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10. Januar 2013

STREIDL, BARBARA: KANN ICH GLEICH ZURÜCKRUFEN? Der alltägliche Wahnsinn einer berufstätigen Mutter

Filed under: Fach- & Sachbuch,Feminismus,Gesellschaft/Politik — Ati @ 15:13

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blanvalet
ISBN-13: 9783442379378
ISBN-10: 3442379377
Nonfiction
1. Auflage 06/2012
Taschenbuch, 256 Seiten
[D] 8,99 €

Verlagsseite

 

Die 1972 in München geborene und heute dort lebende Barbara Streidl beschäftigt sich nicht nur als Gründerin und auf ihrem Blog www.fraulila.de mit dem Thema Feminismus. Bereits 2008 wurden sie und die Mitbetreiber des Webblogs maedchenmannschaft.net mit dem Preis Best German Blog ausgezeichnet. Streidl studierte Germanistik und Komparatistik, arbeitet als Musikerin, Journalistin und Autorin. Aus ihrer Feder stammen die bei blanvalet erschienenen Bücher Wir Alphamädchen – Warum Feminismus das Leben schöner macht und das gerade vor mir liegende KANN ICH GLEICH ZURÜCKRUFEN? Der alltägliche Wahnsinn einer berufstätigen Mutter.

Beide Bücher würde ich, da mir kein anderes Genre dazu einfällt, in die Kategorie Nonfiction sortieren, obwohl Streidl ihre LeserInnen in KANN ICH GLEICH ZURÜCKRUFEN? Der alltägliche Wahnsinn einer berufstätigen Mutter an acht Tagen aus dem Leben einer fiktiven Mutter, aktuell und von eben dieser Mutter selbst erzählt, teilnehmen lässt.

Das Cover, soviel gleich vorab, vermittelte mir einen etwas falschen Eindruck. Das gelbe Piktogramm einer weiblichen Gestalt, der der Kopf zu summen scheint, mit klingelndem Handy in der einen und einem Kinderwagen an der anderen Hand, scheint zusammen mit dem Titel zunächst auf einen heiteren Roman für Frauen hinzudeuten. Auch die Inhaltsangabe erweckt, flüchtig gelesen, diesen Eindruck. Die gewählte Farbe (Dunkelmagenta) für den Bucheinband an sich verstärkte dann meine heiter-fröhliche Erwartungshaltung an das Buch zusätzlich. Lediglich ein Satz von Andrea Nahles, in dem Sie das Buch als leidenschaftliches Plädoyer für eine Arbeitswelt bezeichnet, in der man sich nicht für seine Kinder entschuldigen muss, weckte in mir den Verdacht, dass es sich dann doch um etwas anderes handeln könnte.

Und tatsächlich las ich dann eine eher sachlich-ernste Schilderung von acht Tagen im Leben einer jungen Frau. Sie ist verheiratet mit einem verständnisvollen und so erfolgreichen Mann, dass sie gar nicht arbeiten muss. Sie haben ein gemeinsames Kind. Besagtes Kind geht in die Kita. Es gibt eine Oma, die ebenfalls darauf aufpasst. Es gibt eine Putzfrau, die im Haushalt hilft. Es gibt Elternzeit, Elterngeld sowie Kindergeld. Eigentlich alles also, um glücklich zu sein. Wenn da nicht das wäre, wovon jede Mutter ein Lied singen kann – und zwar nicht nur die Berufstätigen, wobei die natürlich eventuell in verschärfter Form. Ständiger Druck bestimmt den Alltag der jungen Frau, die gerne arbeitet und so schnell wie möglich in ihren Beruf zurückgekehrt ist, um den Anschluss nicht zu verlieren. Dieser Druck wird von der Angst zu versagen ausgelöst. Nicht nur weil das Muttersein beim ersten Kind eben noch neu ist, auch weil das Organisationstalent permanent auf die Probe gestellt wird, wenig zeitlicher Spielraum bleibt und die Schere zwischen Plan und Realität bisweilen zu sehr auseinanderklafft. Der Druck wird auch ausgelöst durch Wut und schlechtes Gewissen. Gegenüber dem Kind (weil es da ist?), dem Arbeitgeber, den Kollegen, dem Mann, der Oma, den Kita-Angestellten (weil sie sich von allen irgendwo, irgendwie, irgendwann im Stich gelassen oder angegriffen fühlt?) Das eine bedingt das andere und umgekehrt. Ganz kritisch wird es, als die Oma von heute auf morgen aus gesundheitsbedingten Gründen ausfällt und selbst zu einem Problem wird.

Diese Probleme haben sich – mal Hand aufs Herz – nicht allzu sehr geändert in den letzten Jahren. Kindererziehung und Pflege von Angehörigen ist etwas, das nach wie vor eher Frauen als Männer stemmen. Wer aus einer wirtschaftlich sicheren Situation als Mutter arbeiten geht, wird auch heutzutage noch schnell als karrieregeil und eigensüchtig verschrien. Die Mütter, die aus wirtschaftlicher Not heraus berufstätig sind, müssen einfach funktionieren und froh um ihren Arbeitsplatz sein. Kita, Kindergeld, Elterngeld, Erziehungsurlaub, Arbeitsplatzgarantie – all das haben die Mütter vor einigen Jahrzehnten nicht oder kaum gekannt und in Anspruch nehmen können. Trotzdem ist mit Einführung all dieser wunderbaren Errungenschaften das Leben für sie nicht zwingend leichter geworden, weil die Ansprüche gestiegen sind. Die Bildungschancen und Karrieremöglichkeiten der Frauen haben sich verbessert, in der beruflichen Perspektive werden Kinder jedoch immer noch als eine Art Hemmschuh betrachtet. Gleichzeitig verschärfen sich unabhängig davon die Bedingungen wieder. Wenn man etwa die brandaktuelle Entwicklung im Rentenbereich betrachtet, scheint es für alle künftigen Rentenempfängerinnen eindeutig ratsam, schnell wieder ins Arbeitsleben einzusteigen.

Streidl lässt ihr fiktives Elternpaar über diese Probleme diskutieren, bindet dabei die Ergebnisse diverser Studien ein. Die beiden kritisieren zusammen oder getrennt arbeitspolitische Fragen (von der eigenen Tätigkeit, im Bezug auf ihre eigene Putzfrau oder anlässlich der unterbezahlten Erzieherinnen in der Kita ihres Sohnes), führen mehr oder weniger konstruktive Gespräche. Spätestens hier wird unabhängig von den ständigen Beteuerungen (gar nicht arbeiten zu müssen) der erzählenden Hauptfigur klar, dass Streidls Hauptfigur keineswegs für alle berufstätigen Mütter steht, sondern eher gut gebildete, finanziell abgesicherte Mütter in stabilen sozialen Verhältnissen betrifft.

Mehr als eine (reale) Mutter wird sich in Streidls fiktiver Gestalt und den auf acht Tagen komprimierten Erlebnissen und Emotionen wiedererkennen. Bedauerlicherweise wird keine von ihnen einen ungefähren Lösungsansatz für die breit gefächerten, gut recherchierten aber sehr trocken dargestellte Problemstellungen finden. Obwohl die innere Zerrissenheit der Hauptfigur sehr gut dargestellt fand und diese auch durchaus sich durchaus selbstkritisch betrachtet, empfand ich sie zeitgleich fast bis zum Schluss als jemand, der auf hohem Niveau zu jammern gelernt hat.

Mit der beschriebenen Erkrankung der Oma und den daraus resultierenden Folgen deutet sich letztlich ein Wechsel an. Erst danach wird der jungen Mutter scheinbar bewusst, dass der meiste Druck von ihr selbst erzeugt wird und nur sie etwas ändern kann. Gleichzeitig deutet genau dieser Wechsel aber auch an, dass sie in gewisser Weise resigniert und sich den gesellschaftlichen Strukturen unterwirft, indem sie zurücksteckt. Das empfindet sie glücklicher- und sympathischerweise nicht als Verlust oder Versagen. Doch auch wenn mich das mit dem übrigen Buchinhalt an sich irgendwie versöhnt, frage ich mich doch unwillkürlich, was eine Autorin wie Streidl, die sich vorwiegend mit Feminismus beschäftigt, damit ausdrücken möchte.

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Mit KANN ICH GLEICH ZURÜCKRUFEN? Der alltägliche Wahnsinn einer berufstätigen Mutter bietet Streidl einen Einblick in den täglichen Spagat zwischen Wollen und Können, zwischen Müssen und Dürfen. Kind und Karriere, beides ist auch heute noch schwer vereinbar. Eine romanähnliche gehaltene Darstellung dieser Thematik offenbar auch, denn die eher trocken-analytische Beschreibung Streidls hebelt eben diesen Versuch aus. Insgesamt frage ich mich nach Beendigung des Buches nach der eigentlichen Intention der Autorin, bietet sie doch nur eine Auflistung von gleichermaßen bekannten wie gesellschaftlich gerne ignorierten Problemen ohne Lösungsmodelle oder auch nur andeutungsweise Lösungsansätze. Trotz der guten und kritischen Recherche möchte ich deshalb nur drei von fünf Punkten dafür vergeben.

Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)

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