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22. Januar 2013

JAKOB, JOHANNA MARIE: DAS GEHEIMNIS DER ÄBTISSIN

Filed under: Belletristik,Historisch,Roman — Ati @ 12:32

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Knaur Taschenbuch
ISBN-13: 9783426509517
ISBN-10: 3426509512
Historischer Roman
Originalausgabe 10/2012
Taschenbuch, 460 Seiten
[D] 9,99 €

Verlagsseite
Autorenseite

 

Die in Thüringen aufgewachsene und nach wie vor dort lebende Autorin studierte Mathematik und Physik und unterrichtet an einem Gymnasium. Nachdem ihre Kinder aus dem Gröbsten heraus waren, konnte sie sich zudem der Verwirklichung eines lang gehegten Traums widmen und ging dem Schicksal ehemaliger Bewohner von Burg Lohra nach. Unter dem Pseudonym Simone Knodel veröffentlichte sie anschließend 2004 ihren ersten historischen Roman Adelheid von Lare, dem 2008 Radegunde von Thüringen folgte. 2011 erschien dann der ursprünglich von Weltbild herausgegebene und jetzt als Taschenbuch bei KNAUR neu aufgelegte Roman Das Geheimnis der Äbtissin, dem die historisch belegte Äbtissin des Klosters Eschwege Judith von Lohra zugrunde liegt.

Der Name ist geblieben, denn laut Inhaltsangabe geht es in Das Geheimnis der Äbtissin um Judith, die auf Lare aufgewachsen ist, und sich für Heil- und Kräuterkunde interessiert. Im Zuge dessen kümmert sie sich nicht nur um die Gemahlin des Kaisers, sondern lernt auch Silas kennen und lieben. Der maurische Leibarzt des Kaisers erwidert ihre Gefühle, doch die gesellschaftlichen Zwänge verhindern ein Zusammenkommen.

Die Geschichte beginnt im Sommer 1156 (Judith ist zu diesem Zeitpunkt noch keine 13 Jahre alt) und endet (lange nach ihrem Verschwinden 1191) im Jahr 1220 in Eschwege. Sie umspannt also somit nahezu das gesamte Leben der Hauptfigur. Bieten all diese Jahre jede Menge Stoff für gemütliche Lesestunden? Zumal ja auch der Titel auf einen spannenden zweiten Erzählstrang hindeutet. Wer liebt schließlich keine Geheimnisse?

Inhaltsangabe und zumeist positive Leserstimmen weckten meine Neugier und bald darauf durfte ich Das Geheimnis der Äbtissin in Händen halten. Recht vielversprechend beginnt der Roman dann auch gleich mit dem eigentlichen Ende im Jahr 1220 und einer drohenden Verhaftung und im Zuge dessen auch vermuteter Folter. Danach geht es in die Vergangenheit und es folgt die Geschichte, die zu eben dieser Verhaftung führt.

Gleich anfangs offenbart sich Judith als gleichermaßen sympathisch-wissbegierige wie mutige Hauptfigur. Sie steht nach dem Tod ihrer Mutter nicht nur dem Haushalt ihres Vaters auf Lare vor und erzieht ihre beiden Brüder mit. Darüber hinaus bietet sie auch der Tochter und der intriganten Gemahlin des Kaisers Obdach und Freundschaft. Ihr bereits bestehendes Interesse für die Heilkunde wird mit einem Unfall eines ihrer Brüder und der Ankunft des maurischen Leibarztes des Kaisers, des Sklaven Silas, verstärkt. Im Laufe der Jahre wird Judith erwachsen, überquert als Begleiterin der Gemahlin der jungen Kaiserin die Alpen und landet in Italien mitten im Krieg. Dort werden ihre heilerischen Fähigkeiten auf die Probe gestellt, denn sie arbeitet Hand in Hand mit Silas und auch die Kaiserin benötigt ihre Hilfe. Während dieser Reise bekommt sie zufällig mit, was die junge Kaiserin auf Drängen ihres Bischofs gegen ihre Kinderlosigkeit unternimmt und hat fortan einen Geistlichen zum Feind, der offenbar auch vor Mord nicht zurückschreckt. Judith kehrt nach Hause zurück und wird nach etwas mehr als der Hälfte des Buches dann Nonne und später Äbtissin des Cyriakusstifts zu Eschwege. In diesem Zusammenhang wird sie in ein weiteres Geheimnis eingeweiht. Judith gerät also mehr als einmal in Gefahr.

Die Beschreibung der damaligen Zeit ist anschaulich und nachvollziehbar gestaltet. Egal ob es sich um die Lebens- und Wohnverhältnisse, die Macht der Kirche und ihrer Vertreter, die Willkür der Herrschenden, die Verklärung des Rittertums oder das damalige Frauenbild handelt: Man hat keine Schwierigkeiten, sich die Gegebenheiten und Unwägbarkeiten vorzustellen. Der Schreibstil der Autorin ist an die damalige Zeit angepasst und lässt sich grundsätzlich leicht lesen.

Dennoch: Trotz der hintergrundmäßig dichten Atmosphäre und der an sich spannenden Grundidee konnte mich der Roman nicht wirklich fesseln. Dazu hat die Geschichte in meinen Augen bedauerlicherweise zu viele Schwachstellen.

