Die Leselustige Ati's Rezi-Seite – Buchbesprechungen, Ankündigungen, etc.

9. Februar 2013

MER, LILACH: WINTERKIND

Filed under: Belletristik,Historisch,Roman — Ati @ 19:28

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Dyras-Verlag
ISBN-13:
9783940855367
ISBN-10: 3940855367
Historischer Roman
1. Auflage 09/2012
Taschenbuch 280 Seiten
[D] 12,95 €

Verlagsseite

Autorenseite 

Was haben Lilach Mer und ich gemeinsam? Nichts, wenn man von dem Umstand absieht, dass wir beide 2009 an dem Heyne-Fantasy-Schreib-Wettbewerb für den Magischen Bestseller teilgenommen haben. Während ich mit meinem Beitrag allerdings bereits in der Vorrunde ausschied, wurde 2011 Lilach Mers Debütroman Der siebte Schwan von Heyne verlegt.

Den Debütroman der 1974 geborenen promovierten Juristin und Autorin, die in Berlin und meiner Wahlheimat Schleswig-Holstein aufgewachsen ist, habe ich nicht gelesen. Wohl aber ihren zweiten Roman und der hat – gleich vorab – eindeutig Lust auf mehr Mer in mir geweckt. In Winterkind geht es um Blanka von Rapp, die um 1880 in Niedersachsen lebt. Die junge Adlige ist mit dem Besitzer einer Glasfabrik verheiratet und Mutter eines kleinen Mädchens. Der siebte Schwan soll märchenhafte Zügen tragen und auch bezüglich Winterkind las ich im Vorfeld, dass es sich dabei um die Fortsetzung von Schneewittchen handeln soll.

Obwohl sich in der Geschichte eine böse Mutter (anstelle der Stiefmutter), im Zusammenhang mit dieser ein ominöser Spiegel, und sogar ein Apfel wiederfindet, ist Winterkind jedoch weit mehr als eine schnöde Fortführung besagten Märchens. Mer beschränkt sich nicht darauf, das schillernd-schöne Eheglück der jungen Frau an der Seite ihres Märchenprinzen, schützend umringt von den sieben Zwergen zu beschreiben. Tatsächlich ist Blanka ganz und gar unglücklich, wird von Ängsten geplagt, traut sich keinen Schritt vor die Tür. Beschützende Zwerge gibt es nicht und der vermeintliche Prinz hat durchaus Fehler. Sogar zur Beerdigung ihrer Mutter müssen Mann und Tochter alleine fahren. Nach deren Rückkehr spitzt sich die Lage zu. Während ein dichtes Schneetreiben das Herrenhaus von der Außenwelt abschneidet, muss sich Blanka den Schatten der Vergangenheit stellen. Diese bedrohen neben den gesellschaftlichen Umbrüchen gegen Ende des 19. Jahrhunderts sukzessive zunehmend nicht nur Blankas Zukunft.

Abwechselnd aus Sicht der jungen Mutter und der des Kindermädchens Sophie nehmen Mers LeserInnen am Geschehen teil. Während Sophie eine bodenständige junge Frau ist, offenbart sich Blanka als sensibles, nahezu gebrochenes Wesen. Um dies zu überspielen, versucht sie krampfhaft Haltung zu bewahren, wirkt dabei stellenweise eiskalt. Ihren Charakter empfand ich sehr zwiespältig. Was auf der einen Seite Mitleid erweckte, stieß auf der anderen Seite ab. Immer mehr stellte sich heraus, dass Blankas Vergangenheit zu schrecklich ist, als dass sie sich daran erinnern will. Dass man dennoch erfährt, wie die junge Frau so geworden ist, liegt an den Kapitelenden, in denen Mers ihre LeserInnen einen anfangs kurzen und zunehmend längeren, teils verstörenden Blick auf Blankas Vergangenheit bzw. das Leben ihrer Mutter werfen lässt.

Obwohl das das Erzähltempo bei allem, was tatsächlich geschieht, eher langsam ist, entstehen keine Längen. Flüssig und zugegebenermaßen etwas detailverliebt reiht Mer ein Wort ans andere. Letzteres dient jedoch der bedrohlich-dichten Atmosphäre, die den Roman neben den authentisch wirkenden Charakteren trägt.

Die Autorin beschränkt sich nicht nur darauf, das (vermeintlich) gute und sichere Leben der besseren Gesellschaft zu beschreiben. Neben den sicherlich eindeutig damit verbundenen Vorteilen erfährt man auch von den damit einhergehenden Schattenseiten, von den gesellschaftlichen Konventionen ebenso wie von den Umbrüchen jener Zeit. Auch die ungleiche Chancenverteilung und der daraus resultierende Arbeiteralltag, die Bevormundung der kleinen Leute, die den Launen und dem Gutdünken ihrer Arbeitgeber ausgesetzt waren, wird anschaulich beschrieben. Von den Unbillen der Natur, denen alle ausgesetzt waren, ganz zu schweigen.

Durch ihre Detailtreue macht die Autorin es ihren LeserInnen leicht, in die damalige Zeit und die düster angehauchte, auf wenige Tage komprimierte Handlung mitten im Winter einzutauchen. Das mystisch-märchenhafte Element, welches der Spiegel in die Geschichte hineinbringt, schimmert immer wieder auf und hat mich lange Zeit auf eine völlig falsche Idee bezüglich des Romanendes gebracht. Dieses gestaltet sich überraschend leicht und logisch, ohne dabei unwirklich-falsch zu wirken.

