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12. November 2010

RIEBE, BRIGITTE: DIE NACHT VON GRANADA

Filed under: Abenteuer,Belletristik,Historisch,Jugendbuch,Roman — Ati @ 16:44

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ISBN 978-3570136805
historischer Roman, Thriller, Liebesgeschichte, Jugendbuch ab 12 Jahre
Originalausgabe 2010
Umschlaggestaltung Geviert – Büro für Kommunikationsdesign
Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag, 400 Seiten
€ 15,99 [D] 

Verlagsseite
Autorenseite         

Die 1953 in München geborene Brigitte Riebe studierte Geschichte, Germanistik und Kunstgeschichte, ist promovierte Historikerin und arbeitete als Museumspädagogin und später als Verlagslektorin bei Bertelsmann. Diese Stelle gab sie 1991 zugunsten einer Tätigkeit als freie Schriftstellerin auf. Genre übergreifend schrieb sie seither etwa 30 Romane. Sie ist über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt, da ihre Romane in über acht Sprachen übersetzt wurden.  

In den 1990er Jahren verfasste Griebe moderne Gesellschaftsromane. Darüber hinaus erschien bei Goldmann 1992 der erste Band einer letztlich achtbändigen Krimireihe um die Juristin und Antiheldin Sina Teufel. Diesen und die folgenden sieben Bände verfasste die Autorin jedoch unter dem Pseudonym Sara Stern. Im achten Roman der Krimireihe verabschiedete sich Riebe/Stern von ihrer Hauptfigur. Einer der Bände wurde Mitte der 1990er Jahre unter anderem mit Rufus Beck unter dem Titel Inzest filmisch in Szene gesetzt.  

Während in den 1990ern neben ihren modernen Gesellschaftsromanen nur zwei historische Romane erschienen, verlagerte sich der Schwerpunkt ihrer schriftstellerischen Tätigkeit ab 2000 eindeutig auf den historischen Roman. Seither erschienen 11 weitere Romane mit dieser Thematik, wovon zwei als Jugendbücher verlegt wurden. Eines davon möchte ich heute vorstellen.  

Geht man auf die Verlagsseite, erfährt man Folgendes über den Inhalt: 

Packender Thriller und mitreißende Liebesgeschichte 

Granada 1499: Die 16-jährige Lucia, Tochter des Goldschmieds Antonio, ist seit ihrer Kindheit eng befreundet mit Nuri, der Tochter des Steinschleifers Kamal. Und verliebt in Rashid, Nuris Bruder. Eine solche Verbindung wird jedoch undenkbar: Nach der Vertreibung der Juden richtet sich das spanische Königspaar nun gegen die Mauren, die in Granada jahrhundertelang friedlich mit Juden und Christen zusammengelebt haben. Kamal gerät in die Fänge der Inquisition, die ihre Fühler auch nach Antonio ausstreckt. Lucia ist verzweifelt. Da tritt Miguel auf den Plan, ein junger Steinschleifer, der Lucias Gefühle heftig durcheinanderbringt … 

Diese Geschichte ist auf 358 Seiten verteilt in Worte umgesetzt, gebunden und mit einem Schutzumschlag versehen worden, der durch das ruhige Gesicht vor der mondbeschienenen Kulisse Granadas schlicht aber schön wirkt. Das Buch soll für LeserInnen ab 12 Jahren sein. Ein Nachwort, in dem die Autorin auf die damalige Zeit und einen Bezug zum Dritten Reich eingeht, füllt zusammen mit einem Anhang aus alphabetisch sortierten Begriffserklärungen die restlichen Seiten.

Nicht zum ersten Mal streckte die Autorin also ihre Recherchefühler in die Vergangenheit aus. Dieses Mal entführt sie LeserInnen in die Zeit der erzwungenen Christianisierung Granadas. Einer Stadt, in der muslimische Mauren viele Jahrhunderte als Herrscher in friedvoller Gemeinschaft mit den beiden anderen großen Religionen (Christentum und Judentum) lebten. Ein Leben, in dem Kultur und Wissen einen hohen Stellenwert hatten. Ein Leben, in dem Freundschaften entstanden, die Familienverhältnissen glichen und in dem sich lange Zeit niemand an der Andersartigkeit der Glaubensrichtungen störte. Sie nicht nur tolerierte, sondern mit lebte.  

