Die Leselustige Ati's Rezi-Seite – Buchbesprechungen, Ankündigungen, etc.

11. Januar 2013

FORMAN, GAYLE: LOVESONG

Filed under: Belletristik,Jugendbuch,Roman — Ati @ 14:44

310_forman_lovesong.jpg

Originaltitel: Where she went
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Bettina Spangler
blanvalet
ISBN-13: 9783442379422
ISBN-10: 3442379423
Jugendbuch
1. Auflage 06/2011
Taschenbuch mit Klappenbroschur, 272 Seiten
[D] 12,99

Verlagsseite
Autorenseite (englisch)

 

If I stay, Where she went, Sister in sanity, You can’t get there from here sind Bücher aus der Feder der 1975 geborenen, in New York lebenden amerikanischen Autorin Gayle Forman. Sie war als Journalistin für Magazine wie Seventeen, Details, Jane und Glamour aber auch Elle und Cosmopolitan tätig, bevor sie sich dem Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern widmete. Ihre mehrfach mit Preisen ausgezeichneten Bücher sind in verschiedene Sprachen übersetzt.

Eines der gerade genannten Bücher, genauer If I stay (deutscher Titel Wenn ich bleibe, erschienen bei blanvalet) hat mich zu Tränen gerührt, obwohl ich allgemein absolut unsentimental eingeschätzt werde und zudem weit über der Altersgrenze der damit anvisierten Leserschaft liege. Es ging darin um die gerade erst erwachsen werdende Mia. Was als fröhlicher Tagesausflug beginnt, endet für sie in einer Katastrophe. Ihr kleiner Bruder und ihre Eltern werden bei einem Verkehrsunfall tödlich verletzt, sie selbst überlebt schwer verletzt und ringt im Koma liegend mit dem Tod. Dennoch bekommt sie mit, wer sich alles um sie bemüht und sie steht vor der Entscheidung ihrer Familie zu folgen oder um ihr Leben und ihre Zukunft zu kämpfen. Eine der Personen, die bei ihrer Entscheidung eine wichtige Rolle spielt, ist ihr Freund Adam.

Mit Lovesong halte ich die deutsche Übersetzung des Folgeromans dazu in Händen. Laut Inhaltsangabe handelt es sich dabei um ein unvergessliches Buch über eine unvergessene Liebe (…) Eine große Liebesgeschichte zweier Menschen, die gegensätzlicher nicht sein können und sich doch brauchen, um vollständig zu sein. (Zitat Verlagsseite)

Das dunkel gehaltene Cover zeigt als Motiv ein junges Paar, das Kopf an Kopf auf dem Rücken auf einer Art Steg liegt. Der Mann trägt einen Kopfhörer und hat die Augen geschlossen, die Frau sieht einen an. Zusammen mit dem ersten Satz (Zitat: Jeden Morgen wache ich auf und sage mir: Nur ein weiterer Tag, nichts als ein Zeitraum von vierundzwanzig Stunden, den ich bewältigen muss.) war ich in Erinnerung an den eben erwähnten und bereits gelesenen Roman der Autorin sofort Feuer und Flamme.

Lovesong spielt einige Jahre nach Wenn ich bleibe. Wie man der Inhaltsangabe entnehmen kann, ist Adam ein gefeierter Rockstar und Mia eine erfolgreiche Cellistin geworden. Die Welt steht ihnen also offen, doch die Wege der beiden haben sich getrennt. Adam wird mit der von Mia initiierten Trennung nicht fertig, droht daran zu zerbrechen. Eines Tages befinden sich beide zufällig in der gleichen Stadt. Mia gibt ein Konzert, welches Adam aufsucht, um sie wenigstens heimlich zu sehen. Danach kommt es zu einem ungeplanten Treffen, einem Gespräch, einer Versöhnung. Wird damit alles gut?

Der Inhalt beider Bücher gehört zwar irgendwie zusammen, allerdings könnten sie nicht unterschiedlicher sein.