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Die Autorin lässt die Grenzen zwischen Fantasie und Wirklichkeit gekonnt verschwimmen. Winterkind – ein historisches Märchen? – hat mir (wie bereits erwähnt) Lust auf mehr Mer gemacht und war viel zu schnell ausgelesen. Einen klitzekleinen Punkteabzug gibt es genau hierfür. Obwohl mich der Roman von der ersten bis zur letzten Seite gefangen hielt, wirkt er insgesamt betrachtet unfertig. Fortsetzung ungewiss. Deshalb möchte ich vier von fünf Punkten dafür vergeben.  

Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)

22. Januar 2013

JAKOB, JOHANNA MARIE: DAS GEHEIMNIS DER ÄBTISSIN

Filed under: Belletristik,Historisch,Roman — Ati @ 12:32

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Knaur Taschenbuch
ISBN-13: 9783426509517
ISBN-10: 3426509512
Historischer Roman
Originalausgabe 10/2012
Taschenbuch, 460 Seiten
[D] 9,99 €

Verlagsseite
Autorenseite

 

Die in Thüringen aufgewachsene und nach wie vor dort lebende Autorin studierte Mathematik und Physik und unterrichtet an einem Gymnasium. Nachdem ihre Kinder aus dem Gröbsten heraus waren, konnte sie sich zudem der Verwirklichung eines lang gehegten Traums widmen und ging dem Schicksal ehemaliger Bewohner von Burg Lohra nach. Unter dem Pseudonym Simone Knodel veröffentlichte sie anschließend 2004 ihren ersten historischen Roman Adelheid von Lare, dem 2008 Radegunde von Thüringen folgte. 2011 erschien dann der ursprünglich von Weltbild herausgegebene und jetzt als Taschenbuch bei KNAUR neu aufgelegte Roman Das Geheimnis der Äbtissin, dem die historisch belegte Äbtissin des Klosters Eschwege Judith von Lohra zugrunde liegt.

Der Name ist geblieben, denn laut Inhaltsangabe geht es in Das Geheimnis der Äbtissin um Judith, die auf Lare aufgewachsen ist, und sich für Heil- und Kräuterkunde interessiert. Im Zuge dessen kümmert sie sich nicht nur um die Gemahlin des Kaisers, sondern lernt auch Silas kennen und lieben. Der maurische Leibarzt des Kaisers erwidert ihre Gefühle, doch die gesellschaftlichen Zwänge verhindern ein Zusammenkommen.

Die Geschichte beginnt im Sommer 1156 (Judith ist zu diesem Zeitpunkt noch keine 13 Jahre alt) und endet (lange nach ihrem Verschwinden 1191) im Jahr 1220 in Eschwege. Sie umspannt also somit nahezu das gesamte Leben der Hauptfigur. Bieten all diese Jahre jede Menge Stoff für gemütliche Lesestunden? Zumal ja auch der Titel auf einen spannenden zweiten Erzählstrang hindeutet. Wer liebt schließlich keine Geheimnisse?

Inhaltsangabe und zumeist positive Leserstimmen weckten meine Neugier und bald darauf durfte ich Das Geheimnis der Äbtissin in Händen halten. Recht vielversprechend beginnt der Roman dann auch gleich mit dem eigentlichen Ende im Jahr 1220 und einer drohenden Verhaftung und im Zuge dessen auch vermuteter Folter. Danach geht es in die Vergangenheit und es folgt die Geschichte, die zu eben dieser Verhaftung führt.

Gleich anfangs offenbart sich Judith als gleichermaßen sympathisch-wissbegierige wie mutige Hauptfigur. Sie steht nach dem Tod ihrer Mutter nicht nur dem Haushalt ihres Vaters auf Lare vor und erzieht ihre beiden Brüder mit. Darüber hinaus bietet sie auch der Tochter und der intriganten Gemahlin des Kaisers Obdach und Freundschaft. Ihr bereits bestehendes Interesse für die Heilkunde wird mit einem Unfall eines ihrer Brüder und der Ankunft des maurischen Leibarztes des Kaisers, des Sklaven Silas, verstärkt. Im Laufe der Jahre wird Judith erwachsen, überquert als Begleiterin der Gemahlin der jungen Kaiserin die Alpen und landet in Italien mitten im Krieg. Dort werden ihre heilerischen Fähigkeiten auf die Probe gestellt, denn sie arbeitet Hand in Hand mit Silas und auch die Kaiserin benötigt ihre Hilfe. Während dieser Reise bekommt sie zufällig mit, was die junge Kaiserin auf Drängen ihres Bischofs gegen ihre Kinderlosigkeit unternimmt und hat fortan einen Geistlichen zum Feind, der offenbar auch vor Mord nicht zurückschreckt. Judith kehrt nach Hause zurück und wird nach etwas mehr als der Hälfte des Buches dann Nonne und später Äbtissin des Cyriakusstifts zu Eschwege. In diesem Zusammenhang wird sie in ein weiteres Geheimnis eingeweiht. Judith gerät also mehr als einmal in Gefahr.

Die Beschreibung der damaligen Zeit ist anschaulich und nachvollziehbar gestaltet. Egal ob es sich um die Lebens- und Wohnverhältnisse, die Macht der Kirche und ihrer Vertreter, die Willkür der Herrschenden, die Verklärung des Rittertums oder das damalige Frauenbild handelt: Man hat keine Schwierigkeiten, sich die Gegebenheiten und Unwägbarkeiten vorzustellen. Der Schreibstil der Autorin ist an die damalige Zeit angepasst und lässt sich grundsätzlich leicht lesen.

