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2. April 2011

Schreckenberg, Michael: Der Finder

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Michael Schreckenberg
Der Finder

Juhr/gardez!
ISBN 9783897962217
ISBN 3897962217
Endzeitroman
1. Auflage 2010
Titelbild Anna Czajkowska
Taschenbuch, 321 Seiten
[D] 9,90 €

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Seit Herbst 2010 erscheinen in Zusammenarbeit der Verlage Juhr und gardez! Geschichten aus dem Bergischen Land und dem Rheinland. Eine davon ist der Endzeitroman Der Finder von Michael Schreckenberg. Der in Leverkusen lebende PR-Berater, freie Journalist und Autor schreibt Genre übergreifende fantastische Geschichten zwischen Horror, Science-Fiction, Thriller und Urbanfantasy. Was bereits 1999 entstand und damals eher noch kurz gehalten war, erschien um einiges ausgebaut im November 2010 als Debütroman im Rahmen des eben erwähnten Gemeinschaftsprojekts der oben genannten Verlage.

 

Passend zum Thema ist das Cover des Buches schlicht in schwarz-weiß gehalten. Die Zeichnung zeigt einen altertümlich wirkenden Reiter vor einem kahlen Baum, einigen Felsen und Turmspitzen im Hintergrund. Der Finder hat übrigens nichts mit dem zentralen Bestandteil der grafischen Benutzeroberfläche eines Mac OS-Betriebssystems zu tun. Im Fall von Schreckenbergs Roman handelt es sich dabei um einen Menschen. Der Handlungsort ergibt sich aus dem Verlagsprojekt – es ist das Bergische Land, jedenfalls hauptsächlich. Der Roman spielt über einen Zeitraum von mehreren Monaten in der Gegenwart. Die Figuren sind Otto-Normal-Verbraucher: Keine Helden, keine Überflieger, nur einige Menschen Ende 20, mit normalen Ängsten und Nöten, jedenfalls bis zu einem bestimmten Tag.

 

Kennen Sie das? Lärm macht verrückt, man sehnt sich nach Stille. Der Fotograf Daniel braucht das manchmal. Wenn auch anders, als er es letztlich mehr oder weniger bekommt. Er ist Der Finder, damit die Hauptfigur des Romans und der Erzähler. Daniel fotografiert gerne Friedhöfe und genießt die Stille dort. Zehn Jahre nach seinem Abitur nimmt er an einer Feier teil und verliebt sich Hals über Kopf in Esther, die seine Gefühle prompt erwidert. Sie sucht ihn schneller auf, als er nüchtern werden kann und nicht nur Daniel schwebt im siebten Himmel. Allerdings einem sehr stillen und einsamen Himmel, wie sie bald darauf feststellen. Während sie sich näher gekommen sind, während weniger Stunden nur, sind fast alle Menschen verschwunden. Einfach weg. Nur ein paar ehemalige Schulkameraden, die auf der Abifeier waren, finden sich wieder. Geschockt, entsetzt, verzweifelt, gequält von der Frage nach dem Warum.

 

Man landet schon im Prolog quasi ohne Vorwarnung mitten im Geschehen. Die Lektüre des Romanabschnitts, der sich gleich darauf mit dem Entstehen der Situation und den Überlegungen der Überlebenden hinsichtlich ihrer Zukunft beschäftigt, gestaltet sich nicht schwierig, hat aber eine Schwäche: das Tempo. Er wirkt dadurch etwas konstruiert und die getroffenen Entscheidungen nicht unbedingt nachvollziehbar. Genauso schnell wie die Liebe zwischen Esther und Daniel aufflammt, genauso schnell geht es nach der Katastrophe weiter. Keiner rechnet damit, dass von außerhalb Rettungskräfte kommen. So trennt sich die kleine Gruppe. Die einen machen sich auf die Suche nach weiteren Überlebenden, die anderen entscheiden sich, die Stadt zu verlassen, sich ein Domizil auf dem Land zu suchen und einen Neustart zu wagen. Es erscheint wenig nachvollziehbar, dass angesichts des erlittenen Schocks speziell die letzte Entscheidung so schnell getroffen wird. Auch dann nicht, wenn sie von einem ehemaligen Afghanistansoldaten angeregt wird. Andererseits – wer weiß schon, wie man sich in so einer Situation tatsächlich verhalten würde …. Daniel und Esther gehören zu den „Siedlern“. Was überraschend gefasst geplant wird, wird ebenso ruhig und sicher umgesetzt. Die Gruppe findet einen Hof und beginnt sich einzurichten. Sie verharren nicht, handeln überlegt und nehmen im Handumdrehen alles in Angriff. Aus Notgemeinschaften werden bald Beziehungen. Wie bereits erwähnt, wirkt dieser Teil der Geschichte zwar in seinem fatalistisch anmutenden Pragmatismus etwas schwer nachvollziehbar; langweilig oder gar völlig aberwitzig ist er aber nicht.