Die Fortsetzung ist aus der Sicht Adams geschrieben. Er erzählt aus der Gegenwart heraus und erinnert sich an das, was war. Adam zeigt sich dabei wütend, weil Mia ihn aus ihrem Leben ausgeschlossen hat. Diese Wut verarbeitet er in seinen Texten. Forman lässt ihre LeserInnen daran teilhaben, denn jedes Kapitel der Gegenwart beginnt mit einem kleinen Bruchstück eines Songtextes. Die Texte kommen beim Publikum an. Adam auch, seine weiblichen Fans himmeln ihn an. Doch er ist ein seelisches Wrack. Er offenbart sich depressiv, melancholisch und sensibel, in seiner Sensibilität allerdings auch sehr auf sich bezogen. So hat er eine neue Beziehung, die jedoch darunter leidet, dass er Mia nicht vergessen kann. Er zeigt sich innerlich zerrissen, was sich aber in gewisser Weise nur absolut schlüssig offenbart, wenn man das Vorgängerbuch gelesen hat. Grundsätzlich ist dies aber kein Muss.

Abgesehen von der Perspektive an sich hat sich auch der Schreibstil grundlegend geändert. Das passt zwar perfekt zu den erzählenden Figuren (im ersten Buch Mia, die sich eher sanft, fast poetisch und vor allem hoffnungsvoll bei mir einprägte; im zweiten Buch wie bereits erwähnt Adam, der stellenweise derb unvermittelt und vorwiegend depressiv zu Wort kommt). Die Autorin hat genau durch diesen Perspektiv- und Stilwechsel sicher herausgearbeitet, wie unterschiedlich die beiden Hauptfiguren sind. Gleichzeitig schafft sie in mit beiden Büchern, ihre LeserInnen zu polarisieren. Ihre Figuren wirken dabei glaubwürdig, Handlungs- und Denkweisen kann man größtenteils gut nachvollziehen.

Doch während ich mit Mia und Adam im ersten Buch mitfiebern konnte, stießen sie mich im zweiten Buch eher ab, kamen mir zudem vollkommen fremd vor. Natürlich war der Fokus auf Adam in Wenn ich bleibe eher oberflächlich. Doch in Lovesong konnte er durch sein Denken und Verhalten wenig Sympathiepunkte bei mir erringen. Und auch Mia verlor durch ihr Verhalten und dessen Auswirkungen auf Adam erschreckend an positiver Kraft. Dabei bewirkt Formans Schreibstil, dass Mia eigentlich eher im Hintergrund schwebt und vorwiegend in den Rückblicken wenig schmeichelhaft in Erscheinung tritt. Gleichzeitig konnte ich nicht wirklich in die Fortsetzung der Geschichte eintauchen. Ich fühlte mich eher wie eine distanzierte Beobachterin. Vielleicht, weil speziell die Rückblicke im Zusammenhang mit dem Wissen um den Status quo einfach präsentiert und weniger erzählt auf mich wirkten und mir wenig Möglichkeiten für Gedankenspielereien boten.

Entgegen des zweiten Zitatteils der Inhaltsangabe auf der Verlagsseite geht es also gar nicht wirklich um eine Liebegeschichte. Titel und Covermotiv der gebundenen Ausgabe von Wenn ich bleibe haben in meinen Augen damals absolut gepasst. Bei Lovesong finde ich beides eher unglücklich gewählt, haben sie doch zusammen mit dem eben erwähnten Zitatteil eindeutig falsche Erwartungen an den Buchinhalt bei mir geweckt. Der erste Zitatteil stimmt zumindest irgendwie, denn Lovesong handelt natürlich von Gefühlen. Überaus stringent verfolgt die Autorin im Buch Verletztheit, Zorn, Trauer, Angst und die Erinnerung an die gescheiterte Beziehung zwischen Adam und Mia. Während Wenn ich bleibe voller Hoffnung war, droht in Lovesong jegliche Hoffnung in Depressivität unterzugehen.

