Die Leselustige Ati's Rezi-Seite – Buchbesprechungen, Ankündigungen, etc.

6. September 2012

Jones,_Sadie: Der ungeladene Gast

Filed under: Belletristik,Roman — Ati @ 11:46

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Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt
Originaltitel: The uninvited guests
aus dem Englischen übersetzt von Brigitte Walitzek
ISBN: 9783421045553
ISBN: 3421045550
Gebundene Ausgabe, 320 Seiten
[D] 19,99 €
Erscheinungstermin 09/2012

 

Verlagsseite 

Mit Der ungeladene Gast bringt Sadie Jones ihren dritten Roman auf den deutschen Buchmarkt. Zuvor erzielte sie bereits 2008 mit ihrem Debütroman (Der Außenseiter) nicht nur in Großbritannien auf Anhieb Achtungserfolge. Jones wurde dafür mit dem Costa Book Awards ausgezeichnet und kann zudem auf mindestens ein verfilmtes Drehbuch (The fine art of love, 2005) zurückblicken. Allerdings – wie jeder andere Jungautor – musste die 1967 (es könnte laut Verlagsseite allerdings auch 1968 gewesen sein) geborene britische Autorin zuvor durchaus auch einige Fehlschläge hinnehmen und sich beispielsweise als Kellnerin die Butter auf ihren Brötchen verdienen. Das dürfte mittlerweile nicht mehr nötig sein, denn nicht nur ihr preisgekrönter Debütroman wurde zwischenzeitlich in mehrere Sprachen übersetzt.

 

Zitat Verlagsseite:

 

Eine stürmische Nacht, ein rauschendes Fest

und ein Geheimnis, das nie hätte ans Tageslicht gelangen dürfen

 

Ein schöner Frühlingsabend im Jahr 1912: Es ist Emerald Torringtons zwanzigster Geburtstag. Das schon etwas heruntergekommene Sterne-Anwesen blitzt und glänzt, ein großes Dinner mit Freunden der Familie ist geplant. Doch ein Zugunglück, nur einige Meilen entfernt, sorgt dafür, dass eine Schar derangiert aussehender Passagiere vor der Tür steht und Einlass begehrt. Von nun an läuft nichts mehr nach Plan – und dann taucht auch noch ein Nachzügler auf, der ein dunkles Geheimnis mit der Hausherrin teilt. Während draußen ein nächtlicher Sturm heraufzieht, beginnen drinnen Anstand und Dekorum davonzuwehen und dem Chaos den Weg zu bereiten …

Der Einband des vor mir liegenden Romans ist in einem warmen Rot gehalten. Er zeigt vorne eine Frau mit aufgestecktem Haaren in einem roten Kleid von hinten, wobei das Muster des Kleides und das Muster rot tapezierten Wand, vor der sie steht, identisch ist. Automatisch dachte ich dabei „das könnte jeder sein“ und faktisch passt es damit zu den lebendig wirkenden Romanfiguren, die tatsächlich durchaus neben uns wohnen könnten – Zeitraum hin oder her. Der Titel der deutschen Übersetzung ist stimmig und doch auch wieder nicht. Denn tatsächlich erscheint zu der eigentlich eher klein angedachten Geburtstagsfeier Emeralds nicht nur ein ungeladener Gast, sondern gleich mehrere. Allerdings gehen die anderen Überraschungsbesucher eher unter.

Was erwartet man beim Betrachten des Buches? Oder Lesen des Klappentextes? Ein Drama? Ein historisches Sittengemälde? Ein Art Gaslicht-Atmosphäre? Einen psychopathischen Daueramoklauf und permanente Gänsehaut vom bloßen Umblättern? Es könnte alles sein. Zumal man bei Titeln der Deutschen Verlags Anstalt sicher sein kann, dass es etwas ist, das sich angenehm vom üblichen Mainstream abhebt.

Mit Der ungeladene Gast bekommt man auch prompt einen Hauch Mystery, reichlich (schwarzen) Humor und feine Ironie. Psychologisch geschickt platzierte Seitenhiebe und Sticheleien mit einem unverstellten Blick auf eine gleichermaßen skurril versnobte, wie teilweise verarmte feine Gesellschaft. Auf verkrustete Strukturen und wenige Möglichkeiten. Auf gewünschtes Sein und tatsächlichen Schein.

In Jones Roman gibt es fast ein Dutzend näher beschriebener Charaktere. Trotz dieser Fülle bleibt keiner von ihnen eindimensional. Sie zeigen sich vielschichtig und letzten Endes trotz aller Fehler nicht ganz so auf sich selbst bezogen sind, wie sie anfänglich wirken. In den acht Kapiteln zeigt sich, dass manches aus purem Eigennutz und anderes dann doch eher aus Eigenschutz geschieht. Fast alle lassen sich erschreckend leicht manipulieren und gewinnen dadurch noch an Echtheit.

Und so wird man mit eher leisen Tönen durch die Geschichte gezogen.  Direkt hineingezogen hat es mich zugegebenermaßen nicht in Jones Roman – dafür gab es einige zu vorhersehbare Wendungen. Dennoch konnte ich das Buch nicht einfach weglegen. Denn zusätzlich zu den vorhersehbaren Wendungen kamen beim Lesen auch Fragen auf. Die wollten beantwortet werden, konnten es aber nicht gleich, da die Autorin mehrfach teils humorvolle, teils bitterböse oder arrogant wirkende Ausweichmanöver startete und vom eigentlich Offensichtlichen wegführte.

Da ist eine scheinbar ganz normale Familie. Der Stiefvater macht sich auf, Gelder zu besorgen, um das Anwesen und den Lebensstandard seiner angeheirateten Familie zu bewahren. Ein finanziell etwas in Schieflage geratenes Familienidyll? Nicht ganz, denn seine Stiefkinder bilden sich viel auf sich ein und lehnen ihn ab. Jedenfalls wird das im Bezug auf Emerald und ihren Bruder Clovis deutlich. Imogen, Smudge genannt, das dritte Kind im Bunde bleibt größtenteils sich selbst überlassen und kann ihre liebenswert kindlichen und doch sehr exzentrischen Einfälle –  etwa ein Pony in ihr Zimmer zu bringen – in die Tat umsetzen. Emeralds Mutter Charlotte offenbart sich größtenteils als verantwortungslose, egoistische, ja  oberflächliche Frau. Der reiche Nachbar John wirkt engstirnig und bigott, die ankommenden Freunde Ernest und Patience dagegen bodenständig und verlässlich. Da gibt es die verhärmte Haushälterin Florence und natürlich ist da noch Der ungeladene Gast Charlie Travesham-Beechers. All das wird genauso leicht und fast spielerisch erzählt wie die Ankunft der verunglückten Zugreisenden, die dringend ein Quartier für die Nacht brauchen. Das bekommen sie zwar, wirkliche Zuwendung und Versorgung erfahren sie jedoch nicht, da es sich nur um Passagiere der dritten Klasse handelt, die man in den Augen der Familie getrost übersehen kann. Zwar lässt Jones das eine oder andere Mal so etwas wie ein schlechtes Gewissen bei dieser aufkommen, wirklich hilfsbereit wirkt sie jedoch nicht, steht doch immerhin Emeralds Geburtstagsfeier an, die ihre absolute Aufmerksamkeit verdient. Dem verspätet eintreffenden Zugreisenden Travesham-Beechers der ersten Klasse geht es da schon anders und er wird nicht nur wegen seiner fast bezwingenden Ausstrahlung geradezu hofiert.