Doch all das hat ein Ende, als, kurz nachdem die Juden erfolgreich ausgegrenzt und gejagt wurden, auch die Mauren dazu gezwungen werden, den christlichen Glauben anzunehmen oder zu fliehen, wenn sie dem Tod entgehen wollen. Ein sehr düsteres Kapitel in der Kirchengeschichte, der Geschichte des spanischen Königshauses, der Menschheit überhaupt. Ein Kapitel, das deutlich vor Augen führt, was im Namen des Glaubens alles angerichtet wurde und bedauerlicherweise immer noch wird. Riebes Roman stimmt nachdenklich, wirft die Frage auf, wie das Verhältnis der Weltreligionen untereinander heute wohl sein könnte, wenn damals nicht aus Machtgier und künstlich heraufbeschworenem Hass unter dem Deckmantel des Glaubens so viel zerstört worden wäre.  

Diese gewaltsame Christianisierung, die mit verständlicher Gegengewalt vonseiten aufständischer Muslime beantwortet wird, ist einer der Themenstränge in Riebes Geschichte. Eng verbunden damit ist der Zweite, der die Aufklärung eines Diebstahls betrifft, und wiederum mit dem Dritten, einer religionsübergreifenden Liebesgeschichten verknüpft ist.  

Diese Grundgedanken an sich haben mir gefallen, allerdings empfand ich sowohl die einzelnen Charaktere als auch die Handlungsstränge stellenweise zu flach. Es mag sein, dass das an meinem Alter liegt, das nicht mehr der Zielgruppe (ab 12 Jahren) entspricht. Allerdings habe ich mit der Freigabe für diese Zielgruppe auch so meine Probleme. Warum? Nun das Buch ist zum einen angenehme Alternative zu den derzeit auf den Markt befindlichen Fantasygeschichten für junge LeserInnen, vermittelt nachvollziehbar historische Begebenheiten und ergeht sich trotz der darin beschriebenen Brutalität nicht in Gewaltorgien. Auch die Sexualität wird nicht als verkaufsförderndes Element mit einbezogen. Dennoch würde ich persönlich es meinen Nichten in dem Alter noch nicht geben, wobei ich auch denke, dass diese ganz leichte Probleme mit dem Sprachgebrauch der Autorin hätten. Ihre Sprache ist einfach, wirkt aber bisweilen fast melodramatisch und lässt dann wiederum an Tiefe vermissen.  

Die, laut Klappentext, mitreißende Liebesgeschichte von Lucia und Rashid ist leider nicht wirklich tief gehend beschrieben. Sie enthält romantische Momente, geht aber genau genommen fast verloren. Fast gleichwertig scheint die Beziehung der muslimischen Haushälterin und Geliebten zu Lucias Vater. Auch die zarten, sich zwischen Nuri und Miguel anbahnenden Bande, verblassen in ihrer Andeutung und werden für mich nicht ausreichend beleuchtet, gehen fast unter gegenüber der Erwähnung der Gefühle, die ein befreundeter Priester für Lucias Tante empfindet. Selbst unter Berücksichtigung dessen, dass die Liebesgeschichte ja hauptsächlich um Lucia und Rashid gehen soll, wobei Lucias Gefühle wegen Miguel durcheinandergeraten, gewinnt dieser Strang nicht an Faszination. Daneben erscheint sowohl die Aufklärung des Diebstahls als auch der Part, der an dieser Stelle eingreifenden Inquisition, zu eindimensional und vorhersehbar dargestellt. 

Gelohnt hat es sich für mich trotzdem, das Buch zu lesen. Denn der erstgenannte Handlungsstrang rettet Riebes Geschichte. Die Nacht von Granada ist nicht nur der Titel des Buches, sondern auch der Gipfel dessen, was damals passierte. Die unnötige und berechnende Vernichtung von Wissen und Kulturschätzen durch den Erlass der Verbrennung aller arabischen Schriften, die damals zu wochenlangen Aufständen führte. Riebes Beschreibung des Vertrauensbruchs, den die Kirche und spanische Krone durch die Missachtung des Übergabevertrages der Stadt von den bisherigen an die neuen Machthaber begangen hat, ist sehr gut gelungen. Ebenso die Schilderung der erzwungenen Taufen und der Diskriminierungen, die die maurische Bevölkerung ertragen musste. Ihre den Umstand beschreibenden Worte, dass Angst vor einer ungewissen Zukunft Stimmungen weckt, die massenhysterische Züge annehmen können, sind nachvollziehbar echt gewählt. Da auch die Tatsache, dass es schon immer in allen Glaubensgemeinschaften Menschen gegeben hat, die ihren Glauben gelebt und nicht missbraucht haben, nicht zu kurz kommt, gefiel mir der für mich eigentliche Hauptstrang gut.