 

Und der Neuanfang hat durchaus seine Tücken. Berufliches Wissen nützt bei den wenigsten etwas. Hobbys sind nur bedingt von Nutzen. Vorräte sind nur begrenzt haltbar. Was tun ohne Strom, ohne all das, was man als Selbstverständlichkeit voraussetzt, weil es bisher immer da war? Wie produziert man Lebensmittel? Jeder der Überlebenden hat eine oder mehrere Aufgaben zu erfüllen. Es braucht Jäger und Sammler, Köche, Handwerker und Ähnliches. Fotografen wie Daniel braucht niemand mehr. Auf diese Weise wird Daniel Der Finder. Er sucht Dinge, die die Gruppe zum Überleben braucht oder einfach möchte. Und nebenbei (ohne große Hoffnung, aber nie ganz ohne) auch noch Menschen.

 

Schreckenberg hat sich abgesehen von einer nuklearen Katastrophe mit so ziemlich allem beschäftigt, was beim und nach dem Verschwinden fast aller Menschen so passieren könnte. Das wird dem Leser mit Daniel beim Durchstreifen seiner klein gewordenen Welt klar. Spätestens hier gewinnt die Geschichte zunehmend. Kleine Blicke auf das Leben nach der Katastrophe machen immer wieder deutlich, wie sehr der Mensch auf Gewohntes angewiesen ist. Kleine Rückblicke auf die Katastrophe selbst wiederum fokussieren darauf, wie sehr der Mensch seine Umwelt beeinflusst. Wer und was alles von ihm in der von ihm geschaffenen Welt abhängig ist oder was durch den technischen Fortschritt in einer solchen Situation alles geschehen kann. Dabei setzt der Autor nicht auf Schockeffekte wie etwa ein führerloses, abstürzendes Flugzeug, sondern auf den nachträglichen Blick auf eine bereits abgestürzte Maschine. Die Lautlosigkeit, mit der die Menschheit verschwindet, die Leere die sie hinterlässt, wirkt umso mehr durch das Weglassen falscher Dramatikeffekte. Das fantastische Horrorelement ist trotz der omnipräsenten Bedrohung für die Romanfiguren recht dezent im Hintergrund, hier wirkt eher der Horror der abrupten Veränderung der Lebensumstände. Gleichzeitig lässt der Autor Platz für eigene Interpretationen und lenkt teilweise in die Irre, bevor er den Leser wieder auf die Spur führt, auf die er ihn haben will. Bereits dadurch hat er eine düstere und dichte Atmosphäre geschaffen, in die der Leser nach wenigen Kapiteln ganz eintauchen kann; in der er mit den Charakteren mitleidet, hofft und bangt. Er zeigt nicht nur durch Daniels Beobachtungen das unheimliche Glück, das die Siedler hatten. Er zeigt auch, dass Extremsituationen Menschen nicht zwingend positiv ändern; dass sie latente Verhaltensweisen, Gewaltbereitschaft und Machtgehabe herauskitzeln können. Das wird spätestens dann klar, als Daniel tatsächlich andere Überlebende findet.

 

Doch es ist nicht der hart gewordene Alltag, der die schwach keimenden Hoffnungen auf eine Zukunft mehr und mehr zunichtemacht und den anfänglichen trotz aller Widrigkeiten energiegeladenen Pragmatismus in einen kräftezehrenden Determinismus verwandelt. Daran ist auch nicht Erkenntnis schuld, dass nicht jede Gruppe Überlebender ein demokratisches Verhalten wie die Siedler pflegt. Es ist das Wissen, dass die überlebenden Menschen nicht allein sind. Es gibt unheimliche, nicht greifbare Wesen, die sie jagen – bald Nacht für Nacht. Und die Wesen lernen schnell dazu. Hier kommt die Vorliebe des Autors für Romane von Stephen King zum Vorschein und er ist seiner – wenn auch auf andere Art – durchaus würdig. Sukzessive steigert Schreckenberg die Horrorvision, ohne sie wirklich in den Vordergrund zu stellen, und lässt die Möglichkeiten der Menschen mehr und mehr schwinden.

 

Die Erklärung für die Wesen, ebenso wie für das Verschwinden der Menschheit, klärt schlussendlich nicht wirklich das Überleben einzelner, kleiner Gruppen. Das muss es überraschenderweise auch gar nicht und es kann schlicht mit schriftstellerischer Freiheit begründet werden. Doch wie der Anfang des Romans ist auch die Erklärung und mit ihr der Schluss etwas kurz abgehandelt. Dennoch: Der rote Faden wird weder anfangs noch gegen Ende abgerissen, sondern von Schreckenberg zwar schnell, doch überaus konsequent zu Ende gesponnen.