Die Welt Emeralds und ihrer eigentlichen Gäste gerät durch das Auftauchen der verunglückten Zugreisenden kurzfristig aus den Fugen. Die Autorin setzt dabei nicht auf Schockeffekte im großen Stil. Dafür webt sie langsam und stetig  eine dichte, vielschichtige und bildhafte Atmosphäre um ihre Figuren, deren eigentliche Spannung sich manchem Leser eventuell erst auf den zweiten Blick und für einige eventuell gar nicht erschließen wird. Doch es lohnt sich dranzubleiben, denn alle ihre Charaktere – außer der kleinen Smudge –  machen eine Wandlung durch. Lernen dazu, was anfangs unmöglich erscheint. Und das alles in einem Zeitraum von wenigen Stunden.

Fazit:

Der ungeladene Gast startet (fast zu) behutsam und nimmt erst nach einer Weile an Fahrt auf. Was nicht grundsätzlich schlecht ist, sondern dafür sorgt, dass Jones eine wie bereits erwähnt überaus bildhafte Kulisse für und mit ihren authentischen Figuren schafft. Doch genau deshalb würde ich den Roman auch eher als unterhaltsam denn spannend bezeichnen. Der dezent-spukige Effekt steigert sich zudem so behutsam, dass man bald erkennt, worauf er hinausläuft. Letztlich fügt er sich zwar so passend ein, dass man ihn dennoch nicht missen will. Trotzdem bleibt das Ende etwas unbefriedigend. Beinahe als wäre etwas gestrichen oder  in letzter Sekunde abgewandelt worden. Alles in allem habe ich mich jedoch gut unterhalten gefühlt und möchte allein schon wegen der Bildhaftigkeit vier von fünf Punkten für Der ungeladene Gast vergeben.

 

Copyright © 2012 Antje Jürgens (AJ)

7. August 2012

Levy,_Andrea: Das lange Lied eines Lebens

Filed under: Belletristik,Historisch,Roman — Ati @ 15:03

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Andrea Levy: Das lange Lied eines Lebens

Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt
Originaltitel: The Long Song

aus dem Englischen übersetzt von Hans-Christian Oeser

ISBN 9783421044839

ISBN 342104483X

Paperback, 368 Seiten

[D] 19,99 €

Erscheinungstermin 03/2011

 

Verlagsseite

Autorenseite

 

Die 1956 in London als Tochter jamaikanischer Einwanderer geborene britische Autorin Andrea Levy saß kulturell betrachtet schon immer zwischen zwei Stühlen. Sie weiß aus ihrer Tätigkeit in einer sozialen Einrichtung, was rassistische Übergriffe sind und wie man sie abwehrt, obwohl sie in ihrer Kindheit selbst wenig damit zu tun hatte. Sie arbeitete bei der BBC, gründete mit ihrem Mann eine Firma für Grafik-Design, studierte kreatives Schreiben und begann – weil es noch Ende der 1980er, Anfang der 1990er in England wenig bis keine schwarze Autoren gab, die sich mit der (nach-)kolonialen Vergangenheit des Vereinigten Königreiches beschäftigten – selbst darüber zu schreiben.

 

In ihrem ersten Roman (Every light in the house burnin‘) verarbeitete sie teilweise eigene Erfahrungen und auch ihre Folgeromane thematisierten schwarze Einwanderer in London, ihre Träume und Probleme, ihre Suche nach Wurzeln und Geschichte. Obwohl es anfangs eher unwahrscheinlich erschien, bekam sie bereits für ihren Debütroman mehrere Auszeichnungen und half mit, multiethnischen Autoren der britischen Gegenwartsliteratur den Weg zu ebnen.

 

Bisher sind zwei ihrer Bücher in deutscher Sprache erschienen. Nach dem 2007 beim Eichborn Verlag veröffentlichten Roman „Die englische Art von Glück“ (der von der BBC verfilmt wurde), brachte im März letzten Jahres die Deutsche Verlags-Anstalt Das lange Lied eines Lebens auf den hiesigen Buchmarkt. Mit ihrem fünften Roman lädt die Autorin ihre Leserschaft nach Jamaika ein. Nicht in das der Gegenwart, sondern in das Ende des 19. Jahrhunderts. In die Zeit ihrer Großeltern also. In eine Zeit, in der Levy sich neben historischer Recherche auch der Fiktion bedienen musste.

 

Das DVA-Cover zeigt einen Frauenkopf im Scherenschnittstil vor einem türkisblauen Hintergrund, einige exotisch anmutende Blüten und einen kleinen Kolibri. Ein einfach gestaltetes Cover also, dass sich mit dem gar nicht einfachen Leben einer einfach gehaltenen Frau beschäftigt.

 

Drei Jahrzehnte nach Abschaffung der Sklaverei durch die englische Königin drängt der Sohn der Hauptfigur July seine Mutter dazu, ihre Geschichte aufzuschreiben. Eigentlich wollte sie sie ihm nur erzählen. Das Verhältnis zwischen den beiden ist nicht das beste. Sie hat ihn als Baby ausgesetzt und möchte sich nun rechtfertigen. Er möchte, dass auch seine Kinder an dieser Geschichte teilhaben können. Offen und vollständig will er alle Geheimnisse und Geschehnisse niedergeschrieben sehen, ohne irgendwelche Ausflüchte zuzulassen. Er regt sich über seine Mutter auf, die sich dagegen sperrt, alles zu offenbaren.

