genau wie diverse Kurzgeschichten bereits mit Preisen bedacht. Seine Lesungen sind wegen ihrer Inszenierungen nicht nur Anhängern der Fantasy- oder Gothic-Szene ein Begriff.

 

Mein SuB, der seit 2011 irgendwie mit Hefeteig verwandt zu sein scheint, wenn ich die Ausmaße bedenke, die er mittlerweile angenommen hat, unterteilt sich in verschiedenen Kategorien. Die eine beinhaltet Bücher, die nur kurz darauf abgelegt und dann gelesen werden. Eine zweite solche, die quasi auf den richtigen Lesetag warten, weil sie mich nicht 100%ig ansprechen. In der dritten landen dann jene, die ich über mehrere Tage verteilt lesen muss, weil eventuelle Schockmomente und Gewaltszenen oder bisweilen ermüdende Erklärungen zu sehr ausufern. Es gibt noch eine vierte, die Bücher beinhaltet, die ich unbedingt noch einmal lesen muss. Dann gibt es noch jene Bücher, die es irgendwie schaffen, sich aus all diesen Bereichen meines SuBs herauszumogeln, hin und her zu wandern, oder – schlimmer noch – womöglich hinter den SuB und damit das Regal rutschen.

 

Eins dieser Bücher ist Armageddon TV von Christian van Aster, dessen zweite überarbeitete Auflage bereits im März 2011 von periplaneta herausgegeben wurde (die Originalausgabe erschien bereits 2004 im Eigenverlag). Ich kann mich noch dunkel erinnern, dass es sich anfangs in der zweiten oder dritten Kategorie befand. Jedenfalls habe ich es gestern zufällig wiederentdeckt und siehe da, es war der richtige Lesetag dafür.

 

Bevor ich damit angefangen konnte, sprach mich jemand auf meinen in seinen Augen abartig hohen Bücherkonsum an. Ich habe etwas in der Art erwidert, dass ich kein Fernsehgerät besitze, worauf ich zu hören bekam, dass das ja noch abartiger sei. Meine Erwiderung, dass angesichts des Fernsehprogramms quer durch alle Sender die Frage nach eventuellen Abartigkeiten vielleicht neu überdacht werden müsse, wurde achselzuckend abgetan.

 

Auch ohne Fernseher kann man sich bedauerlicherweise Sendungen nicht gänzlich verschließen, die davon leben, andere lächerlich zu machen oder sie zu absonderlich anmutenden Taten anzustacheln. Ich war völlig geschockt, als ich mitbekommen habe, wer sich für so ‚hochgeistige‘ Sendeformate wie Big Brother oder das Dschungel-Camp  oder diverse Casting-Dauerbrenner begeistert. Kein Wunder, dass Kinder und jugendliche heutzutage in Gruppen über (in ihren Augen) Schwächere herfallen, lernen sie in solchen Sendungen doch schon recht früh, wie angebliche Vorbilder sich Aasgeier-ähnlich verhalten und um der Einschaltquoten willen auf dafür prädestinierte Opfer einhacken. Wo das Selbstwertgefühl herkommen soll, wenn sie so mitbekommen, wie sehr manche Leute bereit sind, sich für wenige Momente im Rampenlicht zu erniedrigen, ist mir schleierhaft. Viele Erwachsene sind auch nicht besser und zwar nicht nur, weil sie die teils mehr als ätzenden Bemerkungen mancher 5-Minuten-Berühmtheiten oder Jury-Mitglieder cool finden, auch weil sie mit teils infantiler Begeisterung nacheifern, was sie sehen oder hören. Ich gebe gerne zu, dass meiner Lesewut nicht nur hochgeistige Literatur oder wissenschaftliche Abhandlungen zum Opfer fallen, aber ich lese lieber auch noch den trivialsten Heftroman und lasse mich notfalls auch als abartig titulieren, bevor ich mir so etwas antue.