 

Fazit

 

Anfang und Ende werden etwas zu kurz abgehandelt und stehen in keinem wirklich ausgewogenen Verhältnis zur Mitte. Doch das stört nur bedingt, denn gerade der Mittelteil macht einiges wett. Die Tatsache, dass die Geschichte in Deutschland spielt, die Figuren so „normal“ sind und Schreckenberg auf falsche Dramatik und große horrormäßige Schockeffekte verzichtet hat, ohne das Kribbeln im Nacken zu vergessen, lässt seinen Debütroman zu etwas werden, was sich relativ leicht liest. Doch der Roman regt dem ungeachtet auch zum Nachdenken an – über das Menschsein, über die Menschheit. Und abgesehen davon, dass er die Hoffnung darauf weckt, dass etwas Vergleichbares nie eintritt, macht Der Finder eindeutig Lust auf mehr und bekommt vier von fünf Punkten.

 

Copyright © 2011 by Antje Jürgens (AJ)

 

23. März 2011

Crandall, Susan: Pitch Black – ohne Ausweg

Filed under: Buch- & Sammelreihe,Krimi/Thriller,Roman — Ati @ 19:34

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Susan Crandall
Pitch Black – Ohne Ausweg


Originaltitel: Pitch Black
übersetzt von Katrin Mrugalla und Richard Betzenbichler
Lyx
ISBN 9783802583339
ISBN
3802583337
Krimi
Deutsche Erstausgabe 2011
Taschenbuch mit Klappenbroschuer, 395 Seiten
[D] 9,95 €

 

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Zum Buch / Meine Meinung

 

Bereits mit ihrem ersten Kriminalroman hat die in Indiana lebende Susan Crandall einen Preis – den RITA-Award – gewonnen. Seit 2004 sind zwei Einzeltitel und insgesamt sieben Titeln in den beiden Buchserien Pitch Black und Glens Crossing erschienen. Mit Pitch Black – Ohne Ausweg erscheint der Teil der gleichnamigen Serie in deutscher Sprache. Es handelt sich dabei um eine Geschichte über eine aufkeimende Liebe, Vertrauen, Freundschaft und Verbrechen. Im August soll der zweite Teil mit dem Titel Dark Red – Ewiges Versprechen folgen. Weitere Übersetzungen ihrer Romane sind beim Verlag in Vorbereitung.

 

Der als Romantic-Thrill eingestufte Roman deutet auf eine Liebesgeschichte mit etwas Mord hin. Doch wer Crandall verdächtigt, sich dafür einfach der üblichen Klischees zu bedienen, liegt falsch. Die Autorin zeichnet in ihrem Buch interessant vielschichtige, authentische Figuren in einer dicht gewobenen Kleinstadtatmosphäre der Gegenwart. Da gibt es die erfolgreiche und unabhängige Journalistin Maddie mit ihrem Adoptivsohn Ethan, der als Straßenkind gelebt und eine bewegte Vergangenheit hat. Da gibt es Gabe, den örtlichen Sheriff, Südstaatengentleman, gut aussehend – an dem sie genauso interessiert ist, wie er an ihr. Das sind die drei Hauptpersonen der Geschichte. Keine Figuren ohne Ecken und Kanten, aber lebendig mit Überzeugungen und liebenswerten Eigenschaften, die schneller als es gut für sie ist, von Crandall in etwas verwickelt werden, was man eher in Großstädten, nicht jedoch in der beschaulichen Südstaatengemeinde erwartet, in die Maddie mit Ethan gezogen ist.

 

Es gibt insgesamt vier Todesfälle in Pitch Black – Ohne Ausweg, wobei die erste Tote einige Zeit vor Maddies und Ethans Umzug stirbt und die zweite Leiche nur bedingt als Mordopfer deklariert werden kann. Das ist wenig später der Stiefvater von Ethans bestem bzw. einzigen Freund Jordan. Er war in der Gemeinde anerkannt und beliebt. Jordan hatte jedoch nicht nur im Allgemeinen vor vielem Angst, sondern anscheinend auch vor diesem Mann im Besonderen. Was als harmloser Campingausflug für Ethan, drei weitere Jungs und Jordans Stiefvater beginnt, endet mit einem Toten. Was zunächst wie ein Unfall aussieht, kristallisiert sich schnell als Gewaltverbrechen heraus. Die Ermittlungen kosten Gabe nicht nur Zeit, die ihm für die beginnende Beziehung zu Maddie fehlt. Anfangs stellte Maddie noch die Bedürfnisse ihres Adoptivsohnes über ihre eigenen, dann nehmen die Dinge einen Lauf, der nicht gerade beziehungsfördernd ist. Gabes Arbeit bringt Indizien zutage, die Ethan schwer belasten. Der Junge macht sich zusätzlich verdächtig, weil er etwas verschweigt. Auf diese Weise wird er aus seiner gerade erst gewonnenen Sicherheit gerissen. Auf diese Weise werden aber auch die zart eingestreuten Gefühle von Maddie und Gabe auf eine schwere Belastungsprobe gestellt, denn Maddie glaubt fest an Ethans Unschuld. Und bevor der erste Mord ganz geklärt ist, gibt es einen weiteren Toten. Wieder sieht es zunächst wie ein Unfall aus. Wieder deuten die Indizien auf Ethan. Der Tote war nicht nur auf dem Campingausflug dabei, er brüstete sich kurz zuvor in der Schule damit, alles gesehen zu haben.