 

Das Buch beginnt mit einem Vorwort des Sohnes, sodann lässt Levy July in erster Person direkt an den Leser gerichtet zu Wort kommen, bedient sich jedoch auch der Erzählung in dritter Person und Vergangenheitsform.  In einfacher, eigentlich kindlicher Sprache webt sie ein Bild eines Systems, in dem sie als Tochter einer von ihrem Besitzer geschändeten Sklavin zur Welt kommt. July gibt vieles preis. Stück für Stück auch ein gut gehütetes Geheimnis im Bezug auf ihren Sohn. Allerdings auf eine Art und Weise, bei der sich nicht nur der Sohn am Ende des Romans in seinem Nachwort fragt, was Fiktion und was Wahrheit ist. Auch der Leser ist sich darüber stellenweise nicht ganz schlüssig.

 

Der gewählte Erzählstil, der leicht und gleichsam gefühllos distanziert wirkt, verstärkt das Erzählte. Er wirkt echt und wie so viele Geschichten, die sich mit Rassismus beschäftigen, erschüttert Julys Rückblick auf ihr Leben auf der Zuckerrohrplantage Amity. Es war umständlich und hart – allein im Hinblick auf den technischen Entwicklungsstand. Doch wirklich erschütternd ist der Blick auf die menschenverachtende Sklaverei. Familien wurden willkürlich, teils lediglich um des Profit willens, auseinander gerissen. Ein Leben zählte so gut wie nichts, denn es ganz ja immer Nachschub. Sklaven hatten in den Augen ihrer Besitzer keine Gefühle, von Rechten natürlich ganz zu schweigen. Die in ihrem Hochmut teils stupide wirkenden Besitzer unterstellten ihnen per se Dummheit, ja sprachen ihnen sogar das Menschsein ab. Das Leben wurde durch die offizielle Abschaffung der Sklaverei in den britischen Hoheitsgebieten nicht leichter. Der blutige Aufstand der Sklaven führte zu ihrer Vertreibung in weniger fruchtbare Gebiete Jamaikas. Die ehemaligen Sklavenhalter bedienten sich nicht aufständischer indischer Tagelöhner und unabhängig davon war da noch die Angst vor einer erneuten Versklavung bei einem Verkauf Jamaikas an das seit 1776 vom Vereinigten Königreich unabhängig erklärte Amerika. Nebenbei bemerkt war da die Sklaverei zwar offiziell schon seit 1865 abgeschafft, durch das Convict-lease-System blieben unzählige ehemalige Sklaven trotzdem mancherorts noch bis ins 20. Jahrhundert hinein in einem Zwangsarbeitssystem verstrickt. Das komm, kurz angemerkt, so natürlich nicht im Roman vor, da er ja aus July’s Sicht erzählt wird.

 

Trotz aller mit dem Sklavendasein verbundenen Negativ-Erfahrungen lässt July in ihrer Geschichte keinesfalls nur Trostlosigkeit und Wut, sondern gleichfalls Freude, Hoffnung und spitzbübisch auch eine gewisse Keckheit erkennen. Sie mag in den Augen ihrer Besitzer keine Intelligenz und Bildung besessen haben, die man aus Büchern lernen kann. Doch sie ist aufmerksam und besitzt die Bildung, die einem das Leben beschert. Manches erscheint so übertrieben, dass sofort klar ist, dass July sich diese Wendung ausgedacht hat; dass der Wunsch auf ein besseres Leben der Vater des Gedanken war. July, die die Sklaverei mit allen Höhen und Tiefen noch erleben musste, bedient sich dabei eines in dieser Zeit antrainierten Verhaltens. Mit ihren Übertreibungen und Verschleierungstaktiken, ihren Lügen und Ausweichmanövern schützt sie sich auch im Nachhinein noch vor Demütigungen, will imponieren oder beschämen.

 

Wie bereits erwähnt, sind all diese an sich aufwühlenden Dinge in gefühlskalten, distanzierten Worten vorgetragen. Anfangs hat mich das etwas gestört. Allerdings ging mir bald darauf auf, dass dies die einzig logische Art ist, so etwas zu erzählen. July und die anderen Sklaven wurden von klein auf mit der Nase darauf gestoßen, nichts wert zu sein. Keine Gefühle und Rechte zu haben. Sie wurden mit unabänderlichen Tatsachen konfrontiert, ohne eine Wahl zu haben. Wer gewöhnt ist, eigene Entscheidungen treffen zu dürfen, sich einfach umdrehen und gehen zu können, würde vieles sicher anders erzählen. July musste jedoch ihre Gefühle tief in sich verschließen. So tief, dass vielleicht nicht einmal sie selbst sie wiederfand. Nicht nur um sich vor Schmerz und Enttäuschungen zu bewahren, sondern einfach, um in einem solchen unmenschlichen System zu überleben.

 

Bereits als kleines Kind wird July ihrer Mutter weggenommen und im Haus des Plantagenbesitzers als Mädchen für alles angelernt. Sie hat insoweit Glück, dass sie etwas später als persönlichen Dienerin der Schwester des Plantagenbesitzers eingesetzt wird. Durch diese Position erlangt sie eine gewisse Machtstellung, in gewisser Weise sogar über ihre Herrin. Doch Glück ist relativ. Denn auch in einer solchen Situation wurden die Sklaven erniedrigt und drangsaliert, ausgenutzt und missbraucht. Da hilft es auch nicht, dass man sich selbst (July sieht als Mulattin und nicht als Negerin) als etwas besseres (Haussklaven sind mehr wert als Feldsklaven) sieht. Ihre Herrin ist Ich-bezogen und verwöhnt. Melodramatisch meistert sie die Zeit nach dem Tod ihres Bruders (während des Sklavenaufstandes) mit Hilfe von Aufsehern, die kommen und gehen – bis Robert Goodwin erscheint. Der neue Aufseher und July freunden sich an. Doch eine offizielle Beziehung zu einer Farbigen war damals verpönt und so lässt er July, die sich in ihn verliebt hat, fallen sobald sich die Gelegenheit ergibt. July wird selbst Mutter – jenes Sohnes, der sie später dazu überredet, ihr Leben aufzuschreiben.

 

Fazit

 

Das lange Lied eines Lebens ist kein Buch, das man einfach so nebenbei liest. Es ist bedauerlicherweise vermutlich auch keines, das Massen begeistern wird. Zum einen wegen des gewöhnungsbedürftigen distanzierten Schreibstils. Zum anderen, weil es eines der unrühmlichen, unmenschlichen Kapitel der Menschheit beschreibt. Ein Kapitel, das bedauerlicherweise noch nicht in allen Teilen der Welt abgeschlossen ist. Levy hat sich eingehend mit der Thematik beschäftigt und das merkt man. Sie hebt den Finger ohne belehrend zu wirken. Ihr Buch rührt an, ohne pathetisch zu wirken. Es erschüttert und stößt ab. Es stimmt nachdenklich und wühlt auf. Und es lohnt sich, wenn man es zu Ende liest. Das lange Lied eines Lebens bekommt fünf von fünf Punkten von mir.