 

Warum ich das schreibe? Nun, in Armageddon TV geht es nicht um Außerirdische, wie der eine oder andere jetzt vielleicht angesichts des Genres vermutet. Die Geschichte spielt ganz normal hier auf der Erde, handelt von ganz normalen Menschen (meiner Ansicht zwar nicht unbedingt geistig normal, sondern einfach der Spezies Mensch angehörend). Und irgendwie von dem, was ich gerade erwähnt habe. Von Aster bietet seinen LeserInnen eine Lektüre, die pechschwarz satirisch für Schluckbeschwerden sorgt. Einen dystopischen Einblick in eine Fernsehlandschaft, die die oben erwähnten Sendeformate noch weiter pervertiert.

 

Überaus gewinnbringend vermarktet das Medienimperium POE-Network eine Sendung, für die sie Sportler anwirbt. Klingt jetzt erst mal harmlos, ist es jedoch nicht. Neben dem Imperium selbst, verdienen sich Pharmaindustrie und Marketingunternehmen eine goldene Nase, nicht zu vergessen die Rüstungsindustrie. Ihre Produkte werden publikumswirksam bei Wettkämpfen eingesetzt, in der die Sportler eigentlich nur die gegnerische Fahne erobern müssen. Da dabei jedoch nicht mit Platzpatronen geschossen wird und sogar Panzer zum Einsatz kommen, werden die Zuschauer blutig unterhalten und Verluste kühl mit einkalkuliert. Moral war gestern, heute kann man bei Armageddon TV Chips knabbernd vom Sofa aus verfolgen, wie die um ihr Überleben kämpfenden Sportidole weggeputzt werden.

 

Und ähnlich wie bei Unfällen, werden die Blicke unwillkürlich auf bestimmte Dinge gelenkt. Man fühlt sich geschockt, angewidert (etwa vom Sendeformat im Buch) und gleichzeitig ist alles so schrecklich, dass man kaum wegsehen geschweige denn nicht weiterlesen kann.

 

Fazit:

 

Bleibt zu hoffen, dass die bitterböse, medienkritische Vision des Autors nicht irgendwann Nachahmer findet. Wirkliche Unterhaltung sieht irgendwie anders aus. Denn auch wenn van Aster alles gleichermaßen zielsicher, bitterböse und überspitzt darstellt, zeigt die Realität, dass wir grundsätzlich gar nicht so weit entfernt davon sind. Während ich las, dachte ich beständig an die vorab genannten Sendungen, in denen nicht nur von Senderseite um der der Einschaltquote willen, sondern auch von Teilnehmerseite um des Geldes willen so vieles getan wird, was der gesunde Menschenverstand nicht begreifen will. Die Manipulationsfähigkeit mancher Leute trägt sich nur, wenn andere sich manipulieren lassen. Beide Seiten beleuchtet von Aster in seinem dystopischen Roman, mal lenkt er den Fokus auf die Sportler, mal auf die Strippenzieher hinter den Kulissen. Dabei hält er die vordergründig brutalen Beschreibungen der blutigen Wettkämpfe auf einem relativ erträglichen Maß. Er streut Intrigen und Machtspielchen ein, steuert auf den Schlusskampf im Armageddon Dome zu. Das alles nicht unbedingt in einem rasanten Tempo, aber trotzdem schockierend. Ich möchte Armageddon TV vier von fünf Punkten geben und kann es allen ans Herz legen, die Geschichten mögen, die sich etwas abseits des Mainstream-Geschmacks tummeln.