 

Hinzu kommt, dass Maddie im Rahmen ihrer Tätigkeit als Journalistin einem Skandal auf der Spur ist, der ihr Leben in Gefahr bringt. Und es zeigt sich, dass das Leben in einer kleinen Gemeinde auch Nachteile hat. Fremde haben es dort nicht unbedingt leicht. Vorurteile keimen schnell. So wird Ethan seine größtenteils im dunklen liegende Vergangenheit genauso angelastet wie sein teilweise aufbrausendes Verhalten. Maddie wird eine gewisse Yankeearroganz unterstellt. Doch auch Gabe hat es nicht leicht. Zu schnell unterstellt ihm Maddie Gedanken, die er so nicht denkt und zusätzlich muss er sich fragen lassen, ob er wegen ihr eventuell nicht so objektiv ist, wie er sein sollte.

 

Geschickt verwoben spinnt Crandall ihre die Morde betreffenden Handlungsfäden, ohne die entstehende Beziehung zwischen Maddie und Gabe ganz außen vor zu lassen. Allerdings gerät sie dezent in den Hintergrund – was die Geschichte insgesamt überaus glaubwürdig macht. Gleichwohl werden Leser, die eine Liebesgeschichte mit etwas Mord erwarten, vielleicht enttäuscht. Doch es lohnt, sich, Pitch Black – Ohne Ausweg zu Ende zu lesen. Trotz kleinerer Vorhersehbarkeiten lässt Crandall ihren Lesern genügend Spielraum für eigene Interpretationen, spielt mit ihnen, regt zum Nachdenken an, bietet Lösungen. Und auch wenn sich sehr schnell herauskristallisiert, wer hinter den beiden Morden steckt, bleibt die eigentliche Motivation bis ziemlich zum Schluss offen. Man unterstellt statt dessen zwangsläufig einem der Opfer bestimmte Dinge. Crandall hat dabei einen gelungenen Spannungsbogen geschlagen.

 

Fazit

 

Das Buch macht Lust auf mehr, auch wenn die Geschichte um Maddie, Gabe und Ethan komplett abgeschlossen ist. Keine ganz schwere Kost, aber auch keine ganz oberflächliche Angelegenheit, für die ich vier von fünf Punkten vergeben möchte.

 

Copyright © 2011 by Antje Jürgens (AJ)

10. März 2011

Laurie, Victoria: Abby Cooper – Detektivin mit 7. Sinn

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Victoria Laurie
Abby Cooper – Detektivin mit 7. Sinn

Originaltitel Psychic Eye
aus dem amerikanischen übersetzt von Angela Koonen
Lyx
ISBN 978-3802582837
ISBN 3802582837
Roman
Dt. Erstausgabe 2010
Taschenbuch, 317 Seiten
[D] 9,95 €

 

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Zur Autorin

 

Bevor die Autorin Victoria Laurie 2003 mit dem Schreiben der ersten Novelle um Abby Cooper begann, war sie, wie ihre Hauptfigur, selbst bereits jahrelang als Medium tätig. Damals kam es ihr noch nicht in den Sinn, dass sich das Schreiben zu einer Vollzeittätigkeit entwickeln könnte. Zwischenzeitlich wurden 12 Romane (darunter auch die Serie über die Geisterjägerin M. J. Holliday) veröffentlicht und in andere Sprachen übersetzt. Laurie erarbeitete sich einen Platz in den Bestsellerlisten der New York Times. Der Auftaktroman um Abby Cooper erschien bereits 2004 in den Staaten. Seit 2010 ist er als deutsche Taschenbuchausgabe erhältlich. Der Folgeband soll im Juni 2011 erscheinen. Obwohl sie selbst mittlerweile nicht mehr als Medium tätig ist, findet sie Sensitivsein cool, was sich eindeutig in ihren Büchern niederschlägt.

 

Zum Buch / Meine Meinung

 

Das im Comicstil aufgemachte Cover erinnert ein wenig an die Bücher von Michelle Rowen, was mich sofort an entspannende Wochenendlektüre denken ließ. Die Inhaltsangabe tat ein übrigens.

 

Während anfangs noch genau das eintrat, was ich beim ersten Augenschein des Buches dachte (Chick-Lit ohne Tiefgang), wurde ich relativ schnell überrascht. Die in einem Vorort von Detroit in der Gegenwart spielende Geschichte beginnt, wie viele Auftaktromane, etwas schleppend, was daran liegt, dass einfach bestimmte Details eingebracht werden müssen und nicht weiter schlimm ist. Auch Abby, die die Geschichte in der Ich-Form erzählt, zeigt sich anfangs etwas durchscheinend.