Copyright © 2012 Antje Jürgens (AJ)

5. August 2012

Jaud, Tommy: Hummeldumm

Filed under: Humor/Satire — Ati @ 12:27

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Verlag: Fischer Taschenbuch Verlag

ISBN: 9783596174768

ISBN: 3596174767

Belletristik

[D] 8,99 €

Taschenbuch: 303 Seiten

Erscheinungsdatum März 2012

 

Die anstehende Zugfahrt von Köln nach Hamburg brachte mich dazu, quasi in letzter Minute noch etwas zum Lesen zu erstehen. Das vorsichtshalber dafür mitgeführte Buch war einfach zu langweilig und die Fahrt zu lang, als dass ich sie ohne Alternative überstanden hätte. Nachdem meine Bücherregale in den letzten Jahren unzählige Vampire, ähnlich übernatürliche Wesen und Serientätern in sich aufgenommen haben, war wieder einmal Zeit für etwas unverfänglich Lustiges. Und nachdem mich das schreiend orangene Cover mit dem putzig-dämlich starrenden Erdmännchen förmlich anbettelte, es mitzunehmen, landete Jauds Hummeldumm in meinem Reisegepäck. Niedlich fand ich auch die Idee, auf den Seiten unten rechts ein Daumenkino einzubauen. Es zeigt das Erdmännchen mit einem Adapter jonglierend oder die Nase rümpfend.

Der 1970 in Schweinfurt geborene, studierte Germanistiker und vorwiegend in Köln lebende Jaud, bringt mit Hummeldumm seinen vierten Roman auf den Markt. Kritiker monieren, dass er damit nicht an vorherige Veröffentlichungen heranreicht. Andere, dass die Geschichte platt und seine Komik nicht wirklich komisch ist. Ein paar kurze Blicke vorab haben mir dann auch schon gezeigt, dass es keine hochgeistige Literatur ist, die der Mitgestalter von Wochenshow und Ladykracher damit offeriert. … Also genau richtig für eine längere Fahrt, bei der man eventuell beim Lesen immer mal wieder gestört wird.  

Die Buchrückseite verrät, dass es um 9 Trottel mit albernen Sonnenhüten,  271 gar nicht mal so wilde Tiere,  3877 Kilometer Schotterpiste im Minibus, und weit und breit kein Handynetz geht. In Namibia erlebt Matthias Klein (genannt Matze), der die Geschichte erzählt, an der Seite seiner Freundin Sina nicht die erhoffte Entspannung. Die vergessene Anzahlung für das traute Eigenheim, in dem er und Sina bald nach ihrer Rückkehr ziehen wollen, in einem Land, in dem Online-Überweisungen einen schon mal vor Probleme stellen können, sollte man kein Ladekabel dabei haben, ist nur eins der Probleme, die sich dort für ihn ergeben. Schließlich will er nicht, dass Sina etwas von seinem dummen Fehler erfährt. Schon allein, weil er ihr dann nicht mehr vorwerfen kann, dass er grundsätzlich und schon gar nicht mit der von ihr gebuchten Reisegruppe durch Namibia reisen will.

Und so wird nicht nur seine Geduld, sondern vor allem die seiner Freundin (samt ihrer Beziehung zueinander), seiner Mitreisenden und seines Reiseführers auf die Probe gestellt. Und stellenweise auch die seiner Leserschaft, denn wie bereits im Inhaltsverzeichnis verraten wird, dreht sich tatsächlich im Großteil des Buches alles um die verzweifelte Suche nach der Möglichkeit zu telefonieren oder wenigstens per Internet Kontakt aufzunehmen. Der Handlungsort wechselt dabei (es handelt sich ja um eine Rundreise), aber es bleibt eben größtenteils die (vergebliche) Suche.

Dass das Buch dennoch für verwunderte Blicke (meiner Mitreisenden auf mich) gesorgt hat, lag an der Art und Weise, wie Jaud seinen Protagonisten und dessen Reisegefährten beschreibt. Nach dem dritten Lacher meinerseits las mein Nebenmann fleißig mit und irgendwann ernteten wir gemeinsam seltsame Blicke. Teils klischeehaft, teils bitterböse offenbart Jaud auf erfrischende und liebevolle Art seine Figuren und lässt sie von einer klamaukartigen Szene in die nächste taumeln bzw. fahren und situationskomische Höhepunkte erleben. Ihre Eigenheiten, wie etwa Dialekt, Vorlieben, oder Wesenszüge, fordern der Geduld des Reiseführers Bahee einiges ab. Etwas überzeichnet hat Jaud sie, dennoch kann man sich jeden einzelnen von ihnen gut vorstellen und mit ihnen fühlen. Ihre kleinen und größeren Schwächen, ihre Eitelkeiten und die Fähigkeit zum Selbstbetrug machen sie lebendig. Jeder, der schon einmal eine Rundreise mit lauter unbekannten Mitreisenden gemacht hat, wird teilweise sehr gut nachfühlen können, was die Truppe so durchmacht, kann man sich doch seine Mitreisenden dabei selten aussuchen. Und obwohl Matze sich stellenweise als teils cholerischer, teils eifersüchtiger Unsympath herauskristallisiert, kann man ihm das meiste lächelnd nachsehen und möchte ihn tröstend in die Arme nehmen. Für den Markierungs-Aktion hätte ich persönlich ihm allerdings neben einer kräftigen Abreibung auch für den Rest der Fahrt einen Knebel und einen Platz im Kofferraum verpasst.

Fazit:

Wie bereits erwähnt, ist Hummeldumm keine hochgeistige Literatur – aber die habe ich bei Jaud weder erwartet noch brauche ich sie, um mich gut unterhalten zu fühlen. Man taucht nicht nur durch den Schreibstil sondern auch wegen der Erzählweise schnell in die Geschichte ein. Das Buch lässt sich auch mit kleineren Störungen leicht und flüssig weiterlesen. Sein Roman ist ein amüsanter Lesequickie, den ich mit vier von fünf Punkten jedem ans Herz legen kann, der mal wieder lachen will.