Fazit

Vielleicht ist es etwas weit hergeholt, aber historische Romane wie Die Nacht von Granada können mit dazu beitragen, dass es ein besseres Verständnis zwischen den Religionen geben kann. Das ist leider auch in der heutigen Zeit noch ein nach wie vor aktuelles Thema. Und damit wird das Buch, trotz anfänglicher Bedenken, dann doch wieder etwas für junge LeserInnen. Und ältere Fans historischer Romane kommen auch nicht zu kurz.

Copyright © 2010 by Antje Jürgens (AJ)

31. Oktober 2010

Jahnke, Stefan: Ausgelöscht

Filed under: Belletristik,Historisch,Roman — Ati @ 22:24

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BoD – Books on Demand, Norderstedt
ISBN 978-3837087253
Historischer Thriller
Originalausgabe 2009
Umschlaggestaltung Stefan Jahnke
Taschenbuch 310 Seiten


Autorenseite

Obwohl der 1967 geborene Autor seine Liebe zum Schreiben früh entdeckte, wagte er sich erst 2008 an Romane heran. Seither erscheinen mit schöner Regelmäßigkeit Bücher von ihm. Sein Spektrum reicht von Krimis und Thrillern über historische Romane bis hin zu Reiseberichten. Die privaten wie beruflichen Interessen des studierten Maschinenbauers sind breit gefächert. So arbeitete er unter anderem in einer Werbeagentur in London. Diese Tätigkeit ging in Anstellungen in der Verlagsbranche über, was wiederum von der Leitung und Beteiligung an einer Bildungseinrichtung oder leitenden Forschungs- und Entwicklungsaufgaben bei einem der größten Reprografen Deutschlands abgelöst wurde. Jahnke ist verheiratet und lebt zusammen mit seiner Frau und zwei Kindern in Dresden und Radebeul. Er ist Mitbegründer des Autorenvereins Kristallfeder.

Das Cover ziert das Foto einer verschneiten Landschaft und lässt noch nicht viele Rückschlüsse auf das Buch zu.

Laut Inhaltsangabe geht es jedenfalls ins Mittelalter. Jahnkes Schreibstil, obwohl sofort klar erkennbar, bedient sich einer etwas anderen Sprache als sonst. Einer, die mir auf Mittelaltermärkten begegnet ist, was das Eintauchen in die Geschichte für mich gleichermaßen erleichterte, wie erschwerte. Denn der Autor lässt seine Charaktere nicht nur so sprechen und denken. Seine Beschreibungen von Dingen, Gegenden und/oder Begebenheiten sind genauso gehalten.  

Leser, die sich darauf einlassen, landen in einer Welt, in der die Bevölkerung den willkürlichen Entscheidungen und Launen ihrer Landesherren und der heiligen Kirche unterworfen waren, die ihre Dogmen genau wie ihre Vormachtstellung auf Biegen und Brechen halten wollten. Was dafür getan werden, wer dafür bezahlen musste, war völlig gleichgültig. Die Kirche ging dafür so weit, ein ganzes Dorf verschwinden zu lassen.

Doch das kristallisiert sich erst später heraus. Zunächst einmal lernt man im Prolog jenen Ritter kennen, der später mit zur Aufklärung des Sachverhalts beiträgt. Einen Menschen mit allen Fehlern und Schwächen der damaligen Welt, der bisweilen allerdings schon wie jemand zu denken scheint, der etwas später gelebt und andere Denkweisen gelernt hat. Der, obwohl seit Jahren ein treuer und loyaler Diener seines Herrn, trotzdem immer damit rechnen muss, in Ungnade zu fallen. Und dem geht es zu Anfang gar nicht gut. Ihm droht Folter oder gar der Tod, weil er seinem Herrn nicht das besorgen konnte, was der wollte – ein wirksames Mittel gegen die Pest und andere Gebrechen. Dabei konnte er das gar nicht, denn Eich, ein Dorf, das jahrzehntelang neben zahlreichen Wundern (in Form von Heilungen) auch für Ärger sorgte, ist mit Mann und Maus, Haus und Hof verschwunden. Nichts scheint mehr darauf hinzudeuten, dass dort überhaupt jemals eine florierende Siedlung stand. Nur mit einigem Glück kann Hannes Balthasar überzeugen gen Eich zu ziehen, um sich selbst von dieser Ungeheuerlichkeit zu überzeugen.