Recht bald entstand beim Lesen der Eindruck einer gewissen Gezwungenheit, die sich speziell am Ende noch verstärkte. Die Fortführung der Geschichte scheint lediglich dem Erhalt der Figuren zu dienen. Was eigentlich erfrischend wirken könnte (der wirklich sehr gut herausgearbeitete Gegensatz von Adam und Mia), sorgt nicht nur dafür, dass beide Figuren sympathiearm fremd wirken, sondern entbehrt bedauerlicherweise auch an Spannung.

Fazit: 03perlenpunkte.jpg

Gayle Forman hat zwei völlig gegensätzliche Bücher geschrieben. Leider empfinde ich die Fortsetzung des Romans als nicht gelungen, obwohl die Grundidee an sich gar nicht so schlecht und bestimmte Dinge (innere Zerrissenheit von Adam, Gegensatz der Figuren, u. ä.) zudem sehr gut herausgearbeitet sind. Die Punkte, die ich für die Geschichte vergeben möchte, sind eher der handwerklichen Gestaltung als dem wirklichen Inhalt geschuldet. Der mehr oder weniger offen gehaltene Schluss von Wenn ich bleibe setzte damals mein Gedankenkarussell in Gang, wie es mit den beiden weitergegangen sein könnte. Vermutlich wurde genau das Adam und Mia bei der Lektüre von Lovesong zum Verhängnis. Und der Schluss von Lovesong beendet die Geschichte dann zudem wieder nicht wirklich und hinterlässt in seiner Beschaffenheit ein eindeutig unbefriedigendes Gesamtgefühl. Insgesamt möchte ich deshalb nur drei von fünf Punkten vergeben.

Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)

10. Januar 2013

WUDY, BRISSA. SCHIFFBRUCH – und das Leben ist doch vollkommen

WUDY, BRISSA. SCHIFFBRUCH – und das Leben ist doch vollkommen
ISBN 13: 9783902625137   /   Renate Götz Verlag 2012

337_wudy_schiffbruch.jpg

Inhalt laut Verlagsseite

Schiffbruch – und das Leben ist doch vollkommen erzählt die Geschichte einer Rollstuhlfahrerin, der Autorin selbst, die durch einen Unfall seit 14 Jahren querschnittgelähmt ist.

Zu diesem Zeitpunkt ist sie Alleinerzieherin zweier kleiner Kinder und vor große Herausforderungen gestellt, ihr Leben neu zu meistern. Sie erlebt ihr Überleben als Wunder und ihr Leben als Geschenk. Eine Zeit lang aus eigener Kraft nur fähig zu atmen und zu danken, entsteht ein neuer Blickwinkel auf ihre Mitmenschen. Der gewaltige Strom der Liebe und Fürsorge, sowohl von institutioneller als auch privater Seite, versetzt sie in einen Zustand des Staunens.

Trotzdem drängen sich essentielle Fragen auf wie: Bin ich, wenn ich halb gelähmt bin, noch ein ganzer Mensch? Bin ich noch eine Frau?

Auch der Alltag und die Integration ins neue, alte Leben fordern ihren Tribut. Durch viele Erfahrungen und Rückschläge kommt Brissa Wudy zur abschließenden Aussage: „Ich habe mich neu ins Leben verliebt – nichts, nichts, nichts ist wert, sich an der Liebe zum und in der Lust aufs Leben einschränken zu lassen. Die größte Einschränkung und Gefahr sind wir selbst, was uns aber nicht des Mitgefühls gegenüber denjenigen entbindet, die es gerade in irgendeiner Form schwerer haben als wir selbst.“

Zwischenzeitlich meins – Buchbesprechung folgt

STREIDL, BARBARA: KANN ICH GLEICH ZURÜCKRUFEN? Der alltägliche Wahnsinn einer berufstätigen Mutter

Filed under: Fach- & Sachbuch,Feminismus,Gesellschaft/Politik — Ati @ 15:13

306_streidl_kannichgleichzurueckrufen.jpg

blanvalet
ISBN-13: 9783442379378
ISBN-10: 3442379377
Nonfiction
1. Auflage 06/2012
Taschenbuch, 256 Seiten
[D] 8,99 €

Verlagsseite

 