Copyright © 2012 Antje Jürgens (AJ)

4. August 2012

Grodstein,_Lauren: Die Freundin meines Sohnes

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Verlag: Klett-Cotta
Originaltitel: A friend of the family
Aus dem Englischen übersetzt von Silvia Morawetz
ISBN: 9783608938968
ISBN: 3832161465
Gebundene Ausgabe: 350 Seiten
[D] 21,95 €
1. Auflage Februar 2011
 

Verlagsseite 

Autorenseite 

Viel findet sich nicht im Netz, wenn man Lauren Grodstein eintippt. Die in New Jersey geborene und aufgewachsene Autorin lebt noch heute mit ihrem Ehemann und Sohn dort. Sie unterrichtet kreatives Schreiben und Literaturwissenschaft in Camden. Ihre bisherigen Arbeiten wurden bereits in mehrere Sprachen übersetzt. So auch ihre Novelle „A friend of the familiy“, die im Februar letzten Jahres von Klett-Cotta auf den deutschen Markt gebracht wurde.

Eigentlich könnte alles perfekt sein. Der Internist Pete Dizinoff hat Elaine geheiratet, die er liebt. Die beiden haben Alec, ein Wunschkind, mittlerweile mehr oder weniger erwachsen.  Das eigene Haus, die eigene Praxis, genügend Geld also, und dazu noch Joe und Iris, gute Freunde aus Studienzeiten in der Nachbarschaft. 20 Jahre heimeliges Mittelstands-Klischee in den Vereinigten Staaten.

Nun ja, nicht ganz. Denn Wunschkind hin oder her – Alec ist nicht unbedingt der Schwiegermuttertraum schlechthin. Trotz aller Förderung schafft er die Schule mehr schlecht als recht, kommt mit Drogen in Kontakt, weiß nichts mit sich anzufangen, wirft ein teures Studium hin und will Künstler werden. Was macht der stolze Vater? Er knirscht mit den Zähnen und versucht dennoch die perfekte Grundlage für die Zukunft seines Sohnes zu schaffen.

Das Cover (blauer Himmel mit nur ein paar Wölkchen, ein schlichtes Haus, davor zwei männliche Figuren) ist schlicht  und ich hätte beim Betrachten desselben ebenso wenig wie durch den Titel herausgefunden, worum es geht. Denn es geht weniger um besagte Freundin, als um Petes Leben, in dem alles auseinander fällt. Oder vielmehr alles auseinanderfiel. Sein guter Ruf als Arzt, seine Freundschaften, seine Ehe, seine Familie – alles ist anders und nichts scheint gut. Mit Die Freundin meines Sohnes lässt Lauren Grodstein ihre Leserschaft auf Petes Leben zurückblicken, lässt sie mit ihm auf ein Urteil warten und erfahren, was zum abrupten Ende dieses ach so amerikanischen Idylls führte. Lässt ihn erzählen, was passiert ist.

Hier offenbarte sich für mich ein kleines Manko. Pete stellt sich bereits mit der Schilderung seiner aktuellen Lebenssituation voller Selbstmitleid und wenig sympathisch vor. Das hätte mich das Buch beinahe weglegen lassen. Nach einem anschließenden ausführlicheren Rückblick auf die Umstände, die zu eben dieser Situation führten, lässt die Autorin ihre Hauptfigur an diesen Anfang anknüpfen und beendet dadurch die Geschichte. Das eine oder andere konnte man sich jedoch bereits nach dieser anfänglichen Vorstellung denken.

Grodsteins Hauptfigur offenbart sich von Anfang an also wie bereits erwähnt nicht unbedingt als der sympathisch-nette Typ von nebenan. Vielmehr wird schnell deutlich, dass er ein Kontrollfreak ist, der letztlich nicht einmal vor Gewalt zurückschreckt, um seinen Willen durchzusetzen. Er ist hochmütig und in seiner Hochmütigkeit falsch, da er beispielsweise auf seine Freunde und deren Leben herabblickt. Doch warum? Weil er grundsätzlich ein schlechter Mensch ist?

Sicher nicht. Pete ist tatsächlich vielleicht nicht der sympathisch-nette Typ von nebenan. Aber er könnte nebenan oder sogar mit uns wohnen. Seine Taten und Denkweisen entstehen aus dem Wunsch, alles richtig zu machen. Seine Motivation ist die Liebe. Nicht zur Freundin seines Sohnes, wie man jetzt vielleicht vermuten könnte, sondern die zu seinem Sohn. Der eine oder andere mag das aus seinem Leben eher anders herum kennen (Mutter kann Sohn nicht loslassen, Vater die Tochter). Doch Alec ist Petes Wunschkind von seiner Traumfrau Elaine. Für Alec wünscht er sich ein gutes und sicheres Leben. Da passt es überhaupt nicht, dass der sich ausgerechnet in die in den Schoß ihrer Familie zurückkehrende Laura verliebt. Sie ist einige Jahre älter als Alec, die Tochter von Petes eingangs erwähnten guten Freunden Joe und Iris gleich nebenan. Ausgerechnet Laura, die mit 17 unbemerkt schwanger wurde, das Baby in einer Toilette zur Welt brachte und tötete. Ausgerechnet Laura, die danach erst in der Psychiatrie und dann in der Fremde verschwand. Ausgerechnet Laura – genauso interessant wie labil – verdreht Alec völlig den Kopf. Pete versucht alles, um diese Beziehung zu unterbinden. Darüber vernachlässigt er seine Tätigkeit als Arzt. Prompt unterläuft ihm ein fataler und tödlicher Fehler und er landet vor Gericht. Darüber setzt er seine Freundschaft mit Lauras Eltern aufs Spiel, weil er etwas anrührt, das jahrelang nur oberflächlich übertüncht wurde, um den Schein der Normalität zu wahren. Ein Ereignis, das nie richtig aufgearbeitet wurde. Seine Ehe, seine Familie, sie gerät allein dadurch in Gefahr, weil er nicht davor zurückschreckt, auf seiner Sicht der Dinge zu beharren. Während Petes Frau Elaine Mitleid für Laura empfindet, Alec die Welt nicht mehr versteht, Iris für ihre eigene Tochter kämpft, obwohl sie sie für damals hasst, ist sie in Petes Augen einfach eine Mörderin und gefährlich. Sie ist nichts für seinen Sohn, der auch noch verkündet, mir ihr nach Paris gehen zu wollen. Um das zu verhindern, sucht Pete ein letztes Gespräch mit Laura. Es eskaliert und Laura dreht den Spieß um. Sie wehrt sich nicht nur gegen Petes Versuche sie von Alec zu trennen, sie bringt ihn in Misskredit.