 

Dennoch: Es handelt sich zwar um eine leichte, überaus entspannende Lektüre. Der Auftaktroman der Detektivin mit siebtem Sinn ist jedoch noch ein wenig mehr. Zwar stellt sich Cooper zunächst tatsächlich als sehr oberflächlich dar und verschwendet mehr Zeit und Gedanken an ihre Garderobe und ein Blind Date als an ihre Kunden und die Geister, mit denen sie in Kontakt steht. Ihre Tätigkeit als Medium wird auch eher von den mehr oder weniger vorhandenen Lebenskrisen ihrer Kunden als von wirklich spannenden Momenten geprägt. Das ändert sich jedoch spätestens dann, als eine ihrer Kundinnen ums Leben kommt. Die wollte kurz vor ihrem Tod nochmals zu ihr, was Abby aber abgelehnt hat. Prinzipiell will sie mit ihren Kunden nie mehr als zwei Sitzungen pro Jahr abhalten, damit die nicht abhängig von ihr werden.

 

Abgesehen davon, dass sie mit Toten kommunizieren kann, zeigt Abby sich schlagfertig bis zickig, witzig (nervt aber bisweilen), ist unzufrieden mit sich selbst und voller Zweifel, selbstironisch und auch noch chaotisch. Da sie trotz ihrer Andersartigkeit jedoch mit beiden Beinen fest im Leben steht, sich um andere kümmert und mehrere Prinzipien hat, an die sie sich streng hält, kommt sie sehr liebenswürdig herüber. Teilweise wirkt sie, obwohl sie bereits über 30 ist, jung und unerfahren. Aber vor allem wirkt sie normal, auch wenn zu ihrer Normalität schon mal gehört, dass sie einem Blind Date Details einer Entführung verraten kann, an der sie gar nicht beteiligt ist.

 

Dass ihr Gegenüber Dutch Rivers Polizist ist, weiß sie zu diesem Zeitpunkt nicht, aber ihre Eingebungen führen zu der Aufklärung des Falls. Dummerweise ist Dutch auch Ermittler in dem Fall der ermordeten Klientin – und heißes erstes Date hin oder her, da diese einen Mitschnitt der letzten Sitzung bei sich hatte, reißt der Kontakt mit ihm nicht ab. Obwohl er so gar nichts von übersinnlichen Fähigkeiten hält und Abby nicht so recht traut, kommen die beiden immer wieder zusammen und es entwickelt sich eine zaghafte Liebesgeschichte. Dutch – Abby lässt sich sehr ausführlich über ihn aus – ist ein Traum von einem Mann. Auch er wirkt liebenswürdig und real und geht seinem Beruf mit Inbrunst nach. Auch er ist schlagfertig, was zu amüsanten Dialogen und mehr als einer komischen Situation führt. Sein Humor, seine Charakterfestigkeit steht Abby in nichts nach. Der Verlauf ihrer Beziehung ist interessant und macht Lust auf mehr. Kein Wunder, die beiden Figuren kabbeln sich, sie sind vielschichtig, sie entwickeln sich zunehmend und wirken genau dadurch lebensnah und echt.

 

Die Geschichte zwischen den beiden steht jedoch eindeutig nicht im Vordergrund. Wer auf erotische Szenen hofft, wird vielleicht enttäuscht. Gefehlt haben sie allerdings nicht, dazu ist der Handlungsverlauf viel zu kurzweilig und gleichzeitig spannend. Denn Abby kann auch im Fall der toten Kundin ihren Mund nicht halten und möchte – aus Schuldgefühlen heraus – ihre Fähigkeiten bei der Suche nach deren Mörder einbringen. Was sie mehr als einmal in Schwierigkeiten bringt, weil die grausame Realität nicht nur sie immer wieder einholt. Dieser Fall ist keine blasse Nebenhandlung, sondern geschickt und ausgewogen verwoben mit der sich anbahnenden Beziehung von Abby und Dutch.

 

Was mir auch sehr gut gefallen hat, war der Umstand, dass die Autorin ihr Medium nicht im Stil von Ghostwisperer und ähnlich hinlänglich bekannten Serien arbeiten lässt. Es gibt keine zerfallenden, entstellten Leichen, die unbedingt etwas loswerden müssen und damit pausenlos für Schockeffekte und Albträume sorgen. Der gesamte Handlungsverlauf (ob paranormal oder normal) ist gut durchdacht und schlüssig. Die Spannungsbogen gekonnt geschlagen. Zusammen mit dem überaus flüssig zu lesenden Schreibstil konnte ich schnell in die Geschichte eintauchen und das Buch war an einem Abend ausgelesen.

Es ist nichts bahnbrechend Neues. Das muss es aber auch nicht sein, wenn die Umsetzung so gut gelungen ist wie in diesem Fall.

