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1. November 2012

Simons, Moya: Ein Flüstern in der Nacht

Filed under: Belletristik,Historisch,Jugendbuch,Roman — Ati @ 12:59

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Originaltitel: Let me whisper you my story, aus dem Englischen übersetzt von Anne Braun
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ISBN13: 9783570153314
ISBN10: 3570153312
Historisch, Kinder- und Jugendbuch, Altersempfehlung ab 10 Jahre
1. Auflage 10/2012
Hardcover, 300 Seiten
[D] 12,99 €


Verlagsseite
Autorenseite (englisch)          

Es gibt Dinge, die sollte man niemals vergessen, so schrecklich sie auch sind. Nicht weil man sie nicht verarbeiten und loslassen kann, sondern weil man sie einfach nicht vergessen darf. Weil sie wieder und wieder passieren sollen. Das klingt jetzt zugegebenermaßen auf den ersten Blick im Zusammenhang mit dem vor mir liegenden Jugendbuch nicht nur seltsam, sondern geradezu falsch. Allerdings nur, bis man sich vor Augen führt, was genau nicht vergessen werden darf und immer wieder passieren sollte. 

In Ein Flüstern in der Nacht geht es um die Geschichte von Rachel Schwarz. 1932 geboren, wächst die Tochter eines jüdischen Arztes zusammen mit ihrer sechs Jahre älteren Schwester Miri und ihrer Mutter in Leipzig direkt in eine Zeit hinein, die wohl das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte ist. Von der zunehmenden Diskriminierung und Verfolgung, von Deportation und Mord an Unschuldigen, die einfach einem anderen Glauben oder einer Minderheit (wie etwa die Zigeuner) angehörten oder nicht ins Rassebild der Arier passten (neben Juden auch Behinderte und Kranke). Unzählige Filme und Bücher haben sich schon mit der Shoah beschäftigt, fiktiv und/oder reflektiv das damalige Geschehen wiedergebend. Spontan sind mir im Vorfeld Schrei nach Leben, Der Pianist, Schindlers Liste und natürlich Das Tagebuch der Anne Frank, Die Kinder von Blankenese, Die vergessenen Kinder von Strüth oder auch Heimat auf Zeit – Jüdische Kinder in Rosenheim 1946-47 eingefallen. Aus Letzterem ist mir ein Satz aus dem Vorwort von Lawrence Langer im Gedächtnis geblieben. „Sie hatten nicht überlebt, sie existierten einfach länger als die Konzentrationslager.“ 

Wie kann man so ein Thema kindgerecht gestalten? Die Altersfreigabe ab 10 Jahren hat mir im Vorfeld doch einiges Kopfzerbrechen bereitet. Eine meiner Nichten ist in diesem Alter, teilweise noch sehr kindlich vom Denken her. Mit dem Thema 2. Weltkrieg oder gar Holocaust kam sie bislang allenfalls oberflächlich in Berührung.

Moya Simons, bisher eher für lustigere Themen in ihren Kinder- und Jugendbüchern bekannt, wurde 1942 in Australien geboren. Sie beschreibt sich selbst als neugierig (was ich gut finde, denn Neugier bildet, noch dazu in der Regel umsonst, man muss nur immer wieder genau nachfragen) und trotz ihres Alters jung geblieben und mag diese Neugier an Kindern, ihre Art der Ehrlichkeit. Weshalb sie sich auf das Genre Kinder- und Jugendbuch spezialisiert hat. Sie selbst ist keine Jüdin, kam jedoch bereits früh mit Kindern in Berührung, die den Holocaust überlebt und beispielsweise im Zuge einer Adoption nach Australien gekommen sind. Die Erzählungen dieser Kinder (sofern sie Worte dafür fanden), ihr Verhalten, all das hat die Autorin geprägt und mit zum Entstehen von Ein Flüstern in der Nacht beigetragen. Der Mutter ihrer besten Freundin, die im Konzentrationslager Bergen-Belsen starb, hat sie diesen Roman gewidmet, der so ganz anders ist als das, was sie sonst so schreibt. Aber auch anders als das, was man sonst so liest. 

Denn gleich vorab: Simons hat meine anfängliche Skepsis recht schnell niedergerungen. Ein Flüstern in der Nacht ist für die empfohlene Altersgruppe geeignet, hat mich tief berührt und ein weiteres Mal sehr nachdenklich über die darin enthaltene Grundthematik gemacht. Es geht darin weniger – obwohl natürlich omnipräsent vorhanden – um die entsetzlichen Vorgänge, um die Entmenschlichung und menschenverachtende Brutalität. Simons geht zwar sehr wohl auf die falschen Ideale, die beispielsweise Freddie, ein deutscher Junge, in sich aufgesogen hat, ein. Sie beschreibt auch anschaulich die Angst, die Rachel und ihre Familie befällt, die sukzessive Einschränkung ihres Lebens, die Verachtung, den Abtransport von Rachels Familie. Doch das ist es nicht alleine. 

Rachel erzählt ihre Geschichte selbst. Simons wählt dafür die Erzählweise großer Erzähler. Ein Satz geht fließend in den anderen über, große Zeitsprünge werden vermieden. Kleine Details weben eine dichte und lebensechte Atmosphäre, obwohl die Autorin über erschöpfende Schilderungen hinweggeht. Dies wirkt jedoch nicht flüchtig oder unvollkommen, sondern überaus passend angesichts der avisierten Zielgruppe. Leser/innen begleiten Rachel Jahr für Jahr von der Zeit vor dem Krieg bis hinüber nach Australien, wo sie letztlich einige Jahre nach dem Krieg landet. Einfühlsam baut die Autorin in die über 10 Jahre währende Geschichte ein, was sie von Opfern der damaligen Zeit hörte.  

Rachel selbst bleibt ein Konzentrationslager erspart. Sie kann den längsten Schal der Welt (von ihrer Mutter) und das Tagebuch ihrer Schwester über den Krieg hinweg retten. Anderen Kindern ist so ein Glück nicht vergönnt. Sie haben nichts mehr außer ihren Erinnerungen. Und viele davon werden von den grausamen Erlebnissen überdeckt, die sie durchmachen mussten. Ein Mädchen erfindet Geschichten, weil ihre eigenen Erfahrungen zu verstörend sind. Ein anderer schafft es lange nicht damit aufzuhören, Essen zu horten. Ein Junge will nicht mehr hören, weil er zu viel Schreckliches gehört hat. Und Rachel selbst kann lange Zeit nicht mehr sprechen. Nicht weil sie nichts zu sagen hat, sondern weil ihr Vater ihr im letzten Moment, bevor alle abgeholt wurden, nicht nur zuflüsterte, sie solle sich verstecken. Auch weil er dabei sagte, dass sie mucksmäuschenstill sein muss, keinen Ton von sich geben darf, um nicht entdeckt zu werden. 

Die Autorin lässt Rachel jedoch auch von dem Ehepaar erzählen, das sie schließlich findet und bei sich aufnimmt und versteckt. Oder von dem Soldaten, der Rachel bei der Hausdurchsuchung wissentlich übersieht. Sie berichtet auch von anderen Menschen, die ihren Verstand nicht abgegeben haben. Die Gefahr für das eigene Leben und das ihrer Familien riskierten, indem sie Verfolgten halfen. Sie alle waren nur kleine Inseln in einem tosenden Meer des Wahnsinns. Doch diese Inseln boten einen Platz zum Überleben. Einen Platz für Menschlichkeit. Für Hoffnung. Für das Gute. Für Zivilcourage. Das ist das, was ich eingangs meinte. Das sind die Dinge, die man nie vergessen darf, die sich wieder und wieder wiederholen sollen, egal in welchem Kontext. Dazu braucht es keinen Krieg, keinen Völkermord. Das geht auch auf dem Schulhof, wenn Mitschüler drangsaliert werden. In der Fußgängerzone, wenn man etwas Unrechtes sieht. Einfach überall dort, wo sich vermeintlich Stärkere über Schwächere hermachen.  

Die Geschichte führt schließlich über das Kriegsende hinaus nach England, wo die Kinder aufgepäppelt werden, während das Rote Kreuz überlebende Verwandte oder Adoptionsfamilien sucht. Und sie endet gut für Rachel, obwohl sie und die anderen Kinder Unsägliches erleben und schreckliche Verluste hinnehmen müssen. Trotzdem ist Platz für Hoffnung. Nicht nur, weil sie teilweise ihre Angehörigen wiederfindet, auch weil sie bestimmte Dinge nicht vergisst und weil die Freundschaft mit Freddie den Krieg überlebt.  

Das Kriegsgedicht, mit dem die Autorin Rachels Erzählung ausklingen lässt, soll ihrer Aussage nach der kindlichen Zielgruppe ihres Buches zwar verständlich machen, dass Krieg böse ist und neben Tod und Zerstörung noch viele negative Dinge mit sich bringt. Aber noch viel mehr, dass er einen Feind hat: Den, der nicht mitmacht, der Opfern hilft. Mir fiel spontan das Zitat „Selbst die größte Dunkelheit vermag das Licht einer einzelnen Kerze nicht zu löschen“ dazu ein, wobei ich nicht mehr weiß, wer das einmal in welchem Zusammenhang gesagt hat.  

Im Anschluss an das Gedicht folgt eine Zusammenfassung der zeitlichen Abläufe von 1919 bis zur Anerkennung des Staates Israel durch die Vereinten Nationen 1948, bevor das Buch mit einem Nachwort der Autorin endet.  

Fazit: Ein schwieriges Thema gut und einfühlsam umgesetzt. Ohne die Opfer zu missachten und die damaligen Gräueltaten zu trivialisieren, kann man durchaus ein Buch schreiben, das nicht nur kindgerecht ist, sondern auch hoffnungsvoll endet. Simons hat es mit Ein Flüstern in der Nacht gerade gezeigt. Was die Autorin in ihrem Nachwort über den Holocaust, ihre Geschichte aus Wahrheit oder Fiktion aber auch über die Organisation Courage to Care schreibt, war das Einzige, was ich vorab und sofort als für 10jährige geeignet gehalten hätte. Doch jede sonstige Buchseite hat mich eindeutig eines Besseren belehrt. Ich werde es nochmals und gemeinsam mit meiner Nichte lesen. Nicht nur weil ich das in ihrem Sinn für wichtig halte. Auch weil Ein Flüstern in der Nacht uns Erwachsene an wichtige Werte wie Menschlichkeit erinnert. Dafür möchte ich fünf von fünf Punkten vergeben.

Copyright © 2012, Antje Jürgens (AJ)

26. Oktober 2012

Ahrens, Renate: Ferne Tochter

Filed under: Belletristik,Roman — Ati @ 15:47

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Knaur Taschenbuch Verlag
ISBN-13: 9783426510933
ISBN-10: 3426510936
Belletristik
1. Auflage 10/2012
Taschenbuch, 288 Seiten
[D] 9,99 € 

 

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Eine Geschichte beginnt immer mit einer Figur, sagt Renate Ahrens. Die Geschichte ihres Lebens begann mit ihrer Geburt 1955 in Herford. Die Autorin studierte Englische Philologie und Romanistik und arbeitete vor ihrer Tätigkeit als freie Autorin als Lehrerin. Ihr Leben teilt sie nach Aufenthalten in Italien, Südafrika, Frankreich und Irland heute zwischen Dublin und Hamburg auf. Sie bezeichnet sich selbst als neugierigen Menschen, der gerne neue Welten – bei Auslandsaufenthalten – entdeckt. 

Die Figur, um die es im neuesten Roman von Renate Ahrens geht, heißt jedoch Judith. Judith ist Restauratorin, lebt in Italien und hütet sehr erfolgreich ein Geheimnis aus ihrer Vergangenheit. Am 28. September diesen Jahres war ich zur Buchpremiere von  Ferne Tochter im Speicherstadtmuseum Hamburg eingeladen. Leider konnte ich nicht hingehen. Umso mehr habe ich mich gefreut, als ich dann das Buch in Händen hielt.  

Niemand kann vor seiner Vergangenheit auf Dauer davonlaufen 

Rom, seit nahezu vierzig Jahren die Lieblingsstadt der Autorin, ist einer der Schauplätze, an dem die Geschichte der Hauptfigur Judith spielt. Judiths sorgsam aufgebautes Lügenkonstrukt bezüglich ihrer Vergangenheit samt bis dahin gut funktionierender Verdrängungstaktik droht ihre glückliche, aber kinderlose Ehe mit Francesco von heute auf morgen zu zerbrechen, als eine ehemalige Freundin aus ihrer alten Heimat sich meldet. Er weiß, dass sie alle Brücken hinter sich abgebrochen hat, kennt jedoch nicht den wahren Grund. Er ahnt nicht, dass sie eine mittlerweile erwachsene Tochter hat, die sie gleich nach der Geburt zur Adoption freigab. Er weiß nicht, die wahren Gründe für Judiths Flucht aus Deutschland. Und sie weiß nicht, wie sie ihm erklären soll, warum sie sich alleine um ihre Mutter kümmern muss, die nach einem Schlaganfall im Krankenhaus gelandet ist. Oder wie sie ihm gar von ihrer Tochter erzählen könnte, die den Kontakt zu ihr sucht. Bei ihrem anfangs widerwilligen Versuch, sich um ihre Mutter zu kümmern bzw. die Dinge zu klären, muss sich Judith nicht nur ihrer Vergangenheit stellen. Sie lernt auch ihre Mutter in gewisser Weise neu kennen und bekommt zumindest die Chance die Folgen ihrer aus Verzweiflung getroffenen Entscheidung abzumildern.

Der Titel passt in meinen Augen sehr gut, spiegelt er doch nicht nur Judiths Verhältnis zu ihrer Mutter, sondern auch zu ihrer Tochter wieder, das anfangs nicht distanzierter hätte sein können. Ferne Tochter  ist aus Judiths Sicht geschrieben. Die kurzen Sätze spiegeln nicht nur die innere Zerrissenheit von Ahrens Romanfiguren wieder, sie unterstreichen die aufwühlenden Emotionen der Grundthematik geradezu. Gefühlvoll und emphatisch führt die Autorin ihre LeserInnen wie ihre Figuren durch den Roman. Unfassbar, aber keinesfalls unmöglich, scheint dabei die Denkweise der Eltern Judiths anlässlich der Zeit, in der sie ihr uneheliches Kind bekommt. Die Geschehnisse der Vergangenheit sind gut proportioniert und gezielt in das aktuelle Geschehen eingestreut. Obwohl der Fokus eindeutig auf Judith liegt, bleiben auch Francesco und andere Figuren nicht flach und schon gar nicht nebensächlich.  

Ohne überfrachtete Beschreibungen oder gar melodramatische Auswüchse erzählt Ahrens Judiths Geschichte und regt zum Nachdenken an. Nicht nur, wie gefährlich noch so kleine Lügen sein können, sondern auch welchen Stellenwert die Familie hat oder zumindest haben sollte. Darüber, wie wichtig es ist, seine Wurzeln zu kennen. Darüber, wie blind man gegenüber Hilfsangeboten sein kann, oder wie schwer manche Dinge wieder gutzumachen sind. Erzählt von etwas, das direkt um uns passieren könnte. Authentisch, lebensnah, glaubhaft. 

Fazit:  Ein sehr berührendes Buch, das ich nur empfehlen kann. Ein Roman über Schuld und Vergebung, über Enttäuschung, Verzweiflung und Hilflosigkeit. Keine heitere Geschichte, aber trotz allem ganz und gar nicht hoffnungslos. Ferne Tochter bekommt fünf von fünf Punkten von mir und hat mir Appetit auf weitere Romane der Autorin gemacht. Wie gut, dass es da schon welche gibt.  

Copyright © 2012, Antje Jürgens (AJ)

25. Oktober 2012

Rautenberg, Juli: Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil

Filed under: Belletristik,Humor/Satire — Ati @ 16:48

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Blanvalet Taschenbuch Verlag
ISBN-13: 978-3442380220
ISBN-10: 3442380227
Belletristik
1. Auflage 10/2012
Taschenbuch, 416 Seiten
[D] 8,99 € 

 

Verlagsseite
Autorenblog 
 

 

Brächte ich so etwas über mich? Etwas wie die Suche nach dem Partner oder das Leben mit Selbigem in Form eines Blogs und/oder Buches zu veröffentlichen? Vermutlich eher nicht. Die Autorin Juli Rautenberg, die nach ihrem Studium als freie Lektorin arbeitet, hat es jedenfalls getan. Sie gerät nach eigenen Angaben schon mal bei warmem Schokoladenpudding in Versuchung und ist vom inzwischen leider verstorbenen Loriot fasziniert. Persönlich steht sie eher auf Krimis und Thriller. 

Darum handelt es sich bei Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil allerdings nicht. Um einen Direktangriff auf diverse Lachmuskeln allerdings schon. Es ist die Fortsetzung von Zwölf Monate, siebzehn Kerle und ein Happy End: Das Single-Experiment (2011 erschienen über Eichborn Verlag). Der Titel verrät es schon, darin beschäftigt sie sich mit der Suche nach dem Traummann. Bereits damit hatte die Autorin die Lacher auf ihrer Seite. Aber all das war vollkommen nebensächlich und es ist mir, während die diverse Lachsalven mein Zwerchfell erschütterten, nicht einmal andeutungsweise aufgefallen. 

Möglich, dass Rautenberg nicht alle Leser querbeet zum Lachen animieren kann. Aber wer kann das schon von sich behaupten. Bei den Leuten, mit denen ich zwischenzeitlich über Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil gesprochen habe, ist ihr das jedoch durchweg und spielend gelungen.  

Das Buch liest sich sehr leicht. Man kann es in einem Rutsch durchlesen oder es in Häppchen genießen, da es in handliche Kapitel die wiederum zu einem von zwölf Monaten zusammengefasst sind, geschrieben ist. Jedes der Kapitel ist auch mit überaus passenden Überschriften versehen.  

Man merkt schnell, das Juli, die sich manchmal wie der berühmte Elefant im Prozellanladen verhält, absolut nicht perfekt und selbstsicher ist, dafür aber sehr authentisch. Spritzig und freimütig, mit einer mehr als guten Prise Selbstironie, berichtet die Autorin von allem, was in einer neuen Beziehung so alles passieren kann. Was Verdauung und Verliebtsein über das V am Wortanfang hinaus miteinander zu tun haben, etwa. Von Eifersüchteleien und Minderwertigkeitsgefühlen. Von Fettnäpfchen und ersten Gewitterwölkchen. Bösen Schwiegermonstern und peinlichen Eltern. Von im ungünstigsten Moment auftauchenden Expartnern, von falschen Verdächtigungen und infantil-anmutenden Folgeaktionen bis hin zur Angst vor der vermeintlichen Endgültigkeit. Von inneren Schweinehunden und der eigenen anderen bösen, teils missgünstigen Seite. Von Verletzen und Verletztsein. Von allen Gefühlen, die es so zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt eben so gibt.  

Nicht immer hat es Konrad, ihre bessere Hälfte, einfach mit ihr und man kann ihm getrost Sinn für Humor und vor allem Durchhaltevermögen attestieren, weil er mit so ziemlich allem fertig wird. Nicht immer erfüllt er alle Erwartungen, die Juli an ihn stellt und doch begreift sie sukzessive, dass es manchmal besser ist, etwas zurückzustecken, um nicht alles kaputtzumachen. Und nicht alles, was Rautenberg so mitzuteilen hat, ist bei all der spielerischen Leichtigkeit, mit der sie davon berichtet, auch wirklich nur humorig, sie macht sich durchaus auch ernsthafte Gedanken darüber, dass sie sich selbst am meisten im Weg steht. 

Fazit: Genauso leicht und locker zu lesen, wie es geschrieben ist. Für alle die mal wieder lachen wollen und auch über sich selbst lachen können. Denn so sehr man sich manchmal an den Kopf fassen möchte, das Buch wirkt stellenweise wie ein Spiegel. Herrlich lebendig und mitten aus dem Leben bekommt es fünf von fünf Punkten von mir. 

Copyright © 2012, Antje Jürgens (AJ)

15. Oktober 2012

Spencer, Kristy & Tabita Lee: Dark Angels’Fall – Die Versuchung

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Verlag: Arena
ISBN: 9783401067858
ISBN: 3401067850
Fantasy, Jugendbuch (empfohlenes Alter 14 – 17 Jahre)
1. Auflage 08/2012
Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag, 483 Seiten
[D] 18,99 €

 

Verlagsseite

Autorenseite

Roman-Reihe 

 

Spätestens seit dem Erfolg des Auftaktromans der Dawna-und-Indie-Tetralogie (Dark Angels‘ Summer – Das Versprechen) und der damit verbundenen Veröffentlichung des Folgebandes ist bekannt, wer sich hinter den Pseudonymen Kristy und Tabita Lee Spencer verbirgt. Das Schwesternpaar Beate Teresa und Susanne Hanika ist auf dem deutschen Buchmarkt nicht ganz unbekannt. Während die 1976 geborene Beate Teresa mit mehreren Preisen für ein Jugendbuch prämiert wurde, schaffte es die acht Jahre ältere Susanne, eine erfolgreiche Kriminalromanreihe um ihre Ermittlerin Lisa Wild zu platzieren. Anlässlich der aktuell laufenden Buchreihe, die ihr erstes gemeinsames Projekt ist, dachten sie sich jedenfalls neue Namen aus, die passend zum Handlungsort und den Figuren der Dark-Angels-Reihe amerikanisch angehaucht anmuten. Auch die Informationen, dass ein Traum zu dieser Reihe inspirierte, dass sie gemeinsam auf einem einsamen Anwesen leben und gerne gemeinsam am frühen Morgen ausreiten, passen dazu. Das Anwesen liegt jedoch in Europa, genauer gesagt bei Regensburg.  

Für die Buchreihe ist es im Grunde genommen auch nebensächlich. Viel wichtiger ist es, dass man vor Dark Angels‘ Fall – Die Versuchung bereits den Auftaktroman gelesen hat. Ansonsten fehlt einfach etwas.

In diesem ersten Band entdecken die beiden Mädchen Indie und Dawna, dass sie nicht ganz so normal sind, wie sie bisher dachten. Und dass die Welt nicht so sicher ist, wie es scheint. Azrael, der Engel des Todes, soll erweckt werden und es ist an ihnen, diese Erweckung zu verhindern und quasi die Welt zu retten. Eine Grundidee also, die variierend immer wieder mal auf dem Buchmarkt auftaucht, dieses Mal mit Dunklen Engeln. Zwar ist es den beiden Teenagern gelungen, ihre Aufgabe bisher zu erfüllen, doch die Gefahr ist nicht gebannt.  

Nach der Schließung eines Engelstores sind einige dunkle Engel übrig geblieben, die ihr Unwesen in der Nähe der Mädchen und rund um Whistling Wing, der Farm die bisher ein sicherer Zufluchtsort war, treiben. Nach wie vor warten sie darauf, dass die Mädchen einen Fehler machen, der dafür sorgt, dass Azrael zurückkehren kann. Die dunklen Engel, die sich noch im ersten Teil eher als Vögel Schaden anrichten konnten, können nun zunehmend menschliche Gestalt annehmen. Ungefährlicher werden sie dadurch jedoch nicht. 

Während die beiden Schwestern noch im ersten Teil in den 33 Tagen, an denen sie gleich alt waren, über besondere Kräfte verfügten, fehlen ihnen diese Kräfte jetzt. Ausgerechnet jetzt, während die Dunklen Engel sich Whistling Wing immer mehr nähern. Ausgerechnet jetzt, wo Dawna über Mileys Verschwinden verzweifelt ist, der ebenfalls mehr ist, als er anfangs schien. Nebenbei kommt sie Dusk näher, der – es lebe das Fantasy-Genre – natürlich auch mehr als ein Hund beziehungsweise Wolf ist, während Indie gleichzeitig mehr oder weniger erfolgreich versucht, den Dunklen Engel Gabe auf Abstand zu halten, der dank den Gefühlen zu ihr menschliche Züge wie Mitgefühl und Liebe empfindet.  

Genau wie im Cover des Auftaktromans sieht man zwei junge Mädchen Rücken an Rücken stehen. Während dort passend zum Titel Sommerblumen zu sehen waren, sieht man auf dem Umschlag des zweiten Bandes herabfallendes Laub und Wind wirbelt die Haare der Mädchen auf. Dieses Motiv passt sehr gut, denn es deutet an, dass die Mädchen mehr oder weniger auf sich gestellt und aufeinander angewiesen sind.  

Auch in Dark Angels‘ Fall – Die Versuchung wird abgesehen vom Prolog jeweils ein Kapitel von Indie und dann eines von Dawna erzählt. Da diese Kapitel in der Ich-Form geschrieben sind, erfährt man trotz ständiger Perspektivwechsel nur die Sicht der Schwestern, ihre Vermutungen, Wünsche, Ängste. Um das Erkennen wer was erzählt zu erleichtern, hat der Arena-Verlag Indies Kapitel jeweils am Anfang bzw. unten auf den Seiten mit einer pinkfarbenen und Dawnas Kapitel mit einer schwarzen Feder verziert und man findet darüber hinaus auch den entsprechenden Namen über dem jeweiligen Kapitel. Zusätzlich kann man am mal eher wütend und frustrierten und dann wieder hilflos und ängstlichen Tonfall erkennen, wer gerade zu Wort kommt.  

Im zweiten Teil kommen weitere Geheimnisse und Figuren hinzu und die Mädchen merken mehr und mehr, dass es kaum jemanden gibt, dem sie trauen können. Die, die ihnen vertrauenswürdig vorkommen, fallen nicht nur im ersten Band den dunklen Engeln zum Opfer. Die, die ihr Vertrauen nicht verdienen, scheinen zumindest zeitweise auf ihrer Seite zu stehen.  

Das klingt spannend. Doch bedauerlicherweise liegt genau in dem Versuch, dadurch weitere Spannung aufzubauen, ein Manko. Denn es werden so weder die noch offenen Fragen des ersten Bandes geklärt, noch werden neu aufkommende Fragen erschöpfend beantwortet. Was im Auftaktroman noch damit erklärt werden kann, dass die Leser an die Thematik herangeführt werden sollen, sorgt nun auch im zweiten Band für unnötige Längen. Die offenen Fragen aus dem ersten Band stören in Kombination mit weiteren Fragen, Andeutungen und Geheimnissen im zweiten Band den Lesefluss bzw. lassen diesen erst gar nicht so richtig aufkommen. Und so lässt auch die im ersten Band aufgebaute geheimnisumwitterte Atmosphäre im zweiten Band bedauerlicherweise deutlich nach. Die Wiederholung bestimmter Aussagen im Hinblick auf die Gefahr sorgt für keine Steigerung, sondern generiert die bereits angesprochenen Längen. Auf den 483 Seiten von Dark Angels‘ Fall – Die Versuchung steht zwar vieles, aber im Grunde erfährt man nichts bahnbrechend Neues und die Geschichte entwickelt sich nicht wirklich weiter.  

Die beiden Figuren tun das dennoch mehr oder weniger. Dawna, die noch im ersten Band eher ruhig und eine Ja-Sagerin war, ist mittlerweile eigenwillig, fast trotzig-bockig, macht sich ständig Gedanken um die drohende Gefahr und die Abwendung derselben. Sie ist nicht mehr ganz so introvertiert wie im ersten Teil. Im Gegenzug dazu zeigt sich Indie mit ihrem lockeren Mundwerk in Dark Angels‘ Fall – Die Versuchung zeitweise verletzlich und hilflos, nachdenklicher als im Vorgängerband. Bedauerlicherweise macht das die Sache für LeserInnen nicht zwingend spannender.  

Angesichts der Brisanz, die das Wissen um einen drohenden Untergang der bisherigen Welt mit sich bringen dürfte, denken sowohl Indie als auch Dawna sonderlich weit im Hinblick auf ihre Bestimmung. Das erklärt sich auch nicht dadurch, dass die beiden Mädchen quasi von niemandem wirklich eingeweiht mit dem Geschehen konfrontiert werden. Dawnas Gedanken drehen sich im zweiten Band der Reihe vorwiegend um den verschwundenen Miley. Doch ist ihre Suche nach ihm mutig gestaltet? Glaubwürdig? Wohl kaum, denn in diesem Zusammenhang übersieht sie nicht nur mehrfach drohende Gefahren, scheint sie fast zu negieren und benimmt sich eher wie ein typischer Teenager, der in mehr als blindem Aktionismus handelt. Zwar kann man jetzt einwenden, dass sie ja genau das ist, doch sollte man angesichts der ständig angedeuteten Gefahr, in der sie sich, Indie und überhaupt die Welt wähnt, doch irgendwie annehmen, dass sie besonnener reagiert. Dass sie Indie dadurch in unnötige Gefahrensituationen mit hineinzieht, scheint ihr übrigens vollkommen egal zu sein. Gleichzeitig wirkt es wenig einleuchtend und unpassend oberflächlich, wenn sie die ach so drängende Suche nach Miley und mehr noch die mehr oder weniger permanente Flucht vor den Dunklen Engeln unterbricht bzw. vergisst, weil mal eben ein paar Gäste für die Engelsseminare ihre Mutter vom Bahnhof abgeholt werden müssen. Auch Indie denkt beständig an die Gefahr an sich. Jedoch: Immer nur zu insistieren, wie gefährlich etwas ist, macht die Sache für LeserInnen nicht spannender oder manche der Gedankensprünge der Mädchen keineswegs nachvollziehbarer.  

Wenig überzeugend wirkt auch der Erzählstrang um ihre Mutter und deren Verdacht, schwanger zu sein. Überhaupt, das Engelsseminar oder allgemein das alltägliche Leben um die grundsätzlich doch eher wahnsinnig machenden und zumindest Besorgnis erregenden Vorkommnisse, scheint ganz normal weiterzulaufen. Es gibt zwar vieles, was uns selbst im Alltag entgeht und was durchaus gefährlich oder besorgniserregend ist, doch irgendwie fehlt spätestens in Dark Angels‘ Fall – Die Versuchung ein glaubwürdig konstruiertes Umfeld. Und die Idee, die im Auftaktroman noch eher als Vögel dargestellten Dunklen Engel, im Folgeband zunehmend in Leder gehüllt auf Motorrädern zu präsentieren, rettet die Geschichte auch nicht unbedingt.  

Wie bereits im ersten Band ist auch Dark Angels‘ Fall – Die Versuchung in einem einfachen Schreibstil abgefasst, der dieses Mal jedoch mit weitaus zahlreicheren Kraftausdrücken und Flüchen gespickt ist. Was im ersten Buch noch amüsant, ja spritzig wirkte, verliert in dieser Fülle eindeutig an Reiz. Auch scheint es überaus cool zu sein, mal eben ein Pumpgun geschenkt zu bekommen. Indie oder Dawna erhalten dieses Geschenk zwar nicht, aber die Art und Weise, wie sie über die Nutzung desselben denken, ist auch nicht besser. Mag sein, dass dies dem jugendlichen Zielpublikum geschuldet ist. Wirklich passend fand ich beides nicht, denn man kann ein spannendes Jugendbuch durchaus anders gestalten. Hinzu kommt, dass Indie und Dawna zwar in gewisser Weise durch ihre Sprunghaftigkeit und ihr Hin- und Herschwanken zwischen den Gefühlen für Miley und Dusk, Gabe oder eben nicht Gabe, durchaus authentisch als Teenager präsentiert werden, im gesamten Erzählkonstrukt dennoch nicht völlig überzeugen.  

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Vielleicht liegt es an meinem Alter, vielleicht daran, dass ich den Fehler gemacht habe, mit dem zweiten Band der Reihe zu beginnen und den ersten dann quasi erst nachzuholen. Doch weder dieser erste Band (Dark Angels’Summer – Das Versprechen) noch seine Fortsetzung Dark Angels‘ Fall – Die Versuchung konnten mich überzeugen. Die Handlungsstränge wirken teils zu mühsam konstruiert. Sie laufen nicht schlüssig zusammen, was sie angesichts des erst zweiten Bandes ja auch nicht zwingend müssen; andeutungsweise logisch nebeneinander her zu laufen, hätte der Geschichte jedoch keinen Abbruch getan. Diese strotzt zudem vor Klischees und Andeutungen, die die an sich gute Grundidee zu sehr in die Länge ziehen. Die eigentliche Aufgabe der Mädchen hätte schon ausreichend Stoff für eine gute Geschichte geboten. Dieser Teil verliert durch den ebenfalls beschriebenen Alltag eindeutig an Glaubwürdigkeit. In zwei Bänden sind unzählige Fragen aufgeworfen worden, deren Beantwortung größtenteils offenbleibt. Da ich ungern negative Bewertungen abgebe, weil ich weiß, wie viel Herzblut für gewöhnlich in einem Roman steckt, habe ich beide Bücher vor dieser Buchbesprechung zwei Mädchen gegeben, die alterstechnisch in die empfohlene Zielgruppe passen. Beide haben unabhängig voneinander meine Meinung bestätigt, weshalb ich Dark Angels‘ Fall – Die Versuchung (und im Grunde auch Dark Angels’Summer – Das Versprechen) nur zwei von fünf Punkten geben möchte.

Copyright © 2012, Antje Jürgens (AJ)

13. Oktober 2012

Yates, Richard: Eine gute Schule

Filed under: Belletristik,Buch- & Sammelreihe,Roman — Ati @ 13:38

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Verlag: Deutsche Verlags Anstalt
Originaltitel: A good school
Aus dem Englischen übersetzt von Eike Schönfeld
ISBN: 9783421043948
ISBN: 3421043949
Belletristik
gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag, 240 Seiten
[D] 19,99 €
1. Auflage 09/2012

Verlagsseite

Nachdem seine Bücher weder im Original noch in Übersetzungen jahrelang nur schwer bis gar nicht erhältlich waren, veröffentlicht die DVA nach dem Tod (1992) des 1926 in Yonkers (New  York) geborenen Autors sukzessive sein Gesamtwerk – darunter auch die Übersetzung des 1978 im englischen Original veröffentlichten Romans Eine gute Schule.  

Yates, gilt als einer der größten Existenzialisten und Fatalisten der Moderne – nicht nur in den Augen des Zeit-Redakteurs, der das einmal über ihn schrieb. Dennoch fand er zu Lebzeiten weniger durch seine Romane Beachtung, sondern machte vielmehr mit Alkoholproblemen oder Abstürzen in die Psychiatrie auf sich aufmerksam. Dessen ungeachtet zählt er zu den wichtigsten Autoren der Amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Was ihn tatsächlich in seine Exzesse trieb, bleibt sein Geheimnis. Eine durch eine Scheidung der Eltern verkorkste Kindheit? Die eigene Scheidung und der damit verbundene Sorgerechtsstreit um seine Töchter? Eine schwerwiegende Erkrankung? Seine Erlebnisse als Soldat im zweiten Weltkrieg? Oder die harten Zeiten der Wirtschaftskrise? Wer weiß?  

Neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller, der wir sieben Romane und zwei Erzählbände verdanken, verfasste Yates in den späten 1960ern für eine kurze Zeit Reden des US-Senators Robert Kennedy und war als Journalist und Werbetexter tätig. Sein erster Roman wurde bereits 1961 veröffentlicht. Obwohl er zunächst wohlwollend aufgenommen wurde, geriet er bald in Vergessenheit. Eben dieser Roman kam vor ein paar Jahren mit Leonardo Di Caprio und Kate Winslet unter Regisseur Sam Mendes verfilmt unter seinem deutschen Titel Zeiten des Aufruhrs ins Kino. Meine erste Berührung mit Yates. 

Bereits aus der Titulierung „großer Existenzialist und Fatalist“ kann man schließen: Kein sehr fröhlicher Film nach keiner sehr fröhlichen Romanvorlage. Überhaupt gibt es in all seinen Romanen keine fröhliche oder hoffnungsmachende Grundnote. So hoffnungsvoll vielleicht seine Figuren auch von ihrer Form von Glück träumen mögen, alle enden ohne Happy End. Ja noch nicht einmal mit etwas, das auch nur entfernt an ein Happy End erinnern könnte.  

Trostlos und trist, so ist auch Eine gute Schule aufgebaut. Das persönliche Drama und Unglück auch darin keine hoffentlich schnell vorübergehende Begleiterscheinung des Lebensalltags sondern bitterer Kern. Auch dieser Roman erzählt von der Hoffnungslosigkeit des amerikanischen Mittelstandes. Einer Klasse also, deren Leben ansonsten eher schön gemalt oder gar nicht beachtet wird. Mit einfachen, klaren Worten, ohne Schnörkel und Beschönigungen, erzählt Yates in Eine gute Schule die Geschichte des jungen William Grove, der Anfang der 1940er auf kleines, privates Internat in Neuengland kommt. Es wird gesagt, dass Eine gute Schule der persönlichste Roman Yates‘ ist. Tatsächlich spielt er in dem Zeitraum, in dem er selbst zur Schule ging. Wie viel davon autobiografisch und was schriftstellerisch erdacht ist – diese Frage kann er uns heute nicht mehr beantworten.  

Seine Hauptfigur Grove ist jedenfalls 15 und ein Außenseiter. Doch ist er das wirklich? Im Grunde sind alle Charaktere in dem Roman – und davon lernt man mit Yates einige kennen – Außenseiter. Obwohl der eine oder andere von ihnen eher auf der Gewinnerseite zu stehen scheint, gewinnt keiner von ihnen wirklich. Alle scheitern früher oder später an einer stumpfen Realität und doch überleben die meisten irgendwie. Grove kann nur dank eines Stipendiums auf diese Schule, denn sein Vater bringt das Schulgeld kaum auf. Seine Mitschüler lassen ihn das spüren, wie sie überhaupt jede Schwäche anderer gnadenlos ausnutzen. Er erlebt Erniedrigungen und Zurückweisungen, nur weil seine Mutter darauf hofft, dass ihm durch den Besuch dieser Schule die Möglichkeit gegeben wird, in höhere Kreise aufzusteigen. Etwas was ihr selbst verwehrt war. Einzig die Mitarbeit an der Schülerzeitung scheint dem Jungen einigermaßen Freude zu bereiten.  

Im Grunde zeigt sich Grove jedoch genauso berechnend wie die anderen, nutzt Vorteile wenn sie sich ergeben und lässt andere zurück, wenn er sich etwas davon verspricht. Das teils grausam anmutende, bisweilen melodramatisch und seltsam erwachsen wirkende Zusammenleben pubertierender Jungen prägt seinen Alltag.  

Doch Yates lenkt unseren Blick nicht nur auf Grove und seine Mitschüler allein. Da ist die Schule an sich, die eigentlich nur dank einer schrulligen Gönnerin überleben kann, die den Traum von einer guten Schule hat. Einer Schule, die etwas bewegt und in der Jungen sich entwickeln können. Einfach, weil sie selbst als Frau diese Möglichkeit in dieser Form nie hatte. Der Autor lässt uns auch gleichermaßen unverstellte wie flüchtige Blicke auf die Lehrerschaft und ihre Familien werfen. Denn auch diese haben ihre Probleme und Sorgen. Seitensprünge, Krankheiten, Süchte und Zukunftsängste. Nicht nur weil die Schließung der Schule droht, sondern weil es da auch noch diesen drohenden Krieg gibt. Ein Krieg der dafür sorgt, dass manche der Schülern sich freiwillig melden. Die zurückgebliebenen Schüler erhalten erste Todesnachrichten der Freiwilligen und wissen, dass sie spätestens nach Abschluss der Schule eingezogen werden, es ist nur eine Frage der Zeit.  

Über den gesamten Roman baut sich angesichts der Erlebnisse keine große Spannung auf. Tatsächlich plätschert er in seiner Tristesse gleichsam vor sich hin, ohne je wirklich langweilig zu sein. Der stellenweise flüchtige wie gleichermaßen eindringliche Erzählstil des Autors lässt den Lesefluss nicht wirklich versiegen, entwickelt sich aber auch nicht in einen reißenden Strom. 

Jahre nach Kriegsende lässt Yates Grove einen Blick zurückwerfen und auch dabei wird klar, dass es zwar irgendwie weitergegangen ist, aber natürlich auch deutlich schlechter hätte kommen können. Hoffnung? Nein, die sieht anders aus. Also typisch Yates eben. Nicht schönmalerisch. Dafür aber klar und irgendwie am realen Leben.  

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Mit Eine gute Schule hält man ein bedrückendes Buch in Händen. Keines dass man einfach so nebenbei lesen sollte und kann. Wer ein Happy End liebt sollte auf alle Fälle die Finger davon lassen. Aber mal ehrlich: Wer erwartet das schon bei jemanden, der für seinen existenziellen und fatalistischen Erzählstil gerühmt wird? Ich möchte für Eine gute Schule vier von fünf Punkten vergeben.

Copyright © 2012 Antje Jürgens (AJ)

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