Was grundsätzlich wie ein gutbürgerliches amerikanisches Idyll anmutet, erweist sich sukzessive als oberflächlich gut funktionierende Farce mit etlichen schwelenden Konflikten und jeder Menge Unverständnis. Denn natürlich gab es einen Grund, warum Laura die damalige Schwangerschaft verschwieg. Natürlich gibt es auch einen Grund, warum Alec so ist wie er ist. Und natürlich gibt es 1.000 Gründe den Schein zu wahren, die allesamt wichtiger scheinen, als die wirklichen Probleme. Pete und seine Familie sind bei weitem nicht die Vorzeigetypen, als die er sich und sie selbst gerne sieht. Er wirkt stellenweise arrogant und in seinem Eifer alles richtig zu machen wie bereits erwähnt wenig liebenswürdig. Doch genau das macht ihn wiederum menschlich – wer ist schon perfekt?

Die Autorin springt zwischen den Figuren hin und her, erzeugt durch Andeutungen Spannung – die allerdings durch die eine oder andere langatmige oberflächliche Passage gebrochen wird. Ihre Charaktere sind nicht wirklich diffus, aber auch nicht sonderlich klar herausgearbeitet. Man erkennt durchaus Laura als gleichermaßen schwach wie berechnend. Pete ebenso fatalistisch hilflos wie fanatisch. Dennoch scheint hier etwas zu fehlen. Hinzu kommt, dass der Lesefluss etwas ins Stottern kommt, weil Grodstein in Petes Schilderung der Vorfälle auch noch Zeitsprünge eingebaut hat und auf klitzekleine Nebenschauplätze ausweicht, die nicht zwingend für die Geschichte gewesen wären. Und doch tragen auch diese Abschweifungen, in denen Pete auf an und für sich nebensächliche Erfahrungen seines Lebens eingeht, dazu bei, seine Sorge und Liebe zu Alec herauszuarbeiten.

Und keines von Petes Problemen wirkt so erfunden, dass man den Kopf schütteln müsste. Alle muten, genau wie seine aus Verzweiflung entspringenden Handlungen und die daraus resultierenden Folgen, real und nachvollziehbar an. Grodsteins Roman zeigt, dass Geld und gut situierte Verhältnisse nicht vor Fehlentscheidungen und Problemen bewahren und sie bisweilen nicht nur nicht abmildern, sondern sogar verstärken können. Die gesamte Entwicklung von Petes Geschichte ist nicht immer akzeptabel aber durchaus nachvollziehbar und gerade dadurch erschreckend. Man stellt sich zwangsläufig die Frage, wie weit sich Eltern in das Leben ihrer erwachsen werdenden Kinder einmischen dürfen. Inwieweit sie sie vor Fehlern bewahren dürfen. Was falsch verstandene Liebe und was natürliches Schutzbedürfnis ist.

Fazit:

Die Freundin meines Sohnes lässt sich trotz kleinerer Schwächen leicht lesen, ohne zum Lesequickie zu verkommen. Es ist nicht das spannendste Buch, das ich in letzter Zeit gelesen habe, und hat auch eine eher negative Grundnote. Dennoch konnte ich es nicht einfach so weglegen. Es zog mich langsam aber unaufhörlich bis zum Schluss. Denn durch die Nachvollziehbarkeit bestimmter Handlungen und Gedanken blieb bis zur letzten Seite der Wunsch, zu erfahren, wie die Sache ausgeht. Daher möchte ich Grodsteins Roman vier von fünf Punkten geben.

Copyright © 2012 Antje Jürgens (AJ)

11. Juni 2012

Amber, Elizabeth: Satyr-Reihe

Filed under: Erotik,Fantasy, Horror, SciFi,Roman — Ati @ 18:56

Elizabeth Amber

Knaur

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Der Kuss des Satyrs

Originaltitel:  Nicholas  – The Lords of Satyr

ISBN: 978-3426501535

ISBN: 3426501538

Erotischer Fantasy-Roman

Taschenbuch, 416 Seiten

[D] 7,99 €

EVT März 2009


 

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Die Nacht des Satyrs

Originaltitel: Raine

ISBN: 978-3426506967

ISBN: 3426506963

Erotischer Fantasy-Roman

Taschenbuch, 416 Seiten

[D] 8,99 €

EVT Juni 2010

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Die Braut des Satyrs

Originaltitel: Lyon

ISBN: 978-3426506974

ISBN: 3426506971

Erotischer Fantasy-Roman

Taschenbuch 384 Seiten

[D] 8,95 €

EVT Juli 2010

 

Verlagsseite

Autorenseite

 

 

Laut Verlagsseite ist Elizabeth Amber das Pseudonym einer amerikanischen Autorin, die sich unter diesem Namen zum ersten Mal in den Bereich Romantic Fantasy vorwagte. Wer mehr zu ihr wissen möchte, findet noch die eine oder andere Info auf ihrer (englischsprachigen) Autorenseite www.elizabethamber.com.

 

Ihre Satyr-Reihe erfreut sich, wenn man diverse Lesermeinungen im Internet so durchsieht, einer durchaus begeisterten Leserschaft. Andere hingegen sind weniger bezaubert davon.

 

Bislang sind drei Bände erschienen, der vierte soll 2012 folgen. Grundsätzlich geht es um mystische Wesen – Satyrn – die als Winzer recht erfolgreich mehr oder weniger unerkannt unter bzw. neben den Menschen leben. Doch ihre Weinberge sind bedroht, die Reblaus (von der Autorin ein paar Jahre von ihrem tatsächlichen historisch belegten Ausbreiten verlegt) droht nicht nur in ganz Europa, sondern auch bei ihnen alles zu vernichten. Ihre Ländereien bergen zudem das Portal zur Anderwelt, die immer mal wieder in die Erdwelt zu dringen und diese zu vernichten droht. Die guten Vertreter der Mystik kommen (nicht nur in Gestalt der Satyrn) auch vor. Einer – ein Feenkönig – hat etwa neunzehn Jahre zuvor drei Menschenfrauen geschwängert. Die mittlerweile nahezu erwachsenen Frauen leben als Mischlinge – ohne zu wissen, was sie wirklich sind – bei den Menschen, teils bei Verwandten, teils im Waisenhaus aufgewachsen. Alle haben ein Geheimnis, das sie unbedingt wahren müssen, das aber mit zunehmenden Alter gelebt werden will, bzw. das ein „böser“ Dritter als Druckmittel im Rahmen einer Erpressung benutzt. Alle drei sind unglücklich, da wo sie sind, sehen keine wirkliche Zukunft für sich, fühlen sich einsam. Der mittlerweile sterbende Elfenkönig schreibt an die Satyr-Brüder, damit sie sich auf die Suche nach den drei Frauen machen und sich nach Auffinden mit ihnen vermählen sollen, um ihnen den Schutz zu gewähren, den sie brauchen. Denn böse Anderwelt-Wesen möchten die drei Frauen, um mit ihren übernatürlichen Kräften …. – hier stockt die Grundidee, denn so genau wird gar nicht klar, warum und weshalb ausgerechnet diese drei Frauen so ungewöhnlich mächtig sein sollen, dass sie das Interesse der Anderweltwesen wirklich zwangsläufig erregen oder wie genau der Schutz aussehen soll. Später folgt die Andeutung, dass der Schutz durch die Satyrn darin besteht, dass die Frauen nach ihrer Verbindung mit jeweils einem von ihnen quasi unsichtbar für die Anderweltwesen werden. Doch genau genommen ist das, was in vielen Kapiteln gut hätte erzählt werden können, lediglich in wenigen Sätzen die Vorlage für die Inhaltsangaben. Was nicht angesprochen wird (allerdings in der einen oder anderen Bewertung zutage kommt) ist die Aneinandereihung von Sexszenen, die die tatsächliche Handlung darstellt. Lediglich die anhaltenden Erpressungen bzw. die Erpresser sind, im Rahmen dieser Aneinanderreihung, etwas mehr ausgeführt.