Die 1972 in München geborene und heute dort lebende Barbara Streidl beschäftigt sich nicht nur als Gründerin und auf ihrem Blog www.fraulila.de mit dem Thema Feminismus. Bereits 2008 wurden sie und die Mitbetreiber des Webblogs maedchenmannschaft.net mit dem Preis Best German Blog ausgezeichnet. Streidl studierte Germanistik und Komparatistik, arbeitet als Musikerin, Journalistin und Autorin. Aus ihrer Feder stammen die bei blanvalet erschienenen Bücher Wir Alphamädchen – Warum Feminismus das Leben schöner macht und das gerade vor mir liegende KANN ICH GLEICH ZURÜCKRUFEN? Der alltägliche Wahnsinn einer berufstätigen Mutter.

Beide Bücher würde ich, da mir kein anderes Genre dazu einfällt, in die Kategorie Nonfiction sortieren, obwohl Streidl ihre LeserInnen in KANN ICH GLEICH ZURÜCKRUFEN? Der alltägliche Wahnsinn einer berufstätigen Mutter an acht Tagen aus dem Leben einer fiktiven Mutter, aktuell und von eben dieser Mutter selbst erzählt, teilnehmen lässt.

Das Cover, soviel gleich vorab, vermittelte mir einen etwas falschen Eindruck. Das gelbe Piktogramm einer weiblichen Gestalt, der der Kopf zu summen scheint, mit klingelndem Handy in der einen und einem Kinderwagen an der anderen Hand, scheint zusammen mit dem Titel zunächst auf einen heiteren Roman für Frauen hinzudeuten. Auch die Inhaltsangabe erweckt, flüchtig gelesen, diesen Eindruck. Die gewählte Farbe (Dunkelmagenta) für den Bucheinband an sich verstärkte dann meine heiter-fröhliche Erwartungshaltung an das Buch zusätzlich. Lediglich ein Satz von Andrea Nahles, in dem Sie das Buch als leidenschaftliches Plädoyer für eine Arbeitswelt bezeichnet, in der man sich nicht für seine Kinder entschuldigen muss, weckte in mir den Verdacht, dass es sich dann doch um etwas anderes handeln könnte.

Und tatsächlich las ich dann eine eher sachlich-ernste Schilderung von acht Tagen im Leben einer jungen Frau. Sie ist verheiratet mit einem verständnisvollen und so erfolgreichen Mann, dass sie gar nicht arbeiten muss. Sie haben ein gemeinsames Kind. Besagtes Kind geht in die Kita. Es gibt eine Oma, die ebenfalls darauf aufpasst. Es gibt eine Putzfrau, die im Haushalt hilft. Es gibt Elternzeit, Elterngeld sowie Kindergeld. Eigentlich alles also, um glücklich zu sein. Wenn da nicht das wäre, wovon jede Mutter ein Lied singen kann – und zwar nicht nur die Berufstätigen, wobei die natürlich eventuell in verschärfter Form. Ständiger Druck bestimmt den Alltag der jungen Frau, die gerne arbeitet und so schnell wie möglich in ihren Beruf zurückgekehrt ist, um den Anschluss nicht zu verlieren. Dieser Druck wird von der Angst zu versagen ausgelöst. Nicht nur weil das Muttersein beim ersten Kind eben noch neu ist, auch weil das Organisationstalent permanent auf die Probe gestellt wird, wenig zeitlicher Spielraum bleibt und die Schere zwischen Plan und Realität bisweilen zu sehr auseinanderklafft. Der Druck wird auch ausgelöst durch Wut und schlechtes Gewissen. Gegenüber dem Kind (weil es da ist?), dem Arbeitgeber, den Kollegen, dem Mann, der Oma, den Kita-Angestellten (weil sie sich von allen irgendwo, irgendwie, irgendwann im Stich gelassen oder angegriffen fühlt?) Das eine bedingt das andere und umgekehrt. Ganz kritisch wird es, als die Oma von heute auf morgen aus gesundheitsbedingten Gründen ausfällt und selbst zu einem Problem wird.

Diese Probleme haben sich – mal Hand aufs Herz – nicht allzu sehr geändert in den letzten Jahren. Kindererziehung und Pflege von Angehörigen ist etwas, das nach wie vor eher Frauen als Männer stemmen. Wer aus einer wirtschaftlich sicheren Situation als Mutter arbeiten geht, wird auch heutzutage noch schnell als karrieregeil und eigensüchtig verschrien. Die Mütter, die aus wirtschaftlicher Not heraus berufstätig sind, müssen einfach funktionieren und froh um ihren Arbeitsplatz sein. Kita, Kindergeld, Elterngeld, Erziehungsurlaub, Arbeitsplatzgarantie – all das haben die Mütter vor einigen Jahrzehnten nicht oder kaum gekannt und in Anspruch nehmen können. Trotzdem ist mit Einführung all dieser wunderbaren Errungenschaften das Leben für sie nicht zwingend leichter geworden, weil die Ansprüche gestiegen sind. Die Bildungschancen und Karrieremöglichkeiten der Frauen haben sich verbessert, in der beruflichen Perspektive werden Kinder jedoch immer noch als eine Art Hemmschuh betrachtet. Gleichzeitig verschärfen sich unabhängig davon die Bedingungen wieder. Wenn man etwa die brandaktuelle Entwicklung im Rentenbereich betrachtet, scheint es für alle künftigen Rentenempfängerinnen eindeutig ratsam, schnell wieder ins Arbeitsleben einzusteigen.

Streidl lässt ihr fiktives Elternpaar über diese Probleme diskutieren, bindet dabei die Ergebnisse diverser Studien ein. Die beiden kritisieren zusammen oder getrennt arbeitspolitische Fragen (von der eigenen Tätigkeit, im Bezug auf ihre eigene Putzfrau oder anlässlich der unterbezahlten Erzieherinnen in der Kita ihres Sohnes), führen mehr oder weniger konstruktive Gespräche. Spätestens hier wird unabhängig von den ständigen Beteuerungen (gar nicht arbeiten zu müssen) der erzählenden Hauptfigur klar, dass Streidls Hauptfigur keineswegs für alle berufstätigen Mütter steht, sondern eher gut gebildete, finanziell abgesicherte Mütter in stabilen sozialen Verhältnissen betrifft.

Mehr als eine (reale) Mutter wird sich in Streidls fiktiver Gestalt und den auf acht Tagen komprimierten Erlebnissen und Emotionen wiedererkennen. Bedauerlicherweise wird keine von ihnen einen ungefähren Lösungsansatz für die breit gefächerten, gut recherchierten aber sehr trocken dargestellte Problemstellungen finden. Obwohl die innere Zerrissenheit der Hauptfigur sehr gut dargestellt fand und diese auch durchaus sich durchaus selbstkritisch betrachtet, empfand ich sie zeitgleich fast bis zum Schluss als jemand, der auf hohem Niveau zu jammern gelernt hat.

Mit der beschriebenen Erkrankung der Oma und den daraus resultierenden Folgen deutet sich letztlich ein Wechsel an. Erst danach wird der jungen Mutter scheinbar bewusst, dass der meiste Druck von ihr selbst erzeugt wird und nur sie etwas ändern kann. Gleichzeitig deutet genau dieser Wechsel aber auch an, dass sie in gewisser Weise resigniert und sich den gesellschaftlichen Strukturen unterwirft, indem sie zurücksteckt. Das empfindet sie glücklicher- und sympathischerweise nicht als Verlust oder Versagen. Doch auch wenn mich das mit dem übrigen Buchinhalt an sich irgendwie versöhnt, frage ich mich doch unwillkürlich, was eine Autorin wie Streidl, die sich vorwiegend mit Feminismus beschäftigt, damit ausdrücken möchte.

Fazit: 03perlenpunkte.jpg

Mit KANN ICH GLEICH ZURÜCKRUFEN? Der alltägliche Wahnsinn einer berufstätigen Mutter bietet Streidl einen Einblick in den täglichen Spagat zwischen Wollen und Können, zwischen Müssen und Dürfen. Kind und Karriere, beides ist auch heute noch schwer vereinbar. Eine romanähnliche gehaltene Darstellung dieser Thematik offenbar auch, denn die eher trocken-analytische Beschreibung Streidls hebelt eben diesen Versuch aus. Insgesamt frage ich mich nach Beendigung des Buches nach der eigentlichen Intention der Autorin, bietet sie doch nur eine Auflistung von gleichermaßen bekannten wie gesellschaftlich gerne ignorierten Problemen ohne Lösungsmodelle oder auch nur andeutungsweise Lösungsansätze. Trotz der guten und kritischen Recherche möchte ich deshalb nur drei von fünf Punkten dafür vergeben.

Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)

9. Januar 2013

Volk, Andrea: Wenn Sie jetzt anrufen, bekommen Sie den Moderator gratis dazu

Filed under: Erfahrungen/Biografien — Ati @ 13:31

volk_wennsiejetztanrufen.jpg

Wilhelm Heyne Verlag
ISBN13:
9783453645356
ISBN10:
3453645359
Sachbuch

Originalausgabe 01/2013
Taschenbuch, 272 Seiten

[D] 8,99 €

Verlagsseite

Autorenseite

Der Titel Wenn Sie jetzt anrufen, bekommen Sie den Moderator gratis dazu, zusammen mit dem Untertitel Unglaubliches aus der Welt des Teleshoppings, lässt vermuten, was im Großen und Ganzen auf Volks Leserschaft zukommt. Zumal die 1964 in Mannheim geborene und in Homburg aufgewachsene Autorin auch als Kabarettistin und Comedian in Köln gemeinsam mit Nina Knecht (Volk & Knecht) ihre scharfe Zunge mehrfach unter Beweis stellte, ihr Publikum zum Lachen brachte und dafür mit diversen Comedy-Preisen bedacht wurde. Neben ihrer Zusammenarbeit mit Knecht ist sie auch mit ihrem Soloprogramm VolksBelustigung erfolgreich.

Andrea Volk erzählt gerne Geschichten, wie man einem Interview mit der Rheinischen Post entnehmen kann, und musste einfach ein Buch schreiben, nachdem sie mit ihren Erlebnissen aus sechs Jahren QVC bei den Leuten, denen sie davon erzählte, Lachanfälle auslöste. In dem bereits erwähnten Interview führt die Autorin (vielleicht nicht ganz ernst gemeint) an, dass ihre LeserInnen krachend komische und irre investigative Unterhaltung erwartet. Dass sie eine fast Loriot’sche Sicht auf das Miteinander und einen humorvollen Blick hinter die Kulissen des Teleshopping-Alltags bietet. Dass Wenn Sie jetzt anrufen, bekommen Sie den Moderator gratis dazu  kein Buch zum Einschlafen ist.

Mit letzterem hat sie recht. Eingeschlafen bin ich nicht. Doch beim Rest kann ich nicht vollkommen zustimmen. Das Buch lässt sich leicht lesen. Allerdings sorgen diverse Wiederholungen für kleinere Längen, wenn man das Buch am Stück liest. Da hilft dann auch der flüssig-lockere Schreibstil der Autorin nur bedingt hinweg.

Hinzu kommt: Der methodisch wirkende, alltägliche Wahnsinn von Wahrheiten, die vor der Kamera über Gebühr gedehnt werden ohne wirklich zur Lüge zu mutieren, von explodierenden Entsaftern, von Weihnachtspräsentationen im Juli, von Moderatoren die sich mit Experten unnötige und dem Prinzip Verkauf-ist-alles absolut widersprechende Zwistigkeiten liefern oder von Experten, die um des Verkaufs willen schon mal WC-Reiniger mit Aktivsauerstoff zu sich nehmen und mit Kollegen auch nicht immer allzu gut oder fair umspringen, verliert vor dem (vorsichtig ausgedrückt) menschenverachtenden Prozedere trotz seiner Skurrilität eindeutig an Humor. Krachend komisch ist das Buch also nicht immer. Irre investigativ irgendwie schon, wenn man die Betonung auf das erste Wort legt.

Humor ist ja bekanntlich, wenn man trotzdem lacht. Doch irgendwie verging mir im Laufe des Buches das Lachen mehr und mehr und sorgte letztlich gerade mal noch für hochgezogene Mundwinkel. Daran war zumindest stellenweise auch der Umstand schuld, dass Volk Teleshopping-Kunden als scheinbar grenzdebil bezeichnet, mehrfach ähnliche Kommentare über sie losgelassen hat und ihnen offenbar per se Geschmacklosigkeit unterstellt. Falls das Comedy ist, weiß ich warum ich die meisten Comedians nicht mag. Es ist eine Sache ein System, Missstände und Absurditäten anzuprangern. Egal ob das humoristisch geschieht oder nicht. Volks Sicht auf Kunden, die immerhin daran beteiligt waren, dass sie sechs Jahre lang an diesem System mitverdienen konnte, empfand ich jedoch weniger lustig. Vielleicht weil man mir anlässlich meiner eigenen Tätigkeit im (normalen) Einzelhandel eingebläut hat, dass Kunden zwar manchmal eigen, manchmal sehr besonders und manchmal überaus speziell sind, aber doch dafür sorgen, dass ich mir meine Brötchen zum Frühstück leisten kann.

Doch zurück zum Buch. Obwohl ich kein Fernsehgerät besitze und eher selten einmal einen Blick in fremde Geräte werfe, sind mir Teleshopping, QVC und der Designer Glöckler mehr oder weniger geläufige Begriffe. Dass ich dennoch einen gewissen Wiedererkennungseffekt beim Lesen verspürte, alles förmlich direkt vor mir sah, macht vielleicht deutlich, wie klar die Wortwahl der Autorin ist – auch wenn der Designer im Buch blond ist, der Sender darin anders heißt und beide eventuell gar nicht so explizit gemeint sind.

Die meisten von uns müssen auf irgendeine Art Geld verdienen. Manche, wie Andrea Volk, absolvieren dafür Vorstellungsgespräche, bei denen sich herausstellt, dass sie als Live-Experten geeignet sind. Solche Experten können schon mal an Tagesumsätzen von drei Millionen beteiligt sein. Doch das gelingt den wenigsten. Und manche – so die Autorin – werden nicht mehr gebucht, obwohl sie dennoch fast eine halbe Million schaffen. Bereits das allein macht den Druck deutlich, der auf diesen Experten lastet. Sie arbeiten an der Seite von fest angestellten Moderatoren. Sie präsentieren Produkte, hinter denen sie nicht immer 100%ig stehen. Sie werden am ehesten für einen Verkaufsflop verantwortlich gemacht. Und das alles vor dem Hintergrund, dass besagte Experten quasi selbstständig tätig sind und deshalb von heute auf morgen ausgetauscht werden können. Das Arbeitszeiten überaus flexibel gestaltet dazu führen können, dass manche von ihnen geradezu im Sender leben. Dass in der ach so heilen, kunterbunten Fernseh-Verkaufswelt die Devise friss oder stirb scheinbar perfektioniert wird.

Das eine oder andere Kapitel in Volks Buch wirkt überzogen – und tatsächlich gibt Volk zu, manches überspitzt ausgeschmückt dargestellt zu haben. Manches Mal wirkt auch die Ironie darin weniger fein als verbittert und – stellenweise etwas zu bemüht. Doch allzu weit hergeholt scheinen Volks geschilderte Episoden insgesamt keineswegs zu sein. Sie haben mich sofort an einen Artikel im Oktober 2012 erinnert, demzufolge die amerikanische QVC-Expertin Cassie Lane vor laufender Kamera zusammenbrach und – Verkauf ist schließlich alles – ihr Moderator Dan Wheeler mit ruhiger Stimme und einem Standbild das entsprechende Produkt weiter anpries. Zwar soll es besagter Expertin hinterher wieder gut gegangen sein, allerdings war ihr Zusammenbruch offenbar keinen Abbruch der Verkaufsshow wert.

Sechs Jahre als Expertin für Plüschanzüge, Synthetikkleidung und Reinigungsmittel. Jahre voller Intrigen, Eitelkeit und Dummheit, Willkür und Illusionen. Voller Pleiten, Pech und Pannen. Trotzdem – allerdings nur auf Seite 271 – merkt die Autorin an, dass sie die Zeit rückblickend als „aufregend, wunderbar, lustig, furchtbar, unerträglich, fantastisch und psychologisch wertvoll“  betrachtet. Außerdem: „Ich habe viel gelernt, viel gelacht, tolle und blöde Menschen kennengelernt und den Kapitalismus von innen.“ Womit mal wieder bewiesen sein dürfte, dass man sich auf Zeit und unter bestimmten Umständen mit so ziemlich allem arrangieren kann.

Fazit: 03perlenpunkte.jpg

Vielleicht liegt es daran, dass ich mit den falschen Vorstellungen an das Buch herangegangen bin. Irgendwo habe ich gelesen, dass es ein witziges Buch mit ernsten Anklängen ist. Krachend komisch (wie im Interview von der Autorin angegeben) fand ich es allerdings nicht. Trotz diverser tatsächlicher Lacher sieht Humor anders für mich aus. Die bereits erwähnten Wiederholungen sorgen ebenfalls für einen Punktabzug. Unterhaltsam informativ fand ich es dennoch und ich bin zwischen einer gewissen Fassungslosigkeit und etwas Schadenfreude hin und her geschwankt.  Betrachte ich es jedoch als ernstes Buch mit einigen witzigen Anklängen, kann und möchte ich drei von fünf Punkten für Wenn Sie jetzt anrufen, bekommen Sie den Moderator gratis dazu vergeben. Und es jedem empfehlen, der einen (einseitigen) Blick hinter die Kulissen einer scheinbar gnadenlosen, niemals ruhenden Maschinerie werfen möchte, die verblüffende Umsätze verzeichnen kann und kontinuierlich wächst.

 Copyright © 2012 by Antje Jürgens (AJ)

5. Januar 2013

JAHNKE, STEFAN: LAOKOONIA

Filed under: Neuerscheinungen und/oder gepl. Rezensionen — Ati @ 19:34

JAHNKE, STEFAN: LAOKOONIA
ISBN 978-3-8482-3060-0       /   BoD 11/2012

304_jahnke_laokoonia.jpg

Inhalt laut Autorenseite

Nein, das konnte keiner der Götter ahnen. Laokoon, den sie eben erst zu einem der ihren erhoben, nahm sie gefangen, schuf seine eigene Welt und bedient sich ihrer Kraft. Sein Freund Meleagros unterstützte ihn gar beim Diebstahl der Argo, die am fassungslosen Charon vorbei über den Styx zurück in die Welt der Lebenden gleitet. Vielleicht steckt die abtrünnige Göttin Aphaia dahinter, die ihre Tempel seit Langem mit Athene teilen muss? Oder gar Medusa, das alles in Stein verwandelnde Schneckenwesen? Den Traum des jungen Gottes von der wunderbaren Insel Sonirinis kann nur eine Feindin der längst vergessenen Herrscher des Olymps in ihm nähren. Das bedeutet Gefahr.

Zeus zögert nicht, bündelt die Kraft der gefangenen Götter und nutzt die einzige Chance, die Abtrünnigen samt der Argo aus Laokoonia in die Menschenwelt zu vertreiben und das Portal zu verschließen. Doch war dieser Weg wirklich der richtige?

Ohne ihre göttliche Kraft stranden die ehemaligen Argonauten im Jahre 2012, geraten mitten hinein in die Eurokrise, Grenzstreitigkeiten zwischen Syrien und der Türkei, von Mayas bestimmte Weltuntergangsstimmung, Naturkatastrophen sowie den mit allen Mitteln geführten Wahlkampf in den USA.

Werden die Fremden sich behaupten und einen Rückweg finden… nach Laokoonia?

Rezension folgt

 

« Newer PostsOlder Posts »

Powered by WordPress