 

Copyright © 2012, Antje Jürgens (AJ)


8. Januar 2012

Donck, Carel: Nur noch ein einziges Mal

Filed under: Belletristik,Roman — Ati @ 11:34

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Carel Donck: Nur noch ein einziges Mal

 

Originaltitel De Nachtmoerder

aus dem Niederländischen übersetzt von Rosemarie Still
Knaur

ISBN 9783426505595

ISBN 3426505592

Belletristik

Deutsche Erstausgabe 2011

Umschlaggestaltung ZERO Werbeagentur, München

Taschenbuch, 205 Seiten

[D] Preis 8,99 €

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Der 1946 geborene und in Amsterdam lebende Carel Donck war Kennern der Szene bisher eher durch Drehbücher für Film und Fernsehen ein Begriff. Mit seinem ersten Roman „Nur noch ein einziges Mal“ betritt er also quasi nicht nur Neuland, sondern wagt sich auch gleichzeitig an ein Thema heran, dass viele Menschen seit ewigen Zeiten beschäftigt und wohl auch noch einige Zeit beschäftigen wird.

 

Was passiert, wenn wir sterben? Mit denen die wir zurücklassen, aber auch mit uns? Lösen wir uns einfach auf, verpufft unsere Existenz ohne Nachhall? Oder betreten wir eine andere Ebene? Wenn ja, werden wir die, die wir zurücklassen wiedersehen? Wenn es mehr als unser irdisches Leben gibt, wäre es dann nicht wundervoll, wenn wir unsere Lieben wenigstens ab und an etwas lenken könnten? Oder würde es für zu viel Chaos sorgen? Aber beobachten wäre doch auch schon etwas, oder?

 

In Doncks Debütroman bekommt die Protagonistin Laura diese Chance. Als sie bei einem Unfall getötet wird, findet sie sich nach ihrem Wiedererwachen in einer Art Zwischenwelt wieder. Lange Flure, kleine Zimmerchen und riesige Säle in unendlicher Fortsetzung. Die Einrichtung im Gesamten eher spartanisch.

 

Wer jetzt glaubt, dass Laura als eine Art Engel oder in anderer Gestalt wieder auf die Erde darf, weil sie etwa zu früh gestorben ist, irrt. An ihrem Tod oder am Zeitpunkt ihres Todes besteht kein Zweifel. Und Doncks Vorstellung vom Jenseits ist dann nicht nur räumlich betrachtet ganz anders, als man es gemeinhin zu lesen bekommt.

 

Laura ist zum einen zunächst zum puren Zusehen verdammt. Erst nach einiger Zeit gelingt es ihr, über Träume Kontakt mit ihrem Sohn und später auch zu ihrer Tochter aufzunehmen. Bis dahin verfolgt sie in einem kleinen Zimmerchen, das ihr zugewiesen wird, geradezu süchtig, was die „Mitarbeiter“ der Zwischenwelt seit ihrem Tod akribisch aufgezeichnet haben. Doch sie kann auch live den Alltag ihrer zurückgebliebenen Familie am Bildschirm verfolgen. Sie kann beobachten, wie schwer sich ihr Sohn Mark mit ihrem Tod tut. Findet heraus, dass ihr Mann sie vor ihrem Tod betrogen hat und mittlerweile mit ihrer gemeinsamen Freundin lebt. Und weil mit dem Tod nicht alle Emotionen verpuffen, freut sich Laura zunächst einmal, als sie begreift, dass Silvia mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, bei dem Versuch von den Kindern akzeptiert zu werden. Spätestens als sie über die Träume Einfluss auf ihre Kinder nehmen kann, setzt Laura alles daran, Silvia das Leben so schwer wie möglich zu machen, ohne zunächst zu begreifen, was sie ihren Kindern damit antut.

 

Daneben gibt es aber auch noch Lauras Dasein in der Zwischenwelt. Donck zeichnet wie bereits erwähnt ein etwas anderes Bild. Es ist sehr still dort, obwohl ganze Säle voller Menschen sind. Monotonie bestimmt den Alltag. Keine bekannten Gesichter begegnen Laura, eine Unterhaltung ist nur den wenigsten möglich. Mit ihr spricht allenfalls der für sie zuständige Mitarbeiter der Zwischenwelt. Die Blicke der Menschen sind leer und niemand – außer einem Mädchen – scheint Laura wirklich wahrzunehmen. Sie fühlt sich einsam, verraten und ohnmächtig. Vor allem, nachdem ausgerechnet das eben erwähnte Mädchen ihr einen Ort zeigt, der in die Unendlichkeit zu führen scheint und sich dann fast unmittelbar danach zu diesem Ort aufmacht.