 

Lange Rede, kurzer Sinn, Ambers Reihe ist was für Liebhaber eines bestimmten Genres. Obwohl ich selbst der einen oder anderen erotischen Szene durchaus nicht abgeneigt bin, habe ich die Reihe nach einem Gespräch mit meiner Nichte und einem weiteren mit einer Bekannten bereits im Vorfeld gedanklich ad acta gelegt. Dennoch kam einer der Bände als Gewinn eines Rätsels zu mir, einer als Geschenk (bitte so etwas nie mehr!) und der dritte im Rahmen eines Buchwanderpakets – alle etwa zur gleichen Zeit. Da ich grundsätzlich alles lese, was buchartig verpackt auf meinem Lesetisch landet, habe ich mich also irgendwann an die Reihe gewagt. Nachdem ich 2010 mein erstes Buch von allen in meinem ganzen Leben entnervt nach wenigen Seiten und entsetztem Querlesen unvollendet beiseitelegte (genauer gesagt landete „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche, obwohl es ebenfalls ein Geschenk war, postwendend im Mülleimer), gesellten sich aus der Satyr-Reihe gleich zwei weitere Bände zu der Liste-der-nicht-fertig-gelesenen-Bücher dazu. Ich scheiterte ebenfalls nach wenigen Seiten und Querlesen, bei den Bänden um Nick und Raine. Lediglich der Band um Lyon brachte mich dazu, ihn lustlos zu Ende zu lesen. Leider kann ich mich den positiven Meinungen über diese Reihe absolut nicht anschließen. Zwar stimme ich zu, dass es um mystische Wesen geht (Satyre, Elfen, etc.). Doch beim Rest ….

 

Fangen wir mit der Beschreibung der Handlungsorte und der Zeit (erste Hälfte 19. Jahrhundert) an. Doch ja, da ist das eine oder andere interessante Detail Rom, Paris, Venedig oder auch die Toskana betreffend. Doch Art und Weise, in der diese Details beschrieben werden, lassen das Interesse schnell erlahmen, wirken sie doch passagenweise trocken wie in einem Geschichtsvortrag.

Die Figuren? Ja, man kann sie sich vorstellen, trotz ihrer Eindimensionalität. Sie sind nach gut und böse getrennt – wobei gut und böse wie überall einfach eine willkürliche menschliche Beurteilung ist. Wirklich auffallend – und für mich störend – ist das gezeichnete Männer- und Frauenbild. Demnach sind alle Männer außer den Satyrn brutal, korrupt und intolerant, wie die Satyrn eher sexsüchtig und wie etwa der Ziehvater von Jane oder der Bischoff aus „Die Braut des Satys“ zudem noch weichlich-weinerlich. Dominant sind sie trotz eventueller Loser-Tendenzen gegenüber den Frauen jedoch alle – vor allem Jane, Jordan und Juliette gegenüber. Die sind trotz der Umgebung in der sie sich befinden einfach rein und unschuldig, bergen aber wie gesagt ein Geheimnis. Die übrigen weiblichen Wesen sind … Moment … außer lüstern und unersättlich ist mir nichts im Gedächtnis geblieben.

 

Was mich zum Thema Erotik bringt, die in manchen Bewertungen so positiv herausgestellt wurde. Zugegebenermaßen, bei Erotik scheiden sich bekanntlich – wie bei vielem anderen – die Geister. Wer die Satyr-Reihe verfolgt, muss schon einiges für sexuelle Spielarten aufbringen. Genau genommen besteht die Reihe lediglich aus mehr oder weniger plumpen, dafür enervierend endlos aneinandergereihten Sexszenen. Und in denen gibt es auch noch den einen oder anderen Part, der wie ein Denkfehler oder schlampiges Lektorat anmutet. Doch wie gesagt, Erotik ist – genau wie Spannung – ein Thema, bei dem sich die Geister schon mal scheiden können. Speziell in dem Band in dem es um Raine geht, kommt jedoch hinzu, dass einige der Szenen abgesehen von zum Teil für Otto-Normal-Leser eher abstoßenden Praktiken auch noch vergleichsweise hölzern beschrieben sind. Ob das an der Übersetzung liegt? Keine Ahnung, jedenfalls könnte man fast meinen, dass dieser Band aus einer anderen Feder stammt. In allen drei Bänden finden sich zudem einige Passagen, die ein rasches Wiedererkennen ganzer Sätze bewirken. Seitenfüller? Der Verdacht drängt sich unweigerlich auf.