Dennoch: Trotz der hintergrundmäßig dichten Atmosphäre und der an sich spannenden Grundidee konnte mich der Roman nicht wirklich fesseln. Dazu hat die Geschichte in meinen Augen bedauerlicherweise zu viele Schwachstellen.

Zum einen blieben mir die Charaktere abgesehen von Judith samt und sonders fremd. Sie sind zu distanziert und eher oberflächlich skizziert. Nicht einmal Silas wird näher beleuchtet. Die nach Lektüre der Inhaltsangabe vermutete Liebesgeschichte kommt, auch weil die beiden tatsächlich gesellschaftsbedingt überaus wenig Zeit miteinander verbringen, nicht zum Tragen. Und obwohl (nicht nur) Judith für damalige Verhältnisse alt wird, entwickelt sie sich in meinen Augen nicht wirklich weiter. Man könnte sagen, dass sie trotz einiger mädchenhafter Züge von Anfang alt ist oder sich im Alter auch etwas Mädchenhaftes bewahrt, allen Erlebnissen zum Trotz. Das mit dem früh alt wirken kann durchaus mit der damaligen Zeit zusammenhängen, in der Kindern nicht unbedingt viel Zeit für ihre Kindheit zugebilligt wurde. Doch genau dieses Stehenbleiben ihres Charakters führte dazu, dass Judith mir im Laufe der Geschichte zunehmend fremder wurde.

Unabhängig davon wirken die Geheimnisse etwas zu bemüht. Ihre angedeutete Brisanz wird durch die tatsächliche Handlungsweise der Geheimnisträger ad absurdum geführt. Zwar erscheinen Judiths Reaktionen durchaus nachvollziehbar, die ihrer Widersacher jedoch in gewisser Weise recht ausgebremst.

Wie bereits erwähnt, kann eine lange Handlungsdauer für viele gemütliche Lesestunden sorgen. Zu viele Jahre können eine Geschichte faktisch aber auch zerstückeln und in Das Geheimnis der Äbtissin finde ich die Proportionierung der Jahre tatsächlich nicht sehr gelungen. Bereits zwischen den Jahren 1156 bis 1166 treten kleinere Zeitsprünge auf, die jedoch zunächst nicht weiter ins Gewicht fallen. Insgesamt widmet die Autorin diesen Jahren, in denen sich Judiths und Silas‘ Wege mehrfach kreuzen und wieder trennen, bereits zwei Drittel des Buches. 1166 ist Judith schon Nonne geworden, jedoch noch keine Äbtissin.

Auf Seite 342 findet man sich dann plötzlich im Jahr 1184 wieder. Dort wird erwähnt, dass Judith Äbtissin des Cyriakusstifts geworden ist und vom Kaiser nach Mainz geladen wird. Abgesehen davon, dass sie bei dieser Reise Silas erneut begegnet, spielt die Beziehung der beiden nach wie vor eine eher untergeordnete Rolle. Zu ausführlich geht die Autorin stattdessen auf ein Ereignis im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten ein und ganz nebenbei auch auf eines der Geheimnisse, knüpft angedachte Intrigen und weitere Widersacher in die Geschichte ein. Dann folgt ein weiterer Sprung ins Frühjahr 1191 und damit zum bereits angesprochenen Verschwinden Judiths. Ihre Beweggründe für eine Flucht sind zwar durchaus nachvollziehbar erklärt. Die ihres Widersachers jedoch nicht. Speziell dieses Kapitel lässt den Eindruck entstehen, dass hier die Geschichte schnell und irgendwie fertig erzählt werden musste. Auch Silas wird darin wiederum eher präsentiert als geschickt mit der Handlung verwoben.

Und gerade die letzten beiden Zeitsprünge drohen die roten Handlungsfäden um Silas und Judith beziehungsweise um Judiths Geheimnisse fast zu zerreißen. Insgesamt nehmen sie der Geschichte eindeutig an Spannung. Zu vieles wird einfach erwähnt, ohne wirklich erklärt zu werden. Zu oft wird vom Tod einer Figur berichtet, die entweder zuvor bereits nahezu sang- und klanglos aus dem Fokus der Autorin verschwunden zu sein scheint oder aber gerade erst an Kontur gewinnt. Trotz mehrerer geschickt angedachter Wendungen kommt die verlorene Spannung für mich auch nicht wieder auf.

Beide Erzählstränge haben letztlich ein offenes und im Bezug auf Silas und Judith tatsächlich überraschendes Ende. Dieses lässt nicht nur LeserInnen Platz für eigene Gedankengänge. Es bietet der Autorin auch Raum für eine Fortsetzung.

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Eins der Bücher, die mich gespalten zurücklassen. Einerseits der anschaulich beschriebene Hintergrund, der dazu passende Schreibstil, die leicht lesbare Sprache und die anfangs überaus sympathische Hauptfigur. Andererseits sorgt der zunehmende Spannungsverlust für Längen, die das Lesen erschweren. Erschwerend hinzu kommen die  überwiegend zu blassen Charaktere und dann noch die Diskrepanz zwischen der Inhaltsangabe und der daraus bei mir entstehenden Erwartungshaltung. Wirklich schlecht fand ich das Buch nicht, dazu fand ich den historischen Bezug zu gut gelungen. Doch richtig packen konnte mich Judiths Geschichte auch nicht, weshalb ich für Das Geheimnis der Äbtissin nur drei von fünf Punkten vergeben möchte.

Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)

11. Januar 2013

HUNTER, MADELEINE: EIN SKANDALÖSES RENDEZVOUS

Filed under: Belletristik,Historisch,Liebe,Roman — Ati @ 17:34

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Originaltitel. Ravishing in Red
ins Deutsche übersetzt von Stefanie Pannen
Egmont-LYX
ISBN13: 978-3802587924
ISBN10: 3802587928
Historical romance
deutsche Erstausgabe 07/2012
Taschenbuch mit Klappenbroschur, 400 Seiten

[D] 9,99 €

Verlagsseite

Autorenseite

 

Die in Pennsylvania lebende Autorin hat Kunstgeschichte studiert und arbeitet als Lehrerin an einem College. Daneben verfasst sie Romane. Mit ihrem im Jahr 2000 erscheinenden Debüt erhielt sie den Preis Waldenbooks Bestselling Debut Author. Egmont-LYX veröffentlicht eine kleine Buchserie der Autorin. Ein skandalöses Rendezvous bot im Juli 2012 dabei den Auftakt. Der zweite Band Die widerspenstige Braut ist seit Januar erhältlich. Ein dritter Band mit dem Titel Eine Lady von zweifelhaftem Ruf ist für Juni 2013 geplant.

Abgesehen vom Genre, dem historischen Hintergrund und der Tatsache, dass diese Bücher eben von Madeleine Hunter geschrieben wurden, bieten sie keine größeren Gemeinsamkeiten. Sie können deshalb unabhängig voneinander gelesen werden, da die Hauptfiguren von Buch zu Buch ebenso wie die Hintergrundgeschichten wechseln.

Im Auftaktband, der gerade vor mir liegt, geht es um Audrianna, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Ruf ihres Vaters reinzuwaschen. Dieser soll für sein Land minderwertiges Schießpulver gekauft haben und so für Tod und Verletzungen diverser Soldaten verantwortlich sein. Aus Scham nahm er sich das Leben. Nach seinem Tod zieht Audrianna zu einer Cousine und versucht, so gut es geht, auf eigenen Füßen zu stehen. Doch Audrianna untersucht nicht alleine die Vorgänge um das minderwertige Material, auch Lord Sebastian Summerhays tut dies. Dadurch treffen die beiden aufeinander. Audrianna erhofft sich entlastende Informationen, Summerhays belastendes Material. Die beiden werden dabei jedoch unglücklicherweise in einer kompromittierenden Situation erwischt, Summerhays sogar verletzt, und der Skandal schwappt über Audriannas gerade noch einigermaßen stolz erhobenes Haupt hinweg. Einzig die Heirat mit Summerhays kann ihren Ruf jetzt noch retten.

Die Autorin zeichnet ihre weibliche Hauptfigur, ebenso wie deren Cousine, bezogen auf die Zeit überraschend modern und unabhängig und gleichzeitig durchaus glaubwürdig. Ihr Selbstbewusstsein schwindet jedoch jedes Mal, sobald der attraktive Summerhays auf den Plan tritt. Der ist eigentlich nur der zweite Sohn, hat ein eher schwierig gestaltetes Verhältnis zu seiner mit Standesdünkeln behafteten Mutter und ein enges Verhältnis zu seinem kriegsversehrten älteren Bruder. Auch die etwas schrulligen Freunde jenes Bruders sind mit von der Partie. Alle Charaktere sind klar gezeichnet, haben alle ihre kleinen Macken, Fehler und Ängste.

Wie so oft bei LYX ist auch dieses Mal das Cover/Buch ansprechend liebevoll und passend gestaltet. Es zeigt eine junge Frau in einem cremefarbenen Kleid, dessen Schnitt der damaligen Zeit entsprechen dürfte. Das Muster ihres Kleides – kleine goldene Ornamente – wiederholen sich in einer Art Rahmen um diese Gestalt ebenso wie an den Kapitelanfängen (wo sie dann natürlich grau gehalten sind). Bei der Frauengestalt sieht man keinen Kopf/kein Gesicht – was gut zu der Thematik passt, möchte Audrianna doch unerkannt nach der Wahrheit forschen. Die sittsam gefalteten Hände passen zu ihrem Charakter und der kleine Ausschnitt ihres Kleides deutet auf die im Buch dezent aufflammende erotische Grundspannung zwischen Audrianna und Summerhay hin.

Die zwischen den beiden Hauptfiguren entstehende romantische Beziehung wächst behutsam und gerade deshalb gut nachvollziehbar. Es geht aber auch um Freundschaft und Gier, um Schuldgefühle und ein wenig Eifersucht, denn Audrianna und Sebastians Bruder verstehen sich blendend. Nicht nur hier zeigt sich, dass Sebastian zwar durchaus über Autorität verfügt, gleichzeitig jedoch selbst stetig zurücksteckt, seit er für seinen älteren Bruder nach dessen Unfall dessen Position übernommen hat. Dass ihm ein eigenes Leben fehlt, wird ihm erst durch Audrianna bewusst.

Der zum Skandal und der Heirat führende Handlungsstrang um Audriannas Vater und das minderwertige Schießpulver wird im Hintergrund weitergesponnen und geschickt mit dem romantisch ausgebauten Hauptteil verwoben. Durch den flüssigen Schreibstil können Hunters LeserInnen leicht in die Geschichte eintauchen.

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Sympathische Charaktere in einer leichten, romantisch gestalteten Geschichte. Mit Ein skandalöses Rendezvous hat Madeleine Hunter einen Roman für ein paar entspannend-unterhaltsame Lesestunden geschaffen, weshalb ich dem Buch vier von fünf Punkten geben möchte.

Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)

19. November 2012

LENOX, KIM: WENN DIE NACHT BEGINNT – Shadow Guard 01

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Originaltitel: Night falls darkly
aus dem Amerikanischen übersetzt von Michaela Link
Egmont LYX
ISBN13: 9783802586330
ISBN10: 3802586336
Fantasy
1. Auflage 11/2012
Taschenbuch mit Klappenbroschur, 352 Seiten
[D] 8,99 €

Verlagsseite
Autorenseite (englisch)

Obwohl ich gleichermaßen gerne historische wie auch Fantasy Romane lese, finden sich bis jetzt relativ wenige Romane in meinen Regalen, die beides ausgangs des 19. Jahrhunderts miteinander verknüpfen. Deshalb habe ich mich freudig auf den Auftaktroman der Shadow Guard-Reihe mit dem Untertitel Wenn die Nacht beginnt aus dem Hause Egmont LYX gestürzt.  

Die Autorin Kim Lenox entdeckte ihre Liebe zum Lesen früh und verlor sich geradezu in der Welt der Bücher. Das ging so weit, dass ihre Mutter, wie man ihrer Homepage entnehmen kann, sie eines Tages aufforderte, den Müll hinauszubringen und anschließend mit der Bemerkung nicht mehr ins Haus ließ, dass sie in die Sonne gehen und sich Freunde suchen solle, anstatt sich lesend in ihrem Zimmer zu vergraben. Dieser Aufforderung kam die Autorin in gewisser Weise nach. Ihre bibliophile Ader konnte sie jedoch niemals unterdrücken, und so zieren heute zahlreiche Bücher ihre Wohnung – egal ob sehr alt, älteren oder neueren Datums sind sie Genre übergreifend auf sämtliche Räume dort verteilt. Ihre Kinder hat sie damit auch schon angesteckt. Neben einigen anderen Dingen entdeckte sie im Laufe der Zeit auch die Liebe zum Schreiben und so erschien 2008 ihr Debütroman Night falls darkly. Zwei Folgebände vervollständigten alsbald die Trilogie um die Shadow Guards. Diese harren jedoch im Gegensatz zum Auftaktroman Wenn die Nacht beginnt noch ihrer deutschen Übersetzung.  

Im besagtem, gerade vor mir liegendem Auftaktroman geht es um Lord Archer Black, der ins London des 19. Jahrhunderts zurückkehrt. Obwohl er wie ein Mensch aussieht, ist er weit mehr als das. Er ist ein Unsterblicher. Zwei weitere seiner Art befinden sich ebenfalls in London. Alle drei sind auf den Fersen grausamer Seelen, die nicht nur Menschen töten, sondern auch eine Gefahr für die Welt der Ahnen und Unsterblichen darstellen. Neben dem unheimlichen und real bekannten Serienmörder Jack the Ripper treibt ein zweiter Serientäter sein Unwesen in London. Den im ersten Band erwähnten Shadow Guards Marcus Helios und Selene sind dann im übrigen der zweite bzw. dritte Band der Trilogie gewidmet.

Doch es geht in Shadow Guard – Wenn die Nacht beginnt natürlich nicht nur um die Jagd nach Jack the Ripper. Eine weitere Figur ist Elena Whitney, das Mündel von Lord Black. Die hat Jahre zuvor bei einem Vorfall das Gedächtnis verloren, an dem ihr Vormund nicht ganz unbeteiligt war. Elena lebt in seinem Londoner Stadthaus, arbeitet als Krankenschwester im London Hospital (und damit ganz in der Nähe des Rippers). Auf gesellschaftliches Leben lebt die junge Frau keinen allzugroßen Wert, möchte sie doch Ärztin werden. Als Elena ihren Vormund endlich persönlich kennenlernt, fühlt sie sich von ihm angezogen und er sich von ihr. Und so dreht sich neben Blacks Versuchen, den Ripper zur Strecke zu bringen, alles um die sich anbahnende Beziehung zwischen den beiden. Fatalerweise gerät Elena dadurch auch ins Visier des Mörders. 

Überrascht haben mich in gewisser Weise die einzelnen Charaktere. Vor allem Elena, die sich neben ihrer Zurückhaltung, was gesellschaftliche Belange betrifft, sehr aufgeschlossen und ihrer Zeit in gewisser Weise voraus offenbart. Das zeigt sich nicht nur darin, dass sie Lord Black recht offen signalisiert, dass sie mehr oder weniger zu allem bereit ist, was ihn betrifft. Man erlebt sie Wasserpfeife rauchend, erfährt, dass sie tätowiert ist und sich ihr sehnlichster Wunsch derart gestaltet, dass sie an der Autopsie einer männlichen Leiche teilnehmen kann (was Frauen zur damaligen Zeit eher selten bis gar nicht durften). Dabei wirkt sie jedoch nicht unglaubwürdig.  

Neben ihr kommen auch die kauzige Gesellschafterin oder ihr in sie verliebter Chef gut zur Geltung, der ihr bezüglich ihres Berufswunsches wesentlich weniger Steine in den Weg legt als ihr Vormund. Auch Selene, die im Bezug auf Bücher oder Haustiere sehr spezielle Vorlieben hegt, oder den wandlungsfähigen Marcus, der auch schon mal in Frauenkleider schlüpft, lernt man im Auftaktroman der Shadow Guard-Reihe bereits recht gut kennen. Sie alle zeigen sich mal mehr oder weniger sympathisch, mal mehr oder weniger oberflächlich. Archer Black ist eher düster und befehlend und dann wieder das genaue Gegenteil. Und obwohl er sehr um sein Mündel besorgt ist, bringt er sie selbst immer wieder in Situationen, die Elenas Ruf ruinieren können.  