 

Fazit

 

Der erste Band der Abby-Cooper-Reihe (Psychic Eye) macht eindeutig Lust auf mehr. Es ist eine gelungene Mischung aus Übersinnlichem und Realität mit einem klitzekleinen Hauch Chick-Lit. Amüsant und entspannend bekommt das Buch fünf von fünf Punkten von mir.

 

Copyright © 2011 by Antje Jürgens (AJ)

 

3. März 2011

Kaffke, Silvia: Das dunkle Netz der Lügen

Filed under: Belletristik,Historisch,Krimi/Thriller,Roman — Ati @ 16:55

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Silvia Kaffke

Das dunkle Netz der Lügen

 

Wunderlich Verlag

ISBN 978-3805208895

ISBN 3805208898

Historischer Kriminalroman

1. Auflage 2010

Umschlaggestaltung Hafen Werbeagentur

Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag, 496 Seiten

[D] 19,95 €

 

Verlagsseite

Autorenblog

 

Zur Autorin

 

Silvia Kaffke ist auf dem deutschen Buchmarkt längst keine Unbekannte mehr. Die 1962 in Duisburg/NRW geborene und ihrer Heimatstadt treu gebliebene studierte Publizistin, Germanistin und heute im PR-Management tätige Autorin bedient sowohl das aktuelle wie auch das historische Krimigenre. Handlungsort ist dabei Deutschland. Von 2000 bis 2006 erschienen insgesamt vier Romane um die BKA-Profilerin Barbara Pross; 2001 wurde der Erste davon mit Ann-Kathrin Kramer in der Hauptrolle von SAT1 verfilmt. 2008 wurde dann Kaffkes erster historischer Roman verlegt. Er beginnt eine Romanreihe um Lina Borghoff, die in dem Stadtteil spielt, in dem die Autorin lebt. Ihre berufliche Laufbahn brachte Kaffke neben einer Tätigkeit als Texterin, Lektorin und Sekretärin unter anderem zum Duisburger filmforum. Von der Stadt Düsseldorf wurde sie im gleichen Jahr, in dem auch ihr erster Roman „Messerscharf“ erschien, mit dem Kulturförderpreis ausgezeichnet.

 

Zum Buch

 

Der Hochglanz-Schutzumschlag zeigt rauchende Fabrikschlote, einen brennenden Himmel, eine schwach-leuchtende Gaslaterne, altmodisch gekleidete Menschen und eine düstere Straßenszene – kein Wunder, laut Umschlagtext soll mich die Geschichte ja nach Ruhrort ins Jahr 1861 bringen. Das Cover passt sehr gut zum Inhalt des Romans. Gefallen haben mir in diesem Zusammenhang auch die beiden Stadtpläne ganz vorne und ganz hinten im Buch. Was das Lesen etwas erleichtert hätte, fehlt leider – eine Auflistung der Personen, die in der Geschichte vorkommen. Doch das ist nur ein kleines Manko. Nach dem Prolog kann man sich nach Herzenslust in den folgenden 15 Kapiteln austoben, bevor der Roman mit einem kleinen Epilog und einer Danksagung der Autorin endet.

 

Doch zurück zum Roman:

 

Zitat Umschlagtext

 

Ruhrort, 1861: Dunkle Zeiten im Land von Stahl und Kohle

 

Lina hat es geschafft: Ihr kleiner Modesalon ist in aller Munde. Wie viele Bewohner des Städtchens hat sie die Aufbruchstimmung der letzten Jahre genutzt und sich nach ihrer Hochzeit mit Kommissar Robert Berghoff selbstständig gemacht. Ihre Welt wird erschüttert, als Anna Jansen erstochen wird. Wer hatte einen Grund, ihrer besten Näherin nach dem Leben zu trachten?

 

Doch das ist erst der Anfang. Ein weiterer Mord geschieht. Und während ganz Ruhrort den traditionellen Maiball begeht, werden die Villen reicher Bürger geplündert. Nicht nur der Polizei fällt auf: Die Taten waren gut geplant, zeugen von genauer Kenntnis der Örtlichkeiten und Besitztümer. Und: Sie betreffen ausschließlich Linas Kunden. Misstrauen schlägt ihr entgegen. Gestern noch eine angesehene Bürgerin Ruhrorts, muss Lina nun ihre Ehre verteidigen. Dabei steht nicht nur ihr Ruf auf dem Spiel.

 

Meine Meinung

 

2008 erschien ja, wie bereits erwähnt, Kaffkes erster historischer Roman „Das rote Licht des Mondes“ der sich ebenfalls um Lina, die Protagonistin von „Das dunkle Netz der Lügen“ drehte. Ich muss gestehen ich habe das Buch nicht gelesen und auch erst hinterher bemerkt, dass es da einen Vorgängerband gibt. Man kann also diesen zweiten Roman ohne Probleme lesen, wenn man das Vorgängerbuch nicht kennt.