 

Doncks in Gegenwartsform geschriebener Debütroman lässt sich leicht lesen. Man taucht bereits anfangs in eine sehr dramatische und emotionsgeladene Atmosphäre ein. Die Wechsel zwischen den Erlebnissen in der Zwischenwelt und Lauras Beobachtungen ihrer Familie sind sehr fließend und überaus gut gelungen. Und obwohl Donck den Hauptteil der Geschichte von Laura selbst erzählen lässt und ihr Tod eindeutig das Hauptthema ist, bleibt dem Leser doch das nahezu zum Scheitern verurteilte Bemühen Silvias nicht verborgen, die verzweifelt versucht, den Kindern eine gute Mutter und dem Ehemann eine gute Frau zu sein. Ebenfalls sehr ausführlich geht Donck auf Lauras Sohn Mark ein, der sehr unter dem Tod seiner Mutter leidet. Die Elemente des Schmerzes und der Trauer werden sehr einfühlsam übertragen.

 

Ohne sich in ausführlichen Charakterbeschreibungen zu ergehen, schafft es Donck, die Welt der Lebenden und ihre Handlungsweise nachvollziehbar lebensecht darzustellen. Demgegenüber stehen die Figuren der Zwischenwelt, die zwar ebenfalls klar gezeichnet, aber durch ihr Verhalten eher vage verschwommen daherkommen und – bis auf das Mädchen –  keine große Rolle in dem Geschehen zu spielen scheinen.

 

Die eigentliche Grundthematik, die in vielen Büchern verkitscht herüberkommt, wird von dem niederländischen Autor rührend aber nicht rührselig dargestellt. Kleine dramatische Szenen reihen sich aneinander, ohne durch melodramatische Elemente verdorben zu werden. Donck lässt seine Leser an einem kurzweilig zu lesenden aber keinesfalls flüchtigen Entwicklungsprozess seiner Hauptfigur teilnehmen. Lässt ihn miterleben, wie Laura Akzeptanz und Abschied lernen muss. Aber auch Liebe erkennen kann und dass eine vermeintliche Feindin auch zu einer Verbündeten werden kann, wenn es um die Kinder geht. Dass die Figuren in der Zwischenwelt dann doch eine größere Rolle spielen, als zunächst angenommen, zeigt sich spätestens an Lauras Entwicklungsprozess gegen Ende des Buches.

 

Was zunächst tröstlich erscheint – nach dem Tod den Kontakt zu denen, die wir lieben, nicht völlig zu verlieren – offenbart sich in Doncks Version vom Leben danach als zunehmend trostloser, da er Laura größtenteils zur stillen und unsichtbaren Beobachterin verdammt.  Dennoch erlebt Laura Glücksmomente und das hebt – obwohl das Buch nicht fröhlich ist – die Grundstimmung deutlich. Dazu gehören die Begegnungen mit dem jungen Mädchen ebenso wie die Momente, in denen sie mit ihren Kindern Kontakt aufnehmen kann. Trotz des traurigen Schlusses fühlt man sich versöhnt und in gewisser Weise auch getröstet.

 

Fazit:

 

Doncks Debütroman fesselt unweigerlich. Er ist für mich kein Buch, dass man mal eben so nebenbei liest und dann einfach und schnell wieder vergisst. Zum einen, weil seine Vorstellung vom Leben danach etwas erschreckend trostloses beinhaltet. Zum anderen und vor allem aber, weil er emotional fesselt. Kein Mainstreambuch, aber eines, das man lesen sollte und für das ich fünf von fünf Punkten vergeben möchte.

 

Copyright © 2011 by Antje Jürgens (AJ)

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