 

Wer jedoch auf dominante Männer steht (die einfach anscheinend deshalb männlich sind, weil sie entsprechend bestückt alles bespringen, das bei drei nicht auf den Bäumen ist), oder auf Frauen (die nicht nur entsprechend ihrer Zeit eine eher devote Rolle einnehmen), auf Gewalt (ein Wunder, dass die Menschheit überlebt hat), auf  Intrigen (die – nun ja – teils mehr als konstruiert wirken und genau wie die Reblausplage genommen auch hätten weggelassen werden können) und eine Grundidee, die – lediglich angedeutet –  in einem Wust von Sexszenen untergeht, der hat mit dieser Buchreihe sicher seine helle Freude. Zumindest, wenn er neben wenigen spielerischen Fessel- oder Rollenspielchen, ein wenig Oral-Sex, unzähligen „normalen“ Kopulationen von Analverkehr über Gruppensex und Inzest bis Züchtigung alles in Kauf nimmt. Diejenigen werden sich sicher auch darüber freuen, dass die Autorin flugs ihre Grundidee figurtechnisch betrachtet ausgebaut hat. Wo zuvor nur drei Satyrn in dieser Welt lebten (die die Geschichte anfangs quasi kompakt gehalten hätten, weil explizit erwähnt wird, dass es eben nur drei von ihnen gibt), gesellt sich im nächsten 2012 erscheinenden Buch flugs ein vierter dazu. Ich wage mir nicht vorzustellen, wie weit das noch ausgebaut werden kann. Laut ihrer Autorenseite sollen es zumindest sieben Lord-Satyrs werden….

 

Doch: Es gibt natürlich auch positives in den bis jetzt erschienenen Bänden. So fand ich beim Querlesen die Darstellung der Geburt eines kleinen Satyr-Babys recht niedlich (die Satyrn übernehmen die Erstversorgung und eine Schwangerschaft dauert nur 28 Tage). Oder auch, dass die Frauen nicht ganz so perfekt sind (ein Hermaphrodit dürfte für den einen oder anderen Mann natürlich ein Problem darstellen, nicht natürlich für einen omnipotenten und – entschuldigt den Ausdruck – dauergeilen Satyr). Und ich fand es auch recht nett, dass Jane (aus „Der Kuss des Satyrs“), mal eben vertrocknete Pflänzchen heilen oder Juliette (aus „Die Braut des Satyrs“) sich bei einer drohenden Vergewaltigung in Stein verwandeln kann. Die Satyrn verwandeln sich übrigens in der Vollmondnacht durch den „Ruf“, bekommen von der Hüfte abwärts Fell, einen zweiten Phallus und einen heilenden Sucher, wobei das Fell ganz nett, der zweite Phallus in meinen Augen reichlich unhygienisch und der Sucher eine praktische Idee war. Ach ja und Juliettes Art mit ihren Freiern umzugehen, war auch nicht die schlechteste (fantastisch empfängnisverhütend und vor allem konnte sie sich mit nichts anstecken). Oder der Arzt aus „Die Braut des Satyrs“ bekommt eine Strafe für das, was er während Juliettes Geburt getan hat (die man ihm gönnt, angesichts seines Verhaltens gegenüber Juliette an jedem ihrer folgenden Geburtstage) und der, der ihn bestraft findet zwar ein plötzliches Ende, das man ihm aber durchaus gönnt, obwohl er in der gesamten Geschichte zwar geradezu aufdringlich auftaucht und dennoch bis zum Schluss unscheinbar nichtssagend bleibt, weil er eben auch nur eine Figur ist, um die man eine Sexszene drapieren kann).

 

Doch die positiven Textstellen halten sich eindeutig in Grenzen, und unterstreichen zudem die hilflose …. tut mir leid, mir fällt kein anderes Wort ein …. Einfältigkeit der drei Mischlings-Frauen. Bei all ihren Fähigkeiten sind sie völlig hilflos, können sich nicht mal andeutungsweise gegen ihre Peiniger wehren und müssen sich letztlich durch einen übernatürlichen, allzeit bereiten Ich-schreib-es-lieber-nicht retten lassen. Doch obwohl sie so schrecklich mitleidheischend hilflos sind, schaffen sie, was andere zum Teil jüngere Mädchen niemals schaffen können. Sie bleiben bis zu ihrem Zusammentreffen mit den Satyrn jungfräulich unschuldig, was angesichts der beschriebenen Lebensweise und ihrem Umfeld mehr als unglaubwürdig wirkt.

 

Wie gesagt, die sinnlose Aneinanderreihung von Kopulationsszenen ist das eine, die Praktiken das andere. Stellenweise könnte man der Autorin fast eine Analfixierung unterstellen. So wird etwa in „Die Nacht des Satyrs“ recht enervierend gleich eingangs die Untersuchung Jordans (ich wusste gar nicht, dass das ein italienischer Name ist, denn Jordan wächst in Venedig auf) vor zahlendem Publikum und damit verbunden eine drohende Darmspülung vor einer Art medizinischem Fisting erklärt.

 

Quer durch alle Bände erfolgt der stete Hinweis, dass der wirksame Schutz der drei Frauen natürlich nur durch Sex, Sex, Sex – und was war es noch? – ach ja, wie konnte ich das nur vergessen: Sex aufgebaut und gehalten werden kann. Oder dass die armen Satyrn das Zeitliche segnen müssen, wenn sie ihrer Natur (ihr erinnert euch: alles was bei drei nicht auf den Bäumen ist…..) nicht freien Lauf lassen dürfen.

 

Fazit:

 

„Die Satyr-Brüder sind so sexy, wie man es sich nur wünschen kann.“ (Zitat Paranormal Romance Reviews abgedruckt auf „Die Braut des Satyrs“). Oder „Der beste erotische Liebesroman, den ich je gelesen habe“ (Zitat Paranormal Romance Reviews abgedruckt auf „Die Nacht des Satyrs“). Etwas ähnliches findet sich auch auf dem Auftaktroman „Der Kuss des Satyrs“.

 

Keinem dieser Zitate kann ich auch nur andeutungsweise zustimmen. Erotisch? Sexy? Beides sieht in meinen Augen anders aus. Quantität ist nicht gleichbedeutend mit Qualität. Liebesroman???? Hat Liebe immer mit Unterwerfung zu tun? Denn genau das machen ja die drei Halbfeen von vorne bis hinten. Spannung? Falls da tatsächlich Spannung enthalten ist, ist sie mir völlig entgangen. Hier hätte eine größere Betonung der Grundidee (zumindest der in den Inhaltsangaben angedeuteten) eindeutig Not getan. Empfehlenswert? Aus meiner Sicht eindeutig nein und zwar keiner der drei Bände.

 

Und doch … nachdem ich die drei Bände in meine Altpapiertonne befördert hatte, kam eine Freundin zu mir und wünschte sie sich als Geschenk für einen anstehenden Geburtstag. Ich habe jetzt tatsächlich zwei Bände bestellt und frage mich ernsthaft, ob mir danach die Freundschaft aufgekündigt wird, weil ich nicht ernsthafter davor gewarnt habe oder ob auch nur eines meiner bisherigen Buchgeschenke ernsthaft gefallen haben kann, wenn sie tatsächlich Gefallen an der Reihe findet….

 

Copyright © 06/2012  Antje Jürgens

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