 

Eheliche Gewalt, Ehebruch, Sorgerechtsstreitigkeiten, Erpressung, Raub und Mord, die Wirtschaftskrise. Eine Plage der Gegenwart? Mitnichten. All dies begegnet uns auch in Kaffkes zweitem historischen Kriminalroman. Doch das ist es nicht allein. Hier wird auch klar, wie undenkbar den Menschen von damals unser heutiges Leben vorkommen müsste, könnten sie denn einen Blick darauf werfen. Unser relativ leichter Zugang zu Grundnahrungsmitteln und Wasser, medizinischer Versorgung oder auch eine Verbrecherjagd mit allen verfügbaren technischen Mitteln.

 

Kaffke führt ihre Leserschaft nicht nur in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in einen damals noch als Vorort existierenden Stadtteil Düsseldorfs um sie dort an einem Kriminalfall teilhaben zu lassen. Sie unterhält darüber hinaus detailreich und verknüpft in spielerischer Leichtigkeit verschiedene Handlungsstränge. Historische Kulissen, wie etwa ein Stahlwerk oder die seit den 1960er-Jahren nicht mehr vorhandene Altstadt, sind genauso geschickt eingeflochten. Die dargestellten Charaktere – ob nun Haupt- oder Nebenfiguren, Sympathieträger oder eher verhasste Gestalten – sind klar und lebendig gezeichnet. Und das, obwohl man gleich von Anfang an mit vielen zurechtkommen muss. Sie sind nicht extrem selbstlos, besonders schön oder allzu heroisch. Viel eher sind es Menschen, die einem im täglichen Leben begegnen könnten. Harmonisch scheint es einzig im Haus der Protagonistin zwischen ihr und ihrem Ehemann zuzugehen. Ansonsten sind alle Stärken und Schwächen, alle Tiefen und Höhen der menschlichen Psyche vorhanden. Die Figuren gehören allen sozialen Schichten an. Teilweise wurden sie mitleiderregend, Verständnis heischend oder auch abstoßend gezeichnet – doch immer detailliert und lebendig. Kein Charakter wirkt aufgesetzt oder unglaubwürdig. Es gibt Personen, die vielleicht auf den ersten Blick überflüssig wirken mögen, auf den zweiten jedoch sehr gut hineinpassen. Alle sind sie sorgfältig konstruiert – genau wie die Handlung. Alles und jeder trägt einen kleinen Part zum großen Ganzen bei.

 

Mit klarer Sprache schildert die Autorin die damaligen Lebensumstände. Sie bedient sich dabei – wie bereits erwähnt – mehrerer Handlungsstränge. Erzählt werden sie alle aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten. Kaffke schafft eine etwas düstere Grundatmosphäre, die die harten Lebensumstände umso glaubwürdiger wirken lässt. Obwohl dieser Roman eindeutig in das Genre des Kriminalromans passt, ist das Verbrechen darin nicht im Vordergrund. Diebstahl, Mord, Körperverletzung, Erpressung – all das kommt vor. Doch obwohl die Nebenschauplätze, wie etwa die Arbeit in der kräftezehrenden Stahlhütte, der halbwegs sichere, nicht weniger harte Alltag der Näherinnen, die Plackerei von Mägden und Knechten, fast genauso viel Raum einnehmen, wirken sie nicht störend oder überdeckend. Vielmehr vereint sich alles zu einem sehr real wirkenden Bild des Lebens zu dieser Zeit, an diesem Ort.

 

Die Wortwahl der Autorin sorgt einerseits dafür, dass sich die Geschichte sehr locker und flüssig lesen lässt. Der stetige Wechsel von gut zu böse, von fatalistisch zu tatkräftig, von reich zu arm, von Handlungsstrang zu Handlungsstrang, erfordert jedoch etwas Konzentration. Zwar verknüpft die Autorin die Einzelstränge sehr verschickt und sauber und lässt keinen davon im Nichts verlaufen. Gleichzeitig liegt hier jedoch auch eine kleine Schwäche. Durch diesen stetigen Wechsel weiß der Leser zwangsläufig mehr als die Figuren. Das lässt ihn einerseits mitfiebern oder mitleiden, andererseits raubt es stellenweise etwas von der Spannung einer Geschichte, die weniger auf besonders schwierig zu lösenden Fällen, als vielmehr auf Abgründen der menschlichen Spezies und ihrer psychologischen Beweggründe fußt.

 

Fazit

 

Einige verknüpfte Kriminalfälle vor einem authentisch wirkenden historischen Hintergrund. Trotz kleinerer Schwächen habe ich mich gut unterhalten gefühlt und möchte vier von fünf Punkten vergeben.

 

Copyright © 2011 by Antje Jürgens (AJ)

 

 


1. März 2011

Meyer, Axel S.: Das Buch der Sünden

Filed under: Abenteuer,Belletristik,Historisch,Krimi/Thriller,Roman — Ati @ 11:51

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Axel Meyer
Das Buch der Sünden

 

Rowohlt Taschenbuch Verlag
ISBN 978-3499253805
ISBN 3499253801
Historischer Roman
Originalausgabe 2010
Umschlaggestaltung any.way, Katrin Günther
Taschenbuch, 784 Seiten
[D] 9,95 Euro

 

Verlagsseite
Autorenseite

 

Zum Autor

 

Vielleicht liegt es daran, dass er in der Stadt Heinrich des Löwen zur Welt kam, wenn auch erst 1968 und nicht zu Zeiten der historischen Persönlichkeit. Jedenfalls lebte und lernte Axel S. Meyer bis zur Beendigung seines Studiums in Germanistik und Geschichte dort. Heute lebt und arbeitet er in Rostock als Zeitungsreporter und Redakteur.

 

Zum Buch / Meine Meinung

 

Obwohl ich diverse negative Kommentare gelesen habe, hat mich das Buch neugierig gemacht. Nachdem es im letzten August erschienen war, wurde bereits im Oktober 2010 die dritte Auflage herausgebracht. Nachdem der Autor 2009 bei einer Verlagsausschreibung von Rowohlt damit den ersten Preis belegt hatte, wurde er in diesem Jahr zusätzlich mit Platz 26 bei einem Lovelybooks-Wettbewerb bedacht. Und das alles mit einem Debütroman.

 

Worum geht es darin?

 

Zitat Inhaltsangabe

 

Im Jahr 845 bringen die Normannen den Tod nach Paris. Die Mörder kommen über die Flüsse: Am Morgen besetzen 120 Drachenboote die Seineinsel, am Abend sind die Straßen mit Leichen übersät. Brandgeruch liegt in der Luft.

Hilflos muss der junge Odo mit ansehen, wie sein Vater getötet und seine Mutter verschleppt wird. Er schwört Rache. Jahre später fällt ihm im Kloster St. Gallen eine Schrift in die Hände: Das Buch der Sünden. Es prophezeit den Untergang der heidnischen Welt – sobald die sieben Todsünden gesühnt sind. Besessen von der Idee, dieses Werk zu verrichten, macht sich Odo auf den Weg nach Norden. In die gottlose Stadt der Wikinger, nach Haithabu ….

 

Was dabei unerwähnt bleibt, dennoch einen großen Raum einnimmt, parallel läuft und sich stellenweise mit dem in der Inhaltsangabe beschriebenen Handlungsstrang vermischt, ja sogar verbunden ist, ist die Geschichte des Schmiedes und späteren Woiwoden Helgi. Von seiner Liebe zu der Sklavin Runa. Von der Andeutung und Erahnung von Runas Vergangenheit. Von ihrer Flucht in Runas Heimat. Ich nenne Runa jetzt einfach weiterhin Runa, obwohl die spätestens nach Ankunft in ihrer alten Heimat ihren ursprünglichen Namen zurückerhält. Von seinem beziehungsweise ihrem neuen Leben.

 

Der Roman beginnt mit einer Offenbarung des Johannes (wie übrigens alle der folgenden sieben Buchteile), dann folgen zwei Karten, bevor es mit dem ersten Teil in Paris losgeht, der im Jahr 845 um die Osterzeit spielt. Der zweite Teil führt uns im Herbst 861 bis zum Frühjahr 862 nach St. Gallen. Im Dritten lenkt der Autor unser Augenmerk im Sommer 863 nach Haithabu, während der Vierte in Rujana von Sommer bis Herbst des gleichen Jahres spielt. Der fünfte Teil steuert zurück nach Haithabu und umfasst den Zeitraum von Herbst 863 bis Frühjahr 864, der Sechste bringt und wiederum nach Rujana, dieses Mal im Frühjahr 864, bevor der siebte und letzte Teil erneut um die Osterzeit im Jahr 864 nach St. Gallen zurückführt. Im Epilog macht die Geschichte nochmals einen Sprung nach Haithabu. Wir begleiten zumindest Odo also über einen Zeitraum von 19 Jahren, wobei aber große Sprünge gemacht werden. Ein Nachwort rundet alles ab. Alle Teile sind in kurze Kapitel gefasst, was das Lesen erleichtert. Gleichwohl gibt es einige Längen, die es wiederum stellenweise erschweren.

 

Mit dem Roman hat man sowohl einen Krimi/Thriller – es geschehen einige grausame Morde, ganz abgesehen davon, dass die Zeit damals sehr brutal dargestellt wird – als auch eine Liebesgeschichte in der Hand. Die Liebesgeschichte spielt sich vor dem Hintergrund der recht trostlos beschriebenen damaligen Welt ab. Das mindert sie nicht zwingend – wer jedoch auf einen Liebesroman mit reinem Happy-End-Feeling spekuliert, wird vielleicht etwas enttäuscht. Historische Bezüge zu heute noch existierenden Orten sind da, Meyer baut geschichtlich belegte Personen in seine fiktive Geschichte ein. Es wird sowohl das Problem der Christianisierung beschrieben, