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3. Mai 2012

Ness, Patrick nach einer Idee von Siobhan Dowd: Sieben Minuten nach Mitternacht

Filed under: Jugendbuch,Roman,Tod/Trauer,Tod/Trauer — Ati @ 15:38

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Patrick Ness nach einer Idee von Siobhan Dowd: Sieben Minuten nach Mitternacht


Originaltitel: A monster calls
Aus dem Englischen übersetzt von
Bettina Abarbanell
Goldmann Verlag
ISBN-13:
9783442312801
ISBN-10:
3442312809
Jugendbuch (ab 12 Jahre)
1. Auflage 2011
Illustration:
Jim Kay
Hardcover mit Schutzumschlag, 216 Seiten
[D] 16,99 €

Verlagsseite
Autorenseite
(englisch)

 

Die 1960 geborene irisch-britische Autorin Siobhan Dowd verstarb 2007 nach dreijähriger Krankheit an Brustkrebs. Dowd kam erst spät zum Schreiben. Ihre drei zu Lebzeiten veröffentlichen Romane (A swift pure cry/Ein reiner Schrei, The London Eye Mystery/ Der Junge, der sich in Luft auflöste und Bog Child/Anfang und Ende allen Kummers ist dieser Ort) wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Solace of the Road/Auf der anderen Seite des Meeres konnte erst nach ihrem Tod veröffentlicht werden. Doch der Roman war genauso lebendig und packend wie seine Vorgänger. Ihr fünftes Werk konnte sie nicht mehr vollenden. Doch es gab bereits ein detailliertes Exposé, einen Anfang, die Figuren. Aus diesem Romanfragmenten schuf dann der 1971 geborene US-amerikanische Autor Patrick Ness A monster calls, dessen deutsche Übersetzung Sieben Minuten nach Mitternacht mit wunderbaren Illustrationen von Jim Kay gerade vor mir liegt.

 

Mit diesem Buch gelang ihm – posthum, und obwohl er nie persönlich auf Dowd traf – eine wundervolle Gemeinschaftsarbeit. Der Roman passt nicht nur zu Dowds Schreibstil, ist also ebenfalls aufrüttelnd, lebendig, einfühlsam und berührend geschrieben. Er ist darüber hinaus ein würdiger Abschluss der Idee der wunderbaren, viel zu früh verstorbenen Autorin. Ness, der bisher mit seinen ebenfalls preisgekrönten SF-Romanen für Jugendliche von sich reden machte, überzeugt mit diesem Roman und erhielt sowohl die Carnegie Medal wie auch den Deutschen Jugendliteraturpreis.

 

In Sieben Minuten nach Mitternacht geht es um Conor. Die Mutter des 13Jährigen unterzieht sich gerade erneut einer Krebsbehandlung, doch es ist abzusehen, dass sie den Kampf gegen ihre Krankheit nicht gewinnen kann. Sein Vater lebt in Amerika, hat eine neue Familie gegründet.

 

Gleich eingangs wird klar, wie schwach Conors Mutter bereits ist. Und wie schwer die Situation für Conor sein muss, der ihren sukzessiven Verfall aus nächster Nähe miterlebt. Er liebt seine Mutter über alles und möchte sie nicht verlieren. Deshalb klammert er sich verständlicherweise an die kleinsten Strohhalme der Hoffnung, redet sich selbst gut zu und vieles schön. Da er jedoch weiß, wie sehr seine Mutter sich quälen muss, fühlt er sich schuldig, weil er sie nicht loslassen kann. Unbewusst ist ihm längst klar, dass der Kampf verloren ist. Bewusst lässt er dieses Denken jedoch nicht zu und fühlt sich noch schuldiger, wenn er sich und ihr wünscht, dass sie endlich sterben darf.

 

Der Kummer, der ihn erfüllt, während er hilflos beobachten muss, wie seine Mutter von Tag zu Tag schwächer wird und das Wissen um den baldigen Verlust nehmen ihm den Atem. Tagsüber wird er immer unberechenbarer, worauf jedoch niemand strafend reagiert, wie er sich das eigentlich wünscht. Alle nehmen Rücksicht auf ihn. Nur in seinen Träumen nimmt der Tod seiner Mutter – seine größte Angst, der gleichzeitig auch sein größter Wunsch ist – Gestalt an. Dann entgleitet sie ihm. Stürzt ab, weil er sie nicht mehr halten kann. Dieser monströse Albtraum lässt ihn Nacht für Nacht panisch und schweißgebadet Sieben Minuten nach Mitternacht hochschrecken. Er kann sich niemandem anvertrauen. Und dann nimmt ein ganz anderes Monster Gestalt an und drängt in sein Leben. Eine Eibe vom Friedhof verwandelt sich um Sieben Minuten nach Mitternacht.

 

„Wer ich bin?“, wiederholte das Monster, immer noch brüllend. „Ich bin das Rückgrat, auf dem die Berge ruhen! Ich bin die Tränen, die die Flüsse weinen! Ich bin die Lunge, die den Wind atmet! … Es sah Conor direkt in die Augen. „Ich bin die wilde Erde selbst, und ich bin deinetwegen hier, Conor O´Malley.“

 

So schrecklich das Monster auch ist, Conor fürchtet sich nicht vor ihm. Es erzählt ihm drei Geschichten und will dann als vierte Conors Wahrheit von ihm hören. Eine Wahrheit die Conor schmerzt und LeserInnen zu Tränen rührt, egal ob es sich um das jugendliche Zielpublikum oder jemanden wie mich handelt, die etliche Jahre davon entfernt ist. Denn das Monster kennt seine größte Angst und seinen innigsten Wunsch, für den er sich selbst hasst.

 

Das Buch ist temporeich und beschreibt den Alltag des Jungen. Es enthält neben dem thematisch ernsten, überaus emphatisch umgesetzten Teil auch humorvolle Streitgespräche zwischen Conor und der Monster-Eibe. Im Gegensatz zu allen anderen packt sie ihn nicht in Watte. Trotzdem fühlt sich Conor nicht im geringsten von ihr eingeschüchtert, geht teils sehr respektlos mit dem riesigen Baum um, sieht er doch die Geschichten als unsinnig an. Doch sie haben einen tieferen Sinn, der sich gegen Ende offenbart. Sie zeigen nicht nur, dass gut und böse willkürliche Begriffsdefinitionen sind. Sie lehren Conor auch, dass er seine Gefühle zulassen muss, um von seiner Mutter Abschied nehmen zu können.

 

Das alles beschreibt Ness voller Symbolkraft in einer klaren, bildhaften Sprache und webt so eine authentische Atmosphäre. Diese ist teils unheimlich aber niemals so bedrohlich, dass man das Buch weglegen möchte. Trotz des fantastischen Elements lässt sie keinen Raum für Fantasie im Hinblick auf die gegebene Situation. Ness beschreibt diese schnörkellos und ohne Beschönigungen. Erschafft lebendige Charaktere wie Conor, der trotz seiner Hilflosigkeit stark ist. Auf jeder Seite fühlt man sich mitten darin, direkt neben dem Jungen; bis Ness voller Emotionen aber gänzlich unsentimental Conor Sieben Minuten nach Mitternacht die letzten Momente mit seiner Mutter erleben lässt. Unterstützt wird das so entstehende Kopfkino durch die Illustrationen von Kay, die schwarz-weiß gehalten, perfekt dazupassen.

 

Obwohl früh klar ist, dass der Tod über das physische Leben von Conors Mutter siegen wird, das Buch also Trauer, Wut und Hilflosigkeit thematisiert, plädiert es noch weitaus mehr für das Leben. Lässt Liebe und Verständnis nicht außen vor. Vor allem jedoch spricht Ness direkt an, was in unserer Gesellschaft gerne verdrängt wird. Was uns sprachlos und hilfslos macht.

 

Fazit:

 

Kein leichtes Buch, das man einfach so nebenbei lesen kann oder sollte, dazu ist es zu sehr an die Realität angelehnt. Sieben Minuten nach Mitternacht ist jedoch eine gelungene Umsetzung eines schwierigen Themas und durchaus eine symbolträchtige Hilfestellung für real vergleichbare Situationen. Was die jugendliche Zielgruppe betrifft: Ja, es ist für sie geeignet, allerdings würde ich sie nicht mit diesem Buch alleine lassen, da ich denke, dass Gespräche dazu sinnvoll wären. Darüber hinaus ist es jedoch auch für ältere LeserInnen lesenswert. Eine unendlich traurige, zeitlose Geschichte die tief berührt und nachdenklich macht. Eine, die man nicht so einfach vergessen kann und sollte. Ein wunderbares Buch, trotz der darin enthaltenen Tragik, dem ich fünf von fünf Sternen geben möchte.

 

Copyright ©, 2012 Antje Jürgens (AJ)

2. Mai 2012

HERTZ, ANNE: SAHNEHÄUBCHEN

Filed under: Belletristik,Chick-Lit,Roman — Ati @ 15:24

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Knaur Taschenbuch Verlag
ISBN-13: 9783426638712
ISBN-10: 3426638711
Belletristik
Ausgabe 01/2011
Taschenbuch, 368 Seiten
[D] 8,99 €

Verlagsseite
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Im Januar 2006 wurde das Romandebüt von Anne Hertz mit dem Titel Glückskekse erfolgreich veröffentlicht. Nach zwei weiteren Büchern (Wunderkerzen und Sternschnuppen) erfuhr die Öffentlichkeit mit der Publikation von Trostpflaster, dass es sich bei Anne Hertz um das Pseudonym der Schwestern und Wahlhamburgerinnen Frauke Scheunemann und Wiebke Lorenz handelt. Die beiden kamen 1969 bzw. 1972 in Düsseldorf zur Welt und sind Journalistinnen. Die eine studierte Jura, die andere Anglistik. Die eine ist verheiratet, die andere nicht. Sie arbeiten nicht nur zusammen, sondern leben auch im selben Haus. Dass dies bekannt wurde, lag (wie man der Homepage entnehmen kann) daran, dass „Anne Hertz“ nach ihren Bucherfolgen immer mehr Interviewanfragen bekam und sie es irgendwann satt hatten, so zu tun, als ob sich dahinter eben nur eine Person verbirgt. Neben den vier vorgenannten sind noch drei Romane des Autorinnenduos bei Knaur erschienen. Zwischen Goldstück und Wunschkonzert wurde auch der vor mir liegende Roman Sahnehäubchen im Januar 2011 ins Verlagsprogramm aufgenommen. Für 2013 sind weitere angekündigt.  

Knaur hat Sahnehäubchen im Genre Romantik und Leidenschaft, Humor und Charme angesiedelt. Es soll laut Inhaltsangabe um eine PR-Agentin in den 30ern gehen. Nina ist aus Überzeugung Single, selbstbewusst und erfolgreich. Sie arbeitet in einer kleinen Agentur in Hamburg und muss sich auf Wunsch ihrer Chefin eines Volontärs annehmen. Tom ist etwa gleich alt, von Haus aus jedoch Sohn eines Verlegers. Besagter Verleger möchte das neue Buch des Texaners und Obermachos Dwaine vermarkten, ein Aufreißer-Ratgeber für notleidende Männer, der bezeichnenderweise den Titel „Ich kann sie alle haben“ trägt. In dem Zusammenhang soll Nina eine Reihe Lesungen mit dem Autor absolvieren. Bedauerlicherweise ist der Auftrag an das Volontariat von Tom gekoppelt, den Nina als total unsympathisch und vor allem nichtsnutzig einstuft. Außerdem kann sie Machos wie Dwaine sowieso nicht leiden. Allerdings gelingt es beiden Männern Nina näherzukommen und ihre Überzeugungen geraten ins Schwanken. 

Keine ganz neue Grundidee also, wenn sich eine toughe Single-Powerfrau plötzlich zwischen zwei Männern befindet. Doch im Grunde kommt es ja auf die Umsetzung an. Leider muss ich gestehen: Umgehauen hat mich Sahnehäubchen nicht. Zwar startet das Buch relativ lustig, doch dann plätschert es lange Zeit vor sich hin, bevor es am Schluss noch mal etwas zu überzogen rund geht. Das auf der Verlagsseite angegebene Genre passt grundsätzlich zur Grundidee, die Ausführung derselben hinkt allerdings hinterher.

Das beginnt bereits mit Nina, die mich nicht überzeugen konnte. Bei ihr muss man Selbstbewusstsein nicht zwingend mit Selbstsicherheit, Stolz oder Durchsetzungsvermögen übersetzen, kann es aber durchaus mit den Begriffen unzugänglich, anmaßend, zugeknöpft und überheblich versuchen. Sie offenbart sich zickig-schnippisch, übellaunig-unzufrieden zu den Leuten gehörend, die zum Lachen in den Keller gehen. Hertz‘ Hauptcharakter nervt einfach alles. Ihr Blick in die Welt wirkt sehr eingeschränkt und vor allem wenig positiv. Überzeugung im punkto Single sieht irgendwie anders aus. Die Art und Weise, mit der sie ihre Arbeit erledigt, wirft zudem unwillkürlich die Frage auf, wie sie sich so lange einigermaßen erfolgreich in der Branche halten konnte. Und obwohl sie ja eine moderne Frau darstellen will/soll, würde ich sie eher als passiv hinnehmend einstufen, die, abgesehen von ihrer Freiheit zu trinken, was sie wann auch immer möchte, mit teils konservativen Einstellungen behaftet ist. Dass sie sich so unsympathisch zeigt, erschwert die Vorstellung, dass sich da so etwas wie Romantik und gar Leidenschaft anbahnen könnte. Auch der Humor geht in der ganzen Zickigkeit Ninas geradezu unter.  

Das Autorinnenduo lässt Nina die Geschichte in Ich-Form erzählen. Genau wie alle anderen Erzählformen birgt natürlich auch diese die eine oder andere Tücke. Logischerweise bekommt man Verhaltens- und Denkweisen ebenso wie die Handlungen Dritter nur aus diesem Blickwinkel mit. Das erspart einerseits zwar meist eine zu große Vorhersehbarkeit. Andererseits kann dies jedoch auch dazu führen, dass Dritte nicht wirklich sympathisch wegkommen (wenn LeserInnen bereits die erzählende Figur nicht sympathisch ist) und andere Charaktere zudem unter Umständen auch nicht klar gezeichnet werden.

So empfand ich Dwaine eingangs einfach nur nervtötend. Warum er alleine durch ein Geständnis Nina gegenüber von dieser plötzlich attraktiv und charmant empfunden wird, konnte ich nicht ganz nachvollziehen. Auch Tom bleibt viel zu schemenhaft. Von anderen Nebencharakteren ganz zu schweigen. Überhaupt scheinen in Sahnehäubchen männliche Figuren weitaus mehr als ein plattes Klischee zu erfüllen. Und auch damit fragt man sich, wie so etwas wie Romantik und Leidenschaft aufkommen soll.

Was vom Grundgedanken her eine durchaus mehr als amüsante, romantisch ausgebaute und spannend gestaltete Note hätte haben können, weil es ja Dwaine (der es wohl einfach nicht lassen kann) und Tom (der ja eigentlich gar kein so übler Kerl ist) gibt – all das ist leider zwar angesichts des flüssigen Schreibstils lesbar, vom Aufbau her aber nicht allzu lesenswert gelungen. Es dauert eine ganze Weile und etliche Seiten, bis Hertz-LeserInnen dann eine etwas andere Nina kennenlernen.

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Es dauert fast die Hälfte des Buches, bis die Geschichte langsam an Fahrt aufnimmt. Ins Ende wird dann jedoch zu viel zu schnell und zu oberflächlich hineingepackt. Trotz durchaus witziger Sprüche fehlen spritzige Dialoge und wirklich sympathische Figuren. Romantik? Leidenschaft? Dezent ist in diesem Zusammenhang ein zu schwaches Wort. Der flüssige Schreibstil konnte es dann letztlich auch nicht mehr herausreißen. Vielleicht lag es an meiner Erwartung, einen amüsant-netten, flotten Lesequickie für die Badewanne in Händen zu halten, dass ich irgendwie enttäuscht war. Doch Sahnehäubchen konnte mich nicht überzeugen und hat mir zu viel Durchhaltevermögen abverlangt, um mehr als zwei von fünf Punkten zu erhalten.

Copyright ©, 2012 Antje Jürgens (AJ)

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