Auch die Atmosphäre des damaligen Londons wirkt gelungen. Sei es bezüglich der Konventionen, der junge Frauen der Gesellschaft unterworfen waren. Oder der Zustände, mit denen die eher nicht so gut gestellten Bewohner Londons zu kämpfen hatten.  

Der Schreibstil erinnert mich an früher einmal im Monat zum Wochenendauftakt in der Badewanne verschlungene Historical-Romane aus dem Hause Cora. Die sich anbahnende Beziehung und erotischere Passagen gestalten sich passend dazu auch eher dezent. Dadurch wirken sie in meinen Augen jedoch wesentlich mehr. Ebenso dezent verhält sich der Erzählstrang um Jack the Ripper und den zweiten Serienmörder. Wer fürchtet, lesend auf wahre Blutströme und explizit beschriebene Gewaltorgien zu stoßen, braucht sich also keine Sorgen zu machen. 

Deshalb kann man recht schnell in die Geschichte eintauchen, die sowohl unterhaltende, düster-bedrückende wie auch heitere Passagen beinhaltet. Dennoch fand ich meinen Lesefluss mehrmals nicht gerade unterbrochen, aber durch die eine oder andere langatmigere oder nicht ganz nachvollziehbare Passage gestört. Lenox lenkt ihre LeserInnen auf der Suche nach dem Ripper durchaus auf kleinere Irrwege. Allerdings gestalten die sich nicht immer sonderlich spannend. Grundsätzlich interessant fand ich die Überlegungen, die Archer im Bezug auf die Motivation des Rippers anstellt. Hinter der steckt mehr als pure Mordgier oder schlichter Wahnsinn. Da sie übernatürlichen Ursprungs ist, steht weit mehr auf dem Spiel, als das Leben der im Herbst 1888 ermordeten Prostituierten. Allerdings fand ich die Ausführungen zu dem in diesem Zusammenhang erwähnten Vulkanausbruch etwas zu vage. Noch vager gestalteten sich weitere diesbezügliche Andeutungen. Da es sich bei der Shadow Guard-Reihe jedoch um eine Trilogie handelt, folgt ene befriedigerende Erklärung eventuell ja in den beiden Folgebänden.

 

Wenn man von dem in meinen Augen gut gelungenen Auftakt der ersten (Liebes-)Nacht von Elena und Archer absieht, hat mich fatalerweise gerade das Fantasyelement eher gestört als unterhalten. Nicht weil es grundsätzlich unpassend, sondern weil dieses Element viel zu spärlich ausgeführt ist. So lässt Lenox ihre LeserInnen absolut im Ungewissen, wie oder was genau Archer so ungewöhnlich macht. Man erfährt zwar beispielsweise, dass er sich unsichtbar machen und mental gewisse Dinge tun kann, doch wirklich erschöpfend ist seine Darstellung nicht. Da ist eine Andeutung, dass ihn Elenas Blut lockt, dann wiederum eine, dass er sich verwandelt, wenn er kämpft. Auch wenn er erregt ist, sieht er nicht mehr ganz so normal aus. Eine bildhaftere Beschreibung hierzu fehlt jedoch. Ebenso wird immer wieder mal angedeutet, dass ein Shadow Guard eine noch extremere Wandlung durchlaufen kann, um seinen Auftrag zu erfüllen. Das aber nur im Fall der Fälle, weil es anscheinend daraus keinen Rückweg gibt. Sieht man von diesem letzten Hinweis ab, tappt man als LeserIn jedoch völlig im Dunkeln, wie diese Verwandlung an sich überhaupt aussehen könnte. Ebenso erfährt man nichts wirklich Nennenswertes im Bezug auf Entstehung, Herkunft und Hintergrund der Unsterblichen oder der Ahnenwelt.  

Die Menschen ahnen anscheinend nichts von der Existenz der Unsterblichen, Letztere tun alles, damit das auch so bleibt. Das wird schon aus der Art und Weise klar, wie Elena ihr Gedächtnis verliert. Anscheinend habe ich deshalb geschrieben, weil es konkret dann doch jemanden gibt, der über Archer & Co. Bescheid weiß. Warum und weshalb es ausgerechnet die Königin des britischen Empires ist, erschließt sich mir nicht schlüssig. Zwar enthält ihr Treffen mit Archer eine in gewisser Weise tröstende Note im Bezug auf das Jenseits, doch erscheint dieser Handlungsfaden zu willkürlich eingewoben und lediglich dem Zweck zu dienen, Archer im Fall der Fälle aus Polizeigewahrsam zu befreien.  

Auch das Ende von Shadow Guard – Wenn die Nacht beginnt gestaltet sich irgendwie unbefriedigend, nicht wirklich überraschend und zu schönmalerisch, um wirklich zu fesseln.  

Fazit: Lord Archer konnte mich nicht in seinen Bann ziehen. Doch obwohl der Auftaktroman der Trilogie in meinen Augen eher mittelmäßig gelungen ist und sich trotz der reizvollen Grundidee nicht wirklich spannend gestaltet, haben mich die offenen Punkte neugierig gemacht. Schließlich kann dies darin begründet sein, dass die Autorin trotz der im Großen und Ganzen jeweils in sich geschlossenen Geschichten in den beiden Folgebänden nicht laufend bestimmte Erklärungen wiederholen möchte. Hinzu kommt, dass Marcus – obwohl er als Nebencharakter ausgelegt ist – interessant wirkt. Deshalb hoffe ich, dass der zweite Band nicht allzu lange auf sich warten lässt. Für Shadow Guards – Wenn die Nacht beginnt möchte ich jedoch nur drei von fünf Punkten vergeben. 

Copyright © 2012 Antje Jürgens (AJ)

13. November 2012

Mawer, Simon: Die Frau, die vom Himmel fiel

Filed under: Belletristik,Historisch,Roman — Ati @ 12:44

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Deutsche Verlags-Anstalt
Originaltitel: The girl who fell from the sky
Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel
ISBN 13: 9783421045652
ISBN 10: 3421045658
1. Auflage 11/2012
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 384 Seiten
[D] 19,99 €

Verlagsseite            

Autorenseite (englisch)

Mit dem von DVA herausgegebenen Titel Die Frau, die vom Himmel fiel von Simon Mawer kommt dessen erster ins Deutsche übersetzter Roman auf den hiesigen Buchmarkt. Mawer wurde 1948 in England geboren, wuchs in Zypern und Malta auf und lebt heute in Italien. Seit 1989 erschienen acht seiner Romane, die in über zwölf Sprachen übersetzt wurden. Es handelt sich um Chimera, A place in Italy, The bitter cross, A jealous god, The gospel of Judas, The Fall, Swimming to Ithaca, Gregor Mendel: Planting the seeds of genetics, und The girl who fell from the sky, der in seiner deutschen Übersetzung gerade vor mir liegt. Darüber hinaus gab es noch Mendel’s Dwarf und The Glass Room. Beide wurden für den Booker-Preis nominiert. Mawer schreibt, wie man bereits den Titeln entnehmen kann, also keine Liebeskomödien. 

In Die Frau, die vom Himmel fiel geht er auf ein Thema ein, das vielen eher unbekannt sein dürfte. Darauf, dass im Zweiten Weltkrieg in England junge Frauen zur Spionage ausgebildet wurden. Etwa fünfzig von ihnen wurden mit Fallschirmen über besetztem Gebiet abgesetzt, damit sie dort ihrer Tätigkeit nachgehen konnten. Benannt wurden diese SOE-Frauen nach ihrer nachrichtendienstlichen Spezialeinheit (Special Operations Executive). Fünfzig Jahre nach Entsendung des ersten SOE-Agenten wurde von der französischen Regierung das Vaelençay-SOE-Mahnmal enthüllt, welches einundneunzig Männer und dreizehn Frauen ehrt, die im Rahmen ihrer Spionagetätigkeit ihr Leben verloren. Zwölf dieser Frauen fielen den Deutschen zum Opfer, eine starb an einer Hirnhautentzündung.  

Marian Sutro ist einer dieser Frauen. Sie entstand in Erinnerung an Colette, der Mawer seine Geschichte widmet. Marian Sutro, alias Alice Thurrock, alias Anne-Marie Laroche. Als sie angeworben wird, ist sie schnell bereit zu tun, was man von ihr erwartet. Was ihr etwas Probleme bereitet ist, dass sie nicht in alles eingeweiht wird und das auch weiß. Sie muss blind vertrauen lernen. Nicht nur ihren Vorgesetzten und anderen Agenten, mehr noch sich selbst. Denn im Grunde darf sie gleichzeitig niemandem mehr trauen. Ihr Bauchgefühl, ihr Verstand, ihr inneres Radar muss funktionieren, wenn sie unentdeckt bleiben will. Sie muss ihre Vergangenheit als Tochter eines britischen Diplomaten und einer französischen Mutter vergessen, ihren Bruder. Eigentlich sollte sie auch Clément vergessen, den sie vor dem Krieg kannte, doch der rückt mit ihrer Mission plötzlich wieder zum Greifen nah, da er wie ihr Bruder Physiker ist. Sie muss von heute auf morgen eine Lüge leben, einfach weil sie die Fähigkeit besitzt, Französisch wie ihre Muttersprache zu sprechen. Sie wird im Töten ausgebildet, lernt Fallschirmspringen, zu morsen, sich zu verstellen. Das alles während des Krieges, also quasi im Schnelldurchgang.  

Speziell zu lernen, niemandem mehr zu trauen, ist überaus schwierig. Was man sein Leben lang gemacht hat, prägt schließlich das momentane Handeln. Situationsgebundene paranoide Denkweisen entstellen das Weltbild, das man für gewöhnlich hat. Als Marian gerade neunzehnjährig in Frankreich in ein Netzwerk von Spionen und ihren Helfern eintaucht, wird ihr bewusst, dass es keinen Plan B gibt. Dass im Notfall höchstens die Zyankali-Kapsel auf sie wartet, die ihr kurz vor Verlassen Englands überreicht wird. Da hilft es auch nichts, dass sie im Rahmen ihrer Ausbildung Benoit kennenlernt und eine Affaire mit ihm beginnt. In Frankreich ist sie auf sich allein gestellt. Der Großteil ihrer Tätigkeit ist Beobachten, Ausharren, auf den richtigen Moment warten. Doch sie wird auch als Kurier benutzt oder an der Ausschleusung relevanter Personen beteiligt. Clément ist als Physiker und im Wettlauf um die Bombe von überaus großem Interesse für die Engländer.  

Und genau wie andere Agenten muss sie bitter erfahren, dass die Deutschen ihre Augen und Ohren nicht selbst überall haben, sondern dass aus wegsehenden Zivilisten genau wie aus enttarnten Agenten Kollaborateure und Verräter werden können.  

Die Times schrieb zu Die Frau, die vom Himmel fiel: „Leidenschaft plus Gefahr – was könnte aufregender sein?“  

Mawers beginnt mit dem Kapitel Trapez. Überaus passend tituliert, denn was darin geschieht, weist eindrücklich darauf hin, dass es bei der Operation kein rettendes Netz gibt und eine einzige falsche Entscheidung zum Tod führen kann. Der Autor teilt danach seine Kapitel in die Zeit in England und Frankreich. Während die Zeit im ersten Teil im Präteritum abgefasst ist, sind die Kapitel in Frankreich im Präsens geschrieben. Diese Zeitform lese ich grundsätzlich nicht so gerne, allerdings unterstreicht sie in meinen Augen den Druck, unter dem Marian steht. Die einzelnen Kapitel sind relativ kurz und viele Details weben ein klares Bild der damaligen Zeit und Denkweisen. Marian wirkt erwachsen und abgeklärt, man sieht sie klar und doch in gewisser Weise gesichtslos vor sich. Ebenso die anderen Charaktere. Doch auch dies konveniert in meinen Augen mit ihrer Spionagetätigkeit.

Störend wirkte auf mich die Fülle französischer Formulierungen. Nicht weil ich etwas gegen die Sprache habe. Genau genommen ginge es mir mit jeder anderen Sprache genauso. Wenn die Atmosphäre stimmt und Marian glaubwürdig keinen Unterschied zwischen ihren beiden Muttersprachen macht (beides habe ich so empfunden), stört der beständige Wechsel eher. Zumal nur einige Formulierungen zeitnah übersetzt oder erklärt werden, andere jedoch gar nicht. 

Der Autor erzählt die Geschichte aus Marians Sicht in dritter Person. Allerdings kommen auch Passagen vor, in denen man sich direkt vom Erzähler angesprochen fühlt. Speziell im Frankreichteil fiel mir dies auf. Manchmal wirkten diese fast wie Gedanken von Marian, dann wieder wie die des Erzählers. Einige wirkten jedoch auch etwas hölzern auf mich und störten meinen Lesefluss. 

Gut umgesetzt ist jedoch der Wechsel im Erzähltempo. Mehr als einmal bremst Mawer an genau der richtigen Stelle ab, um heikle Momente hervorzuheben. Mehr als einmal nimmt genau im exakten Augenblick erzähltechnisch wieder Fahrt auf. 

Obwohl ich so ziemlich alles lese, zählen Agentenromane eher zu den Büchern, die ich weniger gerne zur Hand nehme. Vielleicht weil ich durch einen Exfreund bedingt etwas Bond-geschädigt bin. Sobald das Wort Agentenroman fällt, habe ich erst einmal diesen Namen im Kopf, bevor ich mich dann an andere erinnere. Egal ob die Figuren darin fiktiv oder reflektiv dargestellt werden, er drängt sich gedanklich bei mir recht unschön in den Vordergrund. Irgendwie störte mich seine Lizenz zum Töten, der technische Schnickschnack, mit dem er gegen die Bösen kämpft. Oder die Art, wie er das alles übersteht, quasi wie Phoenix aus der Asche steigt. Warum ich das erwähne? Wegen des oben stehenden Zitats der Times. Natürlich gehen nicht alle Agentenromane in diese Richtung, doch wer angesichts der Times-Formulierung eventuell erwartet, James-Bond-ähnliche Sexszenen in Hotelzimmern, im Flugzeug oder im-am-unter-auf-dem-Wasser zu lesen, wird enttäuscht. Mawers Roman kommt auch ohne große Explosionen und technische Spielereien mit Crash-Boom-Bang-Effekt aus. Und zwar ohne, dass etwas fehlt. 

Die Figuren in Die Frau, die vom Himmel fiel sind keine unzerstörbaren Kämpfer für Gut und gegen Böse. Es sind Menschen wie wir, die in etwas hineingezogen wurden, was größer ist, als sie vielleicht jemals annahmen. Schachfigurartige Spieler in einer Realität, die sich verselbstständigt hat. In der nicht immer hundertprozentig klar ist, wer nun richtig oder falsch handelt. Die Feinde und Freunde oder zumindest wohlgesonnene Dritte nicht immer gleich auf Anhieb erkennen. Die Fehler und Schwächen haben.  

Die im Times-Zitat erwähnte Leidenschaft spiegelt sich für mich im Bezug auf die Tätigkeit der Agenten wieder. Zwar hat Marian ganz normale Bedürfnisse, doch die treten angesichts der Geschehnisse dezent in den Hintergrund. Stört das? Sicher nicht, zumal man die Gefahr, in der sie und ihre Mitstreiter schweben, gut nachvollziehen kann. Die latente, aber ständig vorhandene Angst wird greifbar.  

Fazit: Laut Verlaggseite handelt es sich um einen packenden Roman über eine starke junge Frau, die Mut in gefährlichen Zeiten beweist, und eine »Casablanca«-gleiche Liebesgeschichte vor der Kulisse des historischen Paris. Doch nicht nur Casablancafreunde werden sich mit Die Frau, die vom Himmel fiel unterhalten fühlen. Trotz der vorgenannten Punkte konnte ich das Buch nicht zur Seite legen, wollte wissen, wie es mit Marian weitergeht. Angesichts des historischen Kontextes blieb Mawers ja wenig Spielraum für den Ausgang der Geschichte im Bezug auf den Rest der Welt. Marians Schicksal jedoch konnte er bis zum letzten Kapitel ungewiss lassen. Im Gesamten betrachtet wirkte der Großteil der Geschichte eher abstrakt distanziert als wirklich aufwühlend auf mich. Sie macht dennoch nachdenklich und berührend fand ich Die Frau, die vom Himmel fiel allemal. Daher möchte ich für Mawers Roman vier von fünf Punkten dafür vergeben. 

Copyright © 2012, Antje Jürgens (AJ)

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