Zum einen blieben mir die Charaktere abgesehen von Judith samt und sonders fremd. Sie sind zu distanziert und eher oberflächlich skizziert. Nicht einmal Silas wird näher beleuchtet. Die nach Lektüre der Inhaltsangabe vermutete Liebesgeschichte kommt, auch weil die beiden tatsächlich gesellschaftsbedingt überaus wenig Zeit miteinander verbringen, nicht zum Tragen. Und obwohl (nicht nur) Judith für damalige Verhältnisse alt wird, entwickelt sie sich in meinen Augen nicht wirklich weiter. Man könnte sagen, dass sie trotz einiger mädchenhafter Züge von Anfang alt ist oder sich im Alter auch etwas Mädchenhaftes bewahrt, allen Erlebnissen zum Trotz. Das mit dem früh alt wirken kann durchaus mit der damaligen Zeit zusammenhängen, in der Kindern nicht unbedingt viel Zeit für ihre Kindheit zugebilligt wurde. Doch genau dieses Stehenbleiben ihres Charakters führte dazu, dass Judith mir im Laufe der Geschichte zunehmend fremder wurde.

Unabhängig davon wirken die Geheimnisse etwas zu bemüht. Ihre angedeutete Brisanz wird durch die tatsächliche Handlungsweise der Geheimnisträger ad absurdum geführt. Zwar erscheinen Judiths Reaktionen durchaus nachvollziehbar, die ihrer Widersacher jedoch in gewisser Weise recht ausgebremst.

Wie bereits erwähnt, kann eine lange Handlungsdauer für viele gemütliche Lesestunden sorgen. Zu viele Jahre können eine Geschichte faktisch aber auch zerstückeln und in Das Geheimnis der Äbtissin finde ich die Proportionierung der Jahre tatsächlich nicht sehr gelungen. Bereits zwischen den Jahren 1156 bis 1166 treten kleinere Zeitsprünge auf, die jedoch zunächst nicht weiter ins Gewicht fallen. Insgesamt widmet die Autorin diesen Jahren, in denen sich Judiths und Silas‘ Wege mehrfach kreuzen und wieder trennen, bereits zwei Drittel des Buches. 1166 ist Judith schon Nonne geworden, jedoch noch keine Äbtissin.

Auf Seite 342 findet man sich dann plötzlich im Jahr 1184 wieder. Dort wird erwähnt, dass Judith Äbtissin des Cyriakusstifts geworden ist und vom Kaiser nach Mainz geladen wird. Abgesehen davon, dass sie bei dieser Reise Silas erneut begegnet, spielt die Beziehung der beiden nach wie vor eine eher untergeordnete Rolle. Zu ausführlich geht die Autorin stattdessen auf ein Ereignis im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten ein und ganz nebenbei auch auf eines der Geheimnisse, knüpft angedachte Intrigen und weitere Widersacher in die Geschichte ein. Dann folgt ein weiterer Sprung ins Frühjahr 1191 und damit zum bereits angesprochenen Verschwinden Judiths. Ihre Beweggründe für eine Flucht sind zwar durchaus nachvollziehbar erklärt. Die ihres Widersachers jedoch nicht. Speziell dieses Kapitel lässt den Eindruck entstehen, dass hier die Geschichte schnell und irgendwie fertig erzählt werden musste. Auch Silas wird darin wiederum eher präsentiert als geschickt mit der Handlung verwoben.

Und gerade die letzten beiden Zeitsprünge drohen die roten Handlungsfäden um Silas und Judith beziehungsweise um Judiths Geheimnisse fast zu zerreißen. Insgesamt nehmen sie der Geschichte eindeutig an Spannung. Zu vieles wird einfach erwähnt, ohne wirklich erklärt zu werden. Zu oft wird vom Tod einer Figur berichtet, die entweder zuvor bereits nahezu sang- und klanglos aus dem Fokus der Autorin verschwunden zu sein scheint oder aber gerade erst an Kontur gewinnt. Trotz mehrerer geschickt angedachter Wendungen kommt die verlorene Spannung für mich auch nicht wieder auf.

Beide Erzählstränge haben letztlich ein offenes und im Bezug auf Silas und Judith tatsächlich überraschendes Ende. Dieses lässt nicht nur LeserInnen Platz für eigene Gedankengänge. Es bietet der Autorin auch Raum für eine Fortsetzung.

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Eins der Bücher, die mich gespalten zurücklassen. Einerseits der anschaulich beschriebene Hintergrund, der dazu passende Schreibstil, die leicht lesbare Sprache und die anfangs überaus sympathische Hauptfigur. Andererseits sorgt der zunehmende Spannungsverlust für Längen, die das Lesen erschweren. Erschwerend hinzu kommen die  überwiegend zu blassen Charaktere und dann noch die Diskrepanz zwischen der Inhaltsangabe und der daraus bei mir entstehenden Erwartungshaltung. Wirklich schlecht fand ich das Buch nicht, dazu fand ich den historischen Bezug zu gut gelungen. Doch richtig packen konnte mich Judiths Geschichte auch nicht, weshalb ich für Das Geheimnis der Äbtissin nur drei von fünf Punkten vergeben möchte.

Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)

11. Januar 2013

HUNTER, MADELEINE: EIN SKANDALÖSES RENDEZVOUS

Filed under: Belletristik,Historisch,Liebe,Roman — Ati @ 17:34

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Originaltitel. Ravishing in Red
ins Deutsche übersetzt von Stefanie Pannen
Egmont-LYX
ISBN13: 978-3802587924
ISBN10: 3802587928
Historical romance
deutsche Erstausgabe 07/2012
Taschenbuch mit Klappenbroschur, 400 Seiten

[D] 9,99 €

Verlagsseite

Autorenseite

 

Die in Pennsylvania lebende Autorin hat Kunstgeschichte studiert und arbeitet als Lehrerin an einem College. Daneben verfasst sie Romane. Mit ihrem im Jahr 2000 erscheinenden Debüt erhielt sie den Preis Waldenbooks Bestselling Debut Author. Egmont-LYX veröffentlicht eine kleine Buchserie der Autorin. Ein skandalöses Rendezvous bot im Juli 2012 dabei den Auftakt. Der zweite Band Die widerspenstige Braut ist seit Januar erhältlich. Ein dritter Band mit dem Titel Eine Lady von zweifelhaftem Ruf ist für Juni 2013 geplant.

Abgesehen vom Genre, dem historischen Hintergrund und der Tatsache, dass diese Bücher eben von Madeleine Hunter geschrieben wurden, bieten sie keine größeren Gemeinsamkeiten. Sie können deshalb unabhängig voneinander gelesen werden, da die Hauptfiguren von Buch zu Buch ebenso wie die Hintergrundgeschichten wechseln.

Im Auftaktband, der gerade vor mir liegt, geht es um Audrianna, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Ruf ihres Vaters reinzuwaschen. Dieser soll für sein Land minderwertiges Schießpulver gekauft haben und so für Tod und Verletzungen diverser Soldaten verantwortlich sein. Aus Scham nahm er sich das Leben. Nach seinem Tod zieht Audrianna zu einer Cousine und versucht, so gut es geht, auf eigenen Füßen zu stehen. Doch Audrianna untersucht nicht alleine die Vorgänge um das minderwertige Material, auch Lord Sebastian Summerhays tut dies. Dadurch treffen die beiden aufeinander. Audrianna erhofft sich entlastende Informationen, Summerhays belastendes Material. Die beiden werden dabei jedoch unglücklicherweise in einer kompromittierenden Situation erwischt, Summerhays sogar verletzt, und der Skandal schwappt über Audriannas gerade noch einigermaßen stolz erhobenes Haupt hinweg. Einzig die Heirat mit Summerhays kann ihren Ruf jetzt noch retten.

Die Autorin zeichnet ihre weibliche Hauptfigur, ebenso wie deren Cousine, bezogen auf die Zeit überraschend modern und unabhängig und gleichzeitig durchaus glaubwürdig. Ihr Selbstbewusstsein schwindet jedoch jedes Mal, sobald der attraktive Summerhays auf den Plan tritt. Der ist eigentlich nur der zweite Sohn, hat ein eher schwierig gestaltetes Verhältnis zu seiner mit Standesdünkeln behafteten Mutter und ein enges Verhältnis zu seinem kriegsversehrten älteren Bruder. Auch die etwas schrulligen Freunde jenes Bruders sind mit von der Partie. Alle Charaktere sind klar gezeichnet, haben alle ihre kleinen Macken, Fehler und Ängste.

Wie so oft bei LYX ist auch dieses Mal das Cover/Buch ansprechend liebevoll und passend gestaltet. Es zeigt eine junge Frau in einem cremefarbenen Kleid, dessen Schnitt der damaligen Zeit entsprechen dürfte. Das Muster ihres Kleides – kleine goldene Ornamente – wiederholen sich in einer Art Rahmen um diese Gestalt ebenso wie an den Kapitelanfängen (wo sie dann natürlich grau gehalten sind). Bei der Frauengestalt sieht man keinen Kopf/kein Gesicht – was gut zu der Thematik passt, möchte Audrianna doch unerkannt nach der Wahrheit forschen. Die sittsam gefalteten Hände passen zu ihrem Charakter und der kleine Ausschnitt ihres Kleides deutet auf die im Buch dezent aufflammende erotische Grundspannung zwischen Audrianna und Summerhay hin.

Die zwischen den beiden Hauptfiguren entstehende romantische Beziehung wächst behutsam und gerade deshalb gut nachvollziehbar. Es geht aber auch um Freundschaft und Gier, um Schuldgefühle und ein wenig Eifersucht, denn Audrianna und Sebastians Bruder verstehen sich blendend. Nicht nur hier zeigt sich, dass Sebastian zwar durchaus über Autorität verfügt, gleichzeitig jedoch selbst stetig zurücksteckt, seit er für seinen älteren Bruder nach dessen Unfall dessen Position übernommen hat. Dass ihm ein eigenes Leben fehlt, wird ihm erst durch Audrianna bewusst.

Der zum Skandal und der Heirat führende Handlungsstrang um Audriannas Vater und das minderwertige Schießpulver wird im Hintergrund weitergesponnen und geschickt mit dem romantisch ausgebauten Hauptteil verwoben. Durch den flüssigen Schreibstil können Hunters LeserInnen leicht in die Geschichte eintauchen.

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Sympathische Charaktere in einer leichten, romantisch gestalteten Geschichte. Mit Ein skandalöses Rendezvous hat Madeleine Hunter einen Roman für ein paar entspannend-unterhaltsame Lesestunden geschaffen, weshalb ich dem Buch vier von fünf Punkten geben möchte.

Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)

FORMAN, GAYLE: LOVESONG

Filed under: Belletristik,Jugendbuch,Roman — Ati @ 14:44

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Originaltitel: Where she went
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Bettina Spangler
blanvalet
ISBN-13: 9783442379422
ISBN-10: 3442379423
Jugendbuch
1. Auflage 06/2011
Taschenbuch mit Klappenbroschur, 272 Seiten
[D] 12,99

Verlagsseite
Autorenseite (englisch)

 

If I stay, Where she went, Sister in sanity, You can’t get there from here sind Bücher aus der Feder der 1975 geborenen, in New York lebenden amerikanischen Autorin Gayle Forman. Sie war als Journalistin für Magazine wie Seventeen, Details, Jane und Glamour aber auch Elle und Cosmopolitan tätig, bevor sie sich dem Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern widmete. Ihre mehrfach mit Preisen ausgezeichneten Bücher sind in verschiedene Sprachen übersetzt.

Eines der gerade genannten Bücher, genauer If I stay (deutscher Titel Wenn ich bleibe, erschienen bei blanvalet) hat mich zu Tränen gerührt, obwohl ich allgemein absolut unsentimental eingeschätzt werde und zudem weit über der Altersgrenze der damit anvisierten Leserschaft liege. Es ging darin um die gerade erst erwachsen werdende Mia. Was als fröhlicher Tagesausflug beginnt, endet für sie in einer Katastrophe. Ihr kleiner Bruder und ihre Eltern werden bei einem Verkehrsunfall tödlich verletzt, sie selbst überlebt schwer verletzt und ringt im Koma liegend mit dem Tod. Dennoch bekommt sie mit, wer sich alles um sie bemüht und sie steht vor der Entscheidung ihrer Familie zu folgen oder um ihr Leben und ihre Zukunft zu kämpfen. Eine der Personen, die bei ihrer Entscheidung eine wichtige Rolle spielt, ist ihr Freund Adam.

Mit Lovesong halte ich die deutsche Übersetzung des Folgeromans dazu in Händen. Laut Inhaltsangabe handelt es sich dabei um ein unvergessliches Buch über eine unvergessene Liebe (…) Eine große Liebesgeschichte zweier Menschen, die gegensätzlicher nicht sein können und sich doch brauchen, um vollständig zu sein. (Zitat Verlagsseite)

Das dunkel gehaltene Cover zeigt als Motiv ein junges Paar, das Kopf an Kopf auf dem Rücken auf einer Art Steg liegt. Der Mann trägt einen Kopfhörer und hat die Augen geschlossen, die Frau sieht einen an. Zusammen mit dem ersten Satz (Zitat: Jeden Morgen wache ich auf und sage mir: Nur ein weiterer Tag, nichts als ein Zeitraum von vierundzwanzig Stunden, den ich bewältigen muss.) war ich in Erinnerung an den eben erwähnten und bereits gelesenen Roman der Autorin sofort Feuer und Flamme.

Lovesong spielt einige Jahre nach Wenn ich bleibe. Wie man der Inhaltsangabe entnehmen kann, ist Adam ein gefeierter Rockstar und Mia eine erfolgreiche Cellistin geworden. Die Welt steht ihnen also offen, doch die Wege der beiden haben sich getrennt. Adam wird mit der von Mia initiierten Trennung nicht fertig, droht daran zu zerbrechen. Eines Tages befinden sich beide zufällig in der gleichen Stadt. Mia gibt ein Konzert, welches Adam aufsucht, um sie wenigstens heimlich zu sehen. Danach kommt es zu einem ungeplanten Treffen, einem Gespräch, einer Versöhnung. Wird damit alles gut?

Der Inhalt beider Bücher gehört zwar irgendwie zusammen, allerdings könnten sie nicht unterschiedlicher sein.

Die Fortsetzung ist aus der Sicht Adams geschrieben. Er erzählt aus der Gegenwart heraus und erinnert sich an das, was war. Adam zeigt sich dabei wütend, weil Mia ihn aus ihrem Leben ausgeschlossen hat. Diese Wut verarbeitet er in seinen Texten. Forman lässt ihre LeserInnen daran teilhaben, denn jedes Kapitel der Gegenwart beginnt mit einem kleinen Bruchstück eines Songtextes. Die Texte kommen beim Publikum an. Adam auch, seine weiblichen Fans himmeln ihn an. Doch er ist ein seelisches Wrack. Er offenbart sich depressiv, melancholisch und sensibel, in seiner Sensibilität allerdings auch sehr auf sich bezogen. So hat er eine neue Beziehung, die jedoch darunter leidet, dass er Mia nicht vergessen kann. Er zeigt sich innerlich zerrissen, was sich aber in gewisser Weise nur absolut schlüssig offenbart, wenn man das Vorgängerbuch gelesen hat. Grundsätzlich ist dies aber kein Muss.

Abgesehen von der Perspektive an sich hat sich auch der Schreibstil grundlegend geändert. Das passt zwar perfekt zu den erzählenden Figuren (im ersten Buch Mia, die sich eher sanft, fast poetisch und vor allem hoffnungsvoll bei mir einprägte; im zweiten Buch wie bereits erwähnt Adam, der stellenweise derb unvermittelt und vorwiegend depressiv zu Wort kommt). Die Autorin hat genau durch diesen Perspektiv- und Stilwechsel sicher herausgearbeitet, wie unterschiedlich die beiden Hauptfiguren sind. Gleichzeitig schafft sie in mit beiden Büchern, ihre LeserInnen zu polarisieren. Ihre Figuren wirken dabei glaubwürdig, Handlungs- und Denkweisen kann man größtenteils gut nachvollziehen.

Doch während ich mit Mia und Adam im ersten Buch mitfiebern konnte, stießen sie mich im zweiten Buch eher ab, kamen mir zudem vollkommen fremd vor. Natürlich war der Fokus auf Adam in Wenn ich bleibe eher oberflächlich. Doch in Lovesong konnte er durch sein Denken und Verhalten wenig Sympathiepunkte bei mir erringen. Und auch Mia verlor durch ihr Verhalten und dessen Auswirkungen auf Adam erschreckend an positiver Kraft. Dabei bewirkt Formans Schreibstil, dass Mia eigentlich eher im Hintergrund schwebt und vorwiegend in den Rückblicken wenig schmeichelhaft in Erscheinung tritt. Gleichzeitig konnte ich nicht wirklich in die Fortsetzung der Geschichte eintauchen. Ich fühlte mich eher wie eine distanzierte Beobachterin. Vielleicht, weil speziell die Rückblicke im Zusammenhang mit dem Wissen um den Status quo einfach präsentiert und weniger erzählt auf mich wirkten und mir wenig Möglichkeiten für Gedankenspielereien boten.

Entgegen des zweiten Zitatteils der Inhaltsangabe auf der Verlagsseite geht es also gar nicht wirklich um eine Liebegeschichte. Titel und Covermotiv der gebundenen Ausgabe von Wenn ich bleibe haben in meinen Augen damals absolut gepasst. Bei Lovesong finde ich beides eher unglücklich gewählt, haben sie doch zusammen mit dem eben erwähnten Zitatteil eindeutig falsche Erwartungen an den Buchinhalt bei mir geweckt. Der erste Zitatteil stimmt zumindest irgendwie, denn Lovesong handelt natürlich von Gefühlen. Überaus stringent verfolgt die Autorin im Buch Verletztheit, Zorn, Trauer, Angst und die Erinnerung an die gescheiterte Beziehung zwischen Adam und Mia. Während Wenn ich bleibe voller Hoffnung war, droht in Lovesong jegliche Hoffnung in Depressivität unterzugehen.

Recht bald entstand beim Lesen der Eindruck einer gewissen Gezwungenheit, die sich speziell am Ende noch verstärkte. Die Fortführung der Geschichte scheint lediglich dem Erhalt der Figuren zu dienen. Was eigentlich erfrischend wirken könnte (der wirklich sehr gut herausgearbeitete Gegensatz von Adam und Mia), sorgt nicht nur dafür, dass beide Figuren sympathiearm fremd wirken, sondern entbehrt bedauerlicherweise auch an Spannung.

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Gayle Forman hat zwei völlig gegensätzliche Bücher geschrieben. Leider empfinde ich die Fortsetzung des Romans als nicht gelungen, obwohl die Grundidee an sich gar nicht so schlecht und bestimmte Dinge (innere Zerrissenheit von Adam, Gegensatz der Figuren, u. ä.) zudem sehr gut herausgearbeitet sind. Die Punkte, die ich für die Geschichte vergeben möchte, sind eher der handwerklichen Gestaltung als dem wirklichen Inhalt geschuldet. Der mehr oder weniger offen gehaltene Schluss von Wenn ich bleibe setzte damals mein Gedankenkarussell in Gang, wie es mit den beiden weitergegangen sein könnte. Vermutlich wurde genau das Adam und Mia bei der Lektüre von Lovesong zum Verhängnis. Und der Schluss von Lovesong beendet die Geschichte dann zudem wieder nicht wirklich und hinterlässt in seiner Beschaffenheit ein eindeutig unbefriedigendes Gesamtgefühl. Insgesamt möchte ich deshalb nur drei von fünf Punkten vergeben.

Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)

5. Januar 2013

Taylor, Cally: Heiter bis himmlisch

Filed under: Belletristik,Chick-Lit,Liebe,Roman,Tod/Trauer — Ati @ 13:50

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Originaltitel Heaven can wait
aus dem Englischen übersetzt von Eva Kornbichler
Goldmann
ISBN13: 9783442472321
ISBN10: 3442472326
Belletristik
1. Auflage 10/2010
Taschenbuch, 408 Seiten
[D] 7,95 €

Verlagsseite

Autorenseite 

 

Bereits vor mehreren Monaten habe ich den Debütroman von Cally Taylor Heiter bis himmlisch gelesen, der bei Goldmann erschienen ist. Über Weihnachten habe ich ihn mir jetzt ein zweites Mal vorgenommen, weil mir der Schluss beim ersten Lesen so gut gefallen hat.

Wie auch in ihrem zweiten Buch geht die im englischen Worcester geborene und mit Freund und Sohn in Bristol lebende Autorin Cally Taylor das Thema Leben nach dem Tod / Engel an. Allerdings lässt sie dabei keine mehr oder weniger übernatürliche Frauen himmlische und vollkommene, gute oder böse geflügelte Wesen anschmachten, wie es seit einigen Monaten am Büchermarkt zuhauf geschieht, sondern hebt sich angenehm davon ab. Ganz neu ist ihre Grundidee dabei natürlich andererseits auch nicht. Aber schließlich kommt es auf die Umsetzung an.

Da ihr Vater als Soldat in Deutschland stationiert war, erlebte Taylor ihre Kindheit ebenfalls dort. Später ging sie nach England zurück. Die Autorin studierte Psychologie in Newcastle und war in verschiedenen Bereichen, als Obstpflückerin bis hin zur Grafikdesignerin tätig. Ihre Liebe zum Lesen wurde durch Blyton-Romane geweckt. Auch die zum Schreiben scheint früh erwacht zu sein, denn bereits mit acht Jahren wollte sie Autorin werden. Beides hat sich bis heute gehalten, obwohl Taylor damals auch ihre erste Absage seitens eines Verlages erhielt. Diese Informationen findet man unter anderem auf ihrer Homepage oder der Verlagsseite, weshalb ich mich jetzt lieber ihrem Buch zuwenden möchte, das gerade vor mir liegt. Nachdem bereits Taylors Kurzgeschichten mit mehreren Auszeichnungen bedacht wurden, erhielt sie auch für Heiter bis himmlisch und ihren zweiten Roman (Home for christmas – deutsche Übersetzung Himmlische Küsse, ebenfalls bei Goldmann erschienen) diverse Preise. Beide Romane wurden zudem bereits kurz nach Erscheinen in mehrere Sprachen übersetzt.

Das gemalte Motiv des hellblauen Einbands von Heiter bis himmlisch deutet an, dass es sich um eine unterhaltsam-romantische Komödie für Frauen handelt. Es zeigt eine junge Frau, die, einen scheinbar aus Draht geformten Heiligenschein über ihren Kopf haltend, gemeinsam mit einem weißen Täubchen auf einer Wolke sitzt, während im Hintergrund weitere Wolken und ein Vogel vorbeiziehen. Der englische Originaltitel Heaven can wait lässt, genau wie die Inhaltsangabe, schon erahnen, dass allerdings auch der Tod eine größere Rolle darin spielt.

Taylors Schreibstil wirkt frisch, liest sich angenehm leicht und größtenteils flüssig. An einigen Stellen gibt es kleinere Längen, die jedoch nicht wirklich ins Gewicht fallen und zudem durchweg von lustigen Passagen abgelöst werden. Die gerade verstorbene Lucy offenbart sich wie bereits erwähnt ein wenig anders als die momentan häufiger in Büchern anzutreffenden himmlischen Gestalten. Doch es gibt auch traurige Szenen, die berühren. Und zwar nicht etwa nur weil Lucys Leben abrupt endet.

Das passiert unmittelbar vor ihrer Hochzeit mit ihrem Traummann Dan und ist etwas, womit sie gar nicht klarkommt. Lucy landet in einer Art Zwischenwelt. Dort wird ihr angeboten, gleich in den Himmel aufzufahren, dort ihre bereits verstorbenen Eltern wiederzusehen und irgendwann nach dessen Tod auch ihren Verlobten Dan. Alternativ dazu kann sie auch zurück auf die Erde. Wenn sie es bewerkstelligt, innerhalb von 21 Tagen eine Freundin für Archie zu finden, darf sie quasi als Geist bei Dan bleiben. Ihre Sehnsucht nach Dan ist so groß, dass sie sich für die Alternative entscheidet. Die damit verbundene Aufgabe ist indes eigentlich schon deshalb unlösbar, weil Archie nicht gerade ein Traumtyp, sondern ein Außenseiter mit Langweiler- und Streber-Tendenz ist. Erschwert wird das Ganze noch dadurch, dass Lucy in diesen 21 Tagen immer wieder Dans Nähe sucht und dabei feststellen muss, dass ihre ehemals beste Freundin sich an ihn heranmacht.

Die Autorin lässt ihre liebevoll chaotisch gezeichnete Hauptfigur Lucy selbst erzählen. Diese darf in den 21 Tagen ihrer Aufgabe sozusagen untot unter den Menschen weilen. Zumindest unter denen, die sie nicht kennen. Dan oder ihre in ihren Augen verräterische Freundin, ihre Freunde, Bekannten oder Verwandten verstehen oder erkennen sie dagegen nicht. Man erlebt sie stur, dickköpfig, tollpatschig und ebenso verzweifelt wie warmherzig. Durch sie lernen Taylors LeserInnen auch die anderen Figuren näher kennen. Sei es Archie oder Claire und Brian, die ebenfalls eine Aufgabe erfüllen sollen und ebenso daran zu verzweifeln drohen wie Lucy selbst. Jede Figur ist anders gezeichnet. Das eine oder andere Klischee bleibt bei der Ausarbeitung dieser Charaktere nicht aus, doch das stört nicht weiter, da sie gleichzeitig lebensnah authentisch gestaltet sind.

Taylor stellt sowohl Lucys als auch Dans Trauer und auch die diversen Probleme aller Figuren einfühlsam berührend dar und lässt gleichzeitig Lucy ihre eigentliche Aufgabe eher oberflächlich angehen. Dieser Gegensatz könnte störend oder gezwungen wirken, tut es aber nicht. Insgesamt geht es um Liebe und Freundschaft, um daraus entstehende Komplikationen und Entwicklungen. Die Charaktere entfalten sich teils auf witzige Weise, ohne dass sie übertrieben komisch agieren. Während dem Erzählstrang um Archie eine gewisse Vorhersehbarkeit innewohnt, strebt die restliche Handlung um Lucy einem (für mich) völlig überraschenden, gleichermaßen traurig-heftigen wie hoffnungsfrohen Schluss zu.

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Unterhaltsam amüsant sorgt die Geschichte öfter für erhobene Mundwinkel und Lachanfälle. Gleichzeitig ist sie überraschend berührend und traurig, ohne melodramatisch zu wirken. Man kann schnell in das Geschehen eintauchen. Allzu tief geht dieses trotz der darin enthaltenen Todesfälle zugegebenermaßen nicht. Aber das habe ich einerseits im Vorfeld ohnehin angesichts von Cover und Titel nicht erwartet. Andererseits macht das ausgewogene Verhältnis zwischen lustigen und traurigen Passagen aus Heiter bis himmlisch aber ein gelungenes Debüt, das stellenweise durchaus zum Nachdenken anregt. Ich möchte dafür vier von fünf Punkten vergeben. Es hat bei mir auch beim zweiten Lesen Lust auf mehr geweckt, weshalb ich mir gestern Taylors zweiten Roman geholt habe.

Copyright © 2012 by Antje Jürgens (AJ)

17. Dezember 2012

Safier, David: Muh!

Filed under: Belletristik,Jugendbuch,Roman — Ati @ 16:15

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Kindler Verlag
ISBN-13: 9783463406039
ISBN-10: 3463406039
Belletristik
4. Auflage 09/2012
Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag, 336 Seiten
[D] 16,95 €

Verlagsseite
Autorenseite  

Der zur Rowohltgruppe gehörende Kindler Verlag bietet seiner Leserschaft ein breites Spektrum. So findet man im Verlagsprogramm sowohl Literarisches wie auch Humoristisches, spannend oder charmant Erzähltes. Auch fantastische Zeitreisen bleiben nicht außen vor. Mit Muh! nimmt David Safier seine Leserschaft ebenfalls auf eine Reise mit. Allerdings handelt es sich dabei um keine Zeitreise. <!–mehr–>

Der 1966 in Bremen geborene Journalist war zunächst beim Hörfunk und Fernsehen tätig, bevor er ab 1996 erste Arbeiten als Drehbuchautor und Schriftsteller ablieferte. So arbeitete er unter anderem als Hauptautor an Berlin, Berlin mit, wofür er den Adolf-Grimme-Preis erhielt. Sein Buch zur Serie Mein Leben & Ich bescherte ihm den Goldenen Spatz (MDR-Kinder-Film- und Fernsehpreis). In Anlehnung an seinen 2007 erschienen Debütroman Mieses Karma gründete er eine Stiftung. Wer eventuell sein eigenes Karma verbessern und Kindern etwas Gutes tun möchte, sollte sich vielleicht auf der Stiftungsseite www.gutes-karma-stiftung.de umsehen. Dass Safier mit seinem Debütroman kein Onehit-Wonder-Autor geblieben ist, bewies er mit den ebenfalls in Millionen-Auflage verkauften Folgeromanen Plötzlich Shakespeare, Happy Family und dem demnächst ins Kino kommenden Jesus liebt dich. Auch im Ausland finden seine Bücher Anklang.

Doch zurück zu Muh!. Dem voll kuhlen Buch, das gerade vor mir liegt. Mein erster Safier-Roman, dessen Schutzumschlag mich bereits beim ersten Draufschauen trotz eigentlich gar nicht vorhandener Ähnlichkeit an eine bestimmte Sorte Karamellbonbons erinnerte und prompt Appetit auf die Dinger machte. Gut, dass ich keine im Haus hatte. Erstens wäre der Verzehr derselben meinen Hüften nicht gut bekommen und zweitens hätte ich mich womöglich während diverser Schmunzel- und Lachattacken, die mich beim Lesen überkamen, verschluckt.

Für die, die noch nie von Muh! gehört haben: Im Buch geht es um die ostfriesische Kuh Lolle. Etwas zu rund ist sie eigentlich ganz zufrieden mit ihrem Dasein und vor allem tierisch in Champion verliebt, der auf dem gleichen Hof wie sie lebt. Doch dann stürzt Lolles heile, kleine Welt ein. Sie erfährt, dass Champion es mit der Treue nicht allzu ernst nimmt und fast zeitgleich, dass der stets angesäuselte bis betrunkene Bauer alle Kühe schlachten lassen will. Dass sie an diesem Tag den Kater Giacomo vor einem fiesen Höllenhund rettet, erweist sich zumindest als Glücksfall. Denn besagter Kater kennt ein paradiesisches Land, in dem Kühe heilig sind. Obwohl sie bisher davon ausgegangen ist, dass es hinter den Bäumen hinter der Weide nur noch die unendliche Milch der Verdammnis gibt, beschließt Lolle zu fliehen. Schließlich möchte sie nicht zwischen zwei Brötchenhälften enden. Da sie nicht alle ihre Artgenossen zum Mitkommen überreden kann, macht sie sich mit ihrer kleinen Flüchtlingsherde in die große weite Welt auf.

Wer jetzt erfahren möchte, wie fatal das Zusammentreffen von Glühwürmchen und Methan produzierenden Kühen enden kann, was für medizinische Alternativen alte an jüngere Kühe weitergeben, was das Ziehen in Lolles Bauch mit Champion zu tun hat, wie Lolle über die Schöpfungsgeschichte der schöpferischen Gotteskuh Naia und ihre Folgen denkt, oder was Lolle samt ihrer kleinen Herde, dem nicht ganz so ohne Hintergrundgedanken agierenden Giacomo oder dem Höllenhund so alles erlebt, der sollte sich Safiers Buch zu Gemüte führen.

Gleich vorab: Safier hat damit nicht nur ein positives Echo hervorgerufen. Zu bemüht, zu schräg, zu platt, zu unglaubwürdig, schlechter als die Vorgängerromane – all das war in diversen Beurteilungen zu lesen. Ich kann zustimmen, dass Safiers Humor gelinde gesagt schräg ist. Hochgeistige Lektüre sieht ebenfalls anders aus und mir kam auch nicht alles logisch vor. Da ich jedoch nach einem Blick in die Inhaltsangabe und auf das Cover so etwas auch gar nicht erwartet habe, kann ich mich getrost den positiven Stimmen anschließen (die es übrigens weitaus zahlreicher gibt).

Mit skurrilem, tatsächlich irgendwie bekannt vorkommendem Witz stellt Safier seine Hauptcharaktere vor. Trottelig doof und trotzdem liebenswert sind die einen, schnippisch, bissig, zickig und dennoch nicht vollkommen unsympathisch die anderen. Gebildet oder eher naiv dumm, angeberisch, intrigant, untreu, verzweifelt, wagemutig, verliebt, verbittert, unternehmungslustig, ängstlich. Stark vermenschlicht kommen sie alle herüber, doch das stößt nicht ab. Die eine oder andere Szene wirkt allerdings nicht nur durch die Vermenschlichung extrem an den Haaren herbeigezogen und etwas zu kurios überspannt. Was auf der einen Seite niedlich und nett amüsant wirkt, lässt auf der anderen Seite (hoffentlich mehr als eine(n) LeserIn) ein wenig die eigenen Ernährungsgewohnheiten und die Ignoranz der damit allgemein verbundenen Bedingungen der Tierhaltung überdenken. Dieser Aspekt ist allerdings so spielerisch leicht mit der Geschichte verwoben, dass man hier nicht von einem erhobenen Zeigefinger sprechen kann oder muss. Unabhängig davon handelt Lolles Reise von der Suche nach dem Glück, das für jeden ein wenig anders gewandet daherkommt. Davon, dass manche Träume ein wenig zurechtgestutzt oder leicht abgewandelt werden müssen, wenn man wirklich glücklich sein möchte. Und vom Verstehen, dass jeder das ist, was Erlebtes aus ihm macht. Von Freundschaft und Verantwortung.

Nicht zwingend tiefsinnig, aber auch nicht vollkommen oberflächlich lässt Safier seine Hauptkuh Lolle die Geschichte erzählen. Locker und leicht lesbar erfährt man von ihren teils klamaukartigen Erlebnissen und Gedanken. In der hypothetischen Reise seiner Kühe findet sich humoriger Lesespaß. Vielleicht gerade weil Safier Rinder, Kater und Hund so menschlich dargestellt, wirkt aber auch die Entwicklung ihrer Charaktere oder die latent enthaltene Botschaft in Muh! überraschend plausibel.

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Allen Menschen recht getan, ist ja bekanntlich eine Kunst, die keiner kann. Deshalb gehe ich davon aus, dass Safiers Muh! nicht alle anspricht. Mit seinem schrägem Wortwitz zeigt Safier darin durchaus ein Talent für spaßige Situationen. Allerdings fehlt manchmal ein wenig Tiefe. Anfangs helfen noch Dialoge und Sticheleien der Herde untereinander gut darüber hinweg. Im Lauf der Geschichte verliert sich der Witz jedoch etwas, auch durch Wiederholungen von Lolles Gedankengängen, was im Mittelteil für die eine oder andere Länge sorgt. Trotz kleinerer Schwächen hält man mit dem Buch jedoch eine amüsante und (größtenteils) kurzweilige Lektüre in Händen, für die ich vier von fünf Punkten vergeben möchte.

Copyright © 2012, Antje Jürgens (AJ)

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