Danach geht es in die eigentliche Geschichte und der Leser lernt den ungestümen Balthasar kennen, der trotz seiner Jugend von gerade mal 13 Jahren nicht vor Raub, Unterdrückung und Vergewaltigung zurückschreckt und schon eine Gruppe um sich schart, die ihn ein Leben lang begleitet. Bereits allein durch ihn wird deutlich, dass Frauen damals weniger als Vieh galten, das die arme, z. T. hungernde Bevölkerung geknechtet und ausgepresst wurde und gegen all das wenig unternehmen konnte, weil sie quasi zum Besitz des Landesherren gehörten. Und der Junge – Balthasar – ist der Sohn dieses Landesherren, und schreckt übrigens auch nicht davor zurück, den eigenen Vater zu bestehlen.

Dann jedoch geschieht etwas, was den Hitzkopf Balthasar zum Umdenken bewegt. Er wird kein Heiliger, aber er ändert sich. Es ist ein langsamer, aber unaufhaltsamer Prozess, der beginnt, als sich ihm der unbewaffnete Holger von Roßberg in den Weg stellt. Er ist aufgrund einer Eingebung nach Eich gezogen, um den Bewohnern dort beizustehen. Etwas an dem Mann lässt Balthasar innehalten und wieder und wieder nach Eich kommen, um von ihm zu lernen. Dabei könnte er ihn kurz nach ihrem Kennenlernen, ohne irgendwelche Repressalien fürchten zu müssen, vernichten. Denn Balthasars Vater stirbt und er, obwohl er das Mündel seines älteren Bruders Friedrich ist, wird zum Herrn über die Wartburg. Doch er merkt schnell, dass er mehr von einem lebendigen als von einem toten von Roßberg profitieren kann.

Der junge Herr der Wartburg hebt bald schon seine schützende Hand über die Gemeinde Eich und von Roßberg. Schutz ist nötig, denn was von Roßberg bewirkt, lässt das Misstrauen der Kirche erwachen. Seine Bemühungen sind nicht ganz ungefährlich, denn auch Adlige können schnell unter Kirchenbann gestellt werden. Damit taucht der Autor in einen sehr dunklen Abschnitt der Glaubensgeschichte ein. Die damalige Kirche verteilte Vergebung und Gnade nicht an Bedürftige, sondern an zahlende Kundschaft. Doch der Autor geht weiter, erinnert an die Welle von Tod und Verderben, die die damalige Kirche lostrat, um ihre Machtposition zu halten.

Deshalb sorgt Balthasar auch dafür, dass König Karl und der amtierende Papst Eich ebenfalls Schutz bieten. In diesem Zusammenhang lernt auch der Ritter Hannes den geheimnisumwobenen Ort und den Mann kennen, der dafür verantwortlich ist. Der Heiler bringt nicht nur Balthasar viel bei, sondern sorgt durch seine wundersam wirkenden Handlungen dafür, dass die bis dahin unscheinbare Gemeinde zu einer blühenden Siedlung heranwächst und Pilgerströme anzieht. Während das übrige Land unter der Pest leidet und Raubrittertum, Verwahrlosung und Hunger sich ausbreiten, blüht neben Eich auch der Verwaltungsbereich auf, den Balthasar leitet. Bis, ja bis eben zu jenem schicksalshaften Tag Jahre später, an dem Eich von heute auf morgen verschwunden zu sein scheint. Zauberei? Eine dreiste Lüge und Verschwörung seines bisher treuen Ritters Hannes und des Heilers von Roßberg?

Erst als Balthasar sich mit eigenen Augen von dem an sich unerklärlichen Phänomen überzeugt, erteilt er Hannes den Auftrag, nach einer Klärung zu suchen. Sehr bald stellt sich heraus, dass die Kirche etwas mit dem Verschwinden zu tun haben muss. Eine Kirche, die damals schnell etwas als Häresie und Ketzerei abtat, die Menschen folterte, ertränkte oder verbrannte, nur weil sie anders dachten, altes Wissen hegten und pflegten, etc. Nur – welcher der gerade amtierenden Päpste hat den Auftrag erteilt? Und was ist aus den Menschen von Eich geworden, allen voran aus Holger von Roßberg? Was haben die Templer mit diesem Ort zu tun, die von der Kirche verfolgt werden, weil sie Maria Magdalena verehren und nicht als Hure abstempeln? Was haben sie mit dem Ritter selbst zu tun. Von diesem Handlungsstrang (Templer) hätte ich ehrlich gesagt gerne mehr gelesen. Aber er fügt sich auch so gut in die Geschichte ein.

 

Der Autor schlägt einen weiten Bogen, der letztlich im Epilog in Schottland mit Hannes endet, Jahre nach dem Verschwinden von Eich oder dem Tod Balthasars, der beteiligten Päpste oder Könige.

Die von Jahnke gewählte Sprache, das Herausstellen der teilweise recht verqueren Ansichten sogenannter „Edler“ und „Ritter“, das Schlaglicht auf ein sehr dunkles Kapitel in der europäischen Geschichte – all das führt den Leser durch die 310 gut gefüllten Seiten.

Seiten, die auch flüchtig davon sprechen, dass man ohne Vergangenheit, ohne das gelebte Wissen langjähriger Erfahrungen, wohl existieren, aber nicht immer unbedingt gut leben kann. Diese Thematik ist nach wie vor aktuell und wird doch so oft ignoriert. Ebenso aktuell, wenn auch in veränderter Form, ist der Umstand, dass auch heute noch sinnlose Opfer auf dem Altar der Machterhaltung gemacht und gebracht werden, sowohl vor religiösen wie auch wirtschaftlichen Hintergründen. Auch wenn vieles in Jahnkes Roman reine Fiktion ist, der weitergesponnene Faden einer teilweise sicher belegten Recherche – man stellt sich unwillkürlich die Frage, welch ungeheurer (Wissens-)Schatz verloren ging, weil ein machthungriger Teil einer Organisation, der weit jenseits dessen scheint, was Glauben bedeuten sollte, seine Interessen rücksichtslos und zielstrebig wahrte. Führt allgemein betrachtet vor Augen, dass einige wenige reichen, um viele zu unterdrücken; Halbwahrheiten oder gar Lügen zu verbreiten, wenn sie es geschickt anstellen. Intrigen zu spinnen, die in die heutige Zeit reichen, auch wenn sich vieles zum Besseren geändert haben mag. Macht klar, dass viele vieles über sich ergehen lassen, weil sie eigentlich nur eins wollen: Leben.

Beim Lesen des Titels fiel mir übrigens ein Spruch ein. Ich weiß nicht, von wem er stammt, aber er lautet: „Alles, was lebt, sich bewegt, hinterlässt eine Spur. Keine Tat wird ausgelöscht, kein Gedanke fällt ins nichts.“ Dass an dem Spruch etwas dran ist, belegen die Worte des Autors ganz vorne im Buch. Eich und andere Orte mögen aus welchen Gründen auch immer ausgelöscht worden sein. Doch etwas von ihnen lebt weiter: In Archiven, Gedanken, Erinnerungen. Seine Recherchen haben Jahnke für diese Geschichte in Archive in Berlin, Eisenach, Avignon und Rom gebracht und mich durch seine Worte für einen kurzweiligen Abend ins Mittelalter. Wer historische Roman mag, sollte auf alle Fälle einen Versuch wagen.

Copyright © 2010 Antje Jürgens

21. Oktober 2010

Freise, Charlotte: Die Seelenfotografin

Filed under: Belletristik,Fantasy, Horror, SciFi,Historisch,Roman — Ati @ 10:34

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Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-499-25512-0
Historischer Roman
Originalausgabe 2010
Umschlaggestaltung any.way Sarah Heiß
Taschenbuch, 320 Seiten
€ 8,95 [D]

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Die bereits unter dem Namen Karla Schmidt tätige Autorin Charlotte Freise wurde 1974 in Göttingen geboren. Sie studierte Kultur-, Theater- und Filmwissenschaften. Im Jahr 2009 erhielt sie den Deutschen Science-Fiction-Preis für die beste Kurzgeschichte. Die Autorin lebt zusammen mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Berlin. Der Umstand, dass im März 2010 bereits ein Psychothriller unter ihrem richtigen Namen Karla Schmidt veröffentlicht wurde, hat die Autorin dazu gebracht, ihren ersten historischen Roman „Die Selenfotografin“ unter einem Pseudonym zu veröffentlichen. (Weitere Infos unter www.karla-schmidt.de.)

Die Inhaltsangabe verspricht einen Ausflug ins historische Berlin mit einem Hauch Fantasy. Die Zeilen darüber (Ein Mann ohne Vergangenheit. Ein Mädchen ohne Zukunft. Eine Liebe, die nicht sein darf.) klingen gut; sind jedoch nach Lektüre des Buches ein klitzekleiner Widerspruch in sich. Denn natürlich hat der Mann eine Vergangenheit. Und genau genommen hat die Protagonistin auch eine Zukunft; wenngleich die anders aussieht, als man sich das anfangs vorstellt. Was stimmig war und blieb, ist die Liebe, die nicht sein darf.

Denn Isabel ist Teil von Ruvens Vergangenheit, an die er sich jedoch fast den ganzen Roman hindurch nicht erinnert. Seine früheste Erinnerung beginnt im Waisenhaus, in dem er ein zwar ein hilfsbedürftiges, elternloses Kind war, aber eben auch nur ein hungriges Maul, das sich schon früh sein tägliches Brot durch harte Arbeit verdienen musste. Während diverse Mädchen von der Leiterin des Heims als „Modelle“ zum Wanderfotografen Bing geschickt werden, verkauft sie Ruven an ihn, damit er ihm zur Hand geht. Viele Jahre zieht er mit Bing umher und absolviert quasi eine Lehre. Doch er lernt nicht nur die Kunst des Fotografierens. Er sieht viel Gewalt. Bing verachtet Frauen, misshandelt, missbraucht und/oder fotografiert sie – Aktfotografien, die etwas zensiert, als wissenschaftliches Anschauungsmaterial verkauft werden.

Als sich Ruven eine Chance bietet, neu anzufangen, greift er zu. Sprichwörtlich. Er stiehlt seinem Chef eine Fotoausrüstung und folgt dem Ruf eines Arztes, der ihm eine Festanstellung verspricht. Ruven soll fortan, psychisch Kranke vor und nach ihrer Behandlung ablichten. Mit dem ebenfalls gestohlenen Geld mietet er sich ein Zimmer bei der alleinstehenden Elfie und ihrem Sohn. Dieses Zimmer wiederum befindet sich im selben Haus, in dem Isabel wohnt. Sie ist eine der Patientinnen, die Ruven fotografieren soll. Isabel interessiert sich nicht nur fürs Fotografieren, sie ist fasziniert von der Art der Fotos, die Ruven bis dahin angefertigt hat. Denn Peter, der Sohn seiner Zimmerwirtin, ist nicht nur mit Isabel befreundet und bringt sie zu den Behandlungsterminen in die Klinik (wo er auf Ruven trifft und mit zu sich nach Hause nimmt, als er feststellt, dass es ihm nicht gut geht). Er ist ferner in den Wagen von Bing eingebrochen und hat die dabei gestohlenen Fotos teilweise Isabel gezeigt. Und – bei diesem Einbruch wurde er von Ruven ertappt, der sich gerade mit seinem eigenen Diebesgut davonstehlen wollte.

Alles scheint gut zu werden. Zwischen Ruven und Elfie bahnen sich zarte Bande an, die Arbeit in der Klinik sichert ihm ein geregeltes Einkommen. Er denkt daran, eine Familie zu gründen. Doch eine ihm unerklärliche Faszination für Isabel, die er nur wenige Male gesehen hat, hindert ihn daran, Elfie einen Antrag zu machen. Er überlegt, die ihm zunehmend an die Nieren gehende Arbeit in der Klinik aufzugeben und ein eigenes Fotoatelier zu eröffnen. Letztlich verdankt er das Atelier Isabel, die ihm nicht nur eine von ihr entwickelte Formel für ein neues, revolutionäres Verfahren übergibt, sondern auch an der Erfindung der Seelenplatte arbeitet, von der sie ihn ebenfalls zu überzeugen versucht.

Die Charaktere sind klar gezeichnet. Ruven – ein junger Mann, will weiterkommen, das Elend und die Gewalt hinter sich lassen, und begeht dafür sogar eine Straftat; und wird schneller von seiner Vergangenheit eingeholt, als ihm lieb ist. Peter – ein Teenager, der aufgrund der Armut keine Kindheit und Jugend hat, sich aber immer irgendwie durchmogelt. Seine Mutter Elfie – hilfsbereit, aufopferungsvoll, immer fröhlich, höflich, und desillusioniert. Anna – die Tante, die Isabel versorgt, nachdem ihre Familie bei einem Unglück ums Leben kam, alt und krank. Isabel – ein junges Mädchen, wissbegierig, gebildet, vertrauensvoll unschuldig und berechnend manipulativ, verzweifelt und doch lebenslustig. Der Arzt – pflichtbewusst, fortschrittlich …

Doch wie weit darf dieser Fortschritt gehen? Seine Versuche gereichen Frankenstein zur Ehre. Er experimentiert mit Toten. Was in Ruven den Wunsch weckt, zu kündigen. Der Arzt strebt danach, diese Versuche auch am lebenden Objekt zu probieren. Als Isabel erfährt, wie Ruvens und ihre Vergangenheit zusammenhängen, erleidet sie einen Zusammenbruch und wird zum geeigneten Versuchsobjekt für den Arzt. Und die Seelenplatte zum einzigen Versuch, Isabel zu retten.

Die Autorin hat durch Wortwahl und Schreibstil eine Kulisse für die Geschichte geschaffen, die den Leser wie einen Voyeur auf die damalige Zeit blicken lässt. Er sieht die unschönen Seiten eines Daseins in Not und Elend. Bis auf wenige Ausnahmen scheint nichts dieses Leben dort wirklich lebenswert zu machen. Und doch gibt es sie. Gestohlene Momente des Glücks, die Hoffnung und so etwas wie Zufriedenheit in den Charakteren der Geschichte wecken.

Die Grundidee ist gut und die gesamte Geschichte an sich ist nicht ohne Spannung. Ob die Story allerdings wirklich packend ist, steht auf einem anderen Blatt. Zum einen sind die Charaktere zwar klar, aber etwas flach gezeichnet. Zum anderen schrammt man aber größtenteils an Erpressung, sexuellem Missbrauch, medizinischem Wahnsinn oder auch dem tagtäglichen Kampf ums Überleben genauso vorbei wie an der eigentlichen Liebesgeschichte zwischen den beiden Protagonisten. Man blickt neugierig darauf, taucht aber nicht richtig ein. Die Geschichte liest sich zwar flüssig, aber nicht reißend. Außerdem – das Buch ist in vier Teile gegliedert – erscheint der letzte Teil schneller und flüchtiger erzählt.

Dennoch kann ich nicht sagen, dass mir das Buch nicht gefallen hat. Wie gesagt, die Idee ist gut. Die Beschreibung der damaligen Lebensumstände oder etwa der Behandlungen auch – größtenteils eine bloße Draufsicht, aber das stört nicht völlig. Ich empfand das sogar fast detaillierter beschrieben als das, was in der Inhaltsangabe angekündigt war. Mir persönlich fehlte der tiefere Einblick in die eigentliche Liebesgeschichte. Und auch mehr zu der Seelenplatte an sich und den damit verbundenen Aspekten. Allerdings: Das Ende ist mehr oder weniger offen. Vielleicht gibt es ja irgendwann einen zweiten Teil, in dem ich dann auf meine Kosten komme. Auf einer Werteskala (von 1 – 5) würde ich deshalb 3,75 Punkte für „Die Seelenfotografin“ Isabel vergeben; die übrigens eigentlich gar nicht selbst fotografiert. Mir persönlich hätte der ursprünglich angedachte Titel „Isabels Schöpfung“ besser gefallen.

Für die freundliche Überlassung des Rezensionsexemplares möchte ich mich beim Rowohlt Taschenbuch Verlag herzlich bedanken.

Copyright © 2010 Antje Jürgens (AJ)

30. März 2010

FOLLET, KEN: DIE BRÜCKEN DER FREIHEIT

Filed under: Belletristik,Historisch,Roman — Ati @ 15:41

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Bastei Lübbe
ISBN 978-3404128150
Historischer Roman
04/1998
Softcover 546 Seiten
Neupreis € 9,99 [D]

 

Ken Follets Die Brücken der Freiheit taucht der Leser zunächst ins Schottland des 18. Jahrhunderts. Er begegnet unzufriedenen, geknechteten – nein eigentlich versklavten – Menschen in den Bergwerken eines Feudalherren, die aufgrund der unmenschlichen Arbeitsbedingungen dort, dem Hunger und der Kälte vor allem eins bewegt – die Freiheit. Denn bereits Neugeborene werden ihrem Herrn zur Zwangsarbeit verpflichtet.

Der junge McAsh lehnt sich dagegen auf – muss jedoch feststellen, dass auch seine Flucht nach London ihm nicht unbedingt ein besseres Leben beschert, denn die Arbeitsbedingungen dort sind fast genauso katastrophal. Dort kommt er als Aufständischer in Konflikt mit dem dort herrschenden Patriarchat. Er wird gefangen genommen und kommt in Ketten nach Amerika. Und damit eigentlich vom Regen in die Traufe.

Doch er und seine Kohlebrüder sind nicht als Einzige unzufrieden. Auch Lizzy Jamisson, eine junge Adlige will sich mit ihrem vorhersehbaren Leben nicht abfinden. Und auch sie kommt – wenn auch auf ganz andere Weise – nach Amerika. Heiratet dort und trifft – welch Zufall – auf McAsh. Womit der Leser dann in den dritten Buchteil eintaucht – in dem Lizzy und McAsh so unaufhaltsam aufeinander zusteuern, wie es nur sein kann 

Konnte mich das Buch wirklich fesseln – ehrlich gesagt nicht. Was aber zunächst daran lag, dass ich es im unmittelbaren Anschluss an „Säulen der Erde“ und „Pfeiler der Macht“ gelesen habe. Das Cover von Die Brücken der Freiheit reiht sich perfekt in die der vorgenannten Bücher ein. Leider plätschert jedoch der Inhalt von Die Brücken der Freiheit viel zu seicht und vor allem bereits nach kurzer Zeit völlig vorhersehbar vor sich hin. Follet scheint in diesem Roman kein Klischee auszulassen. Die „Guten“ sind einfach gut und edel – am Beispiel von Lizzy gesehen schlicht das Vorbild der emanzipierten Frau (wenn auch reichlich naiv), daneben aber natürlich auch adlig, gut aussehend und edelmütig, am Beispiel von Mc Ash betrachtet der Mann schlechthin, der geborene Revoluzzer, der alle in seinen Bann ziehen kann und auch noch ehrlich und wahrheitsliebend. Die Bösen – nun ja, die sind leider völlig vorhersehbar, weil sie einfach das pure Gegenteil der beiden Protagonisten sind: geldgeile, verschlagene Säufer die nicht nur ihre Frauen ausnehmen, sondern auch noch schlagen.

Was das Buch unter diesem Vergleichsaspekt zu den vorgenannten Romanen betrachtet etwas rettet, sind Follets – wie immer detaillierte – Einblicke in historische Fakten.

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Wenn ich das Ganze separiert betrachte, dann kommt dabei ein einfacher Liebesroman heraus. Nett erzählt, mit historisch glaubwürdigen Aspekten gewürzt, netten Protagonisten und reichlich Melodramatik (muss ja nicht alles immer absoluten Tiefgang haben :-D). Doch auch unter diesem Aspekt gibt es mir in der Geschichte in sich zu viele Zufälle, um sie wirklich wirken zu lassen. Sicher, die Welt ist klein, aber Lizzy begegnet McAsh beispielsweise in Schottland, in England und im großen Amerika. Sie immer erhaben und edel, er immer unterprivilegiert. Das Ganze ist gewürzt mit ganz klassischen Liebesroman-Elementen wie Eifersucht, Hass, Liebe, Rache … In der Badewanne hat mir der Roman dann ganz gut gefallen – zum leichten Entspannen eignet er sich also durchaus (das meine ich ganz ehrlich und auch nicht abwertend). Ich würde Die Brücken der Freiheit als (seitenstarke) Geschichte für laue Urlaubsabende empfehlen.

Copyright Antje Jürgens (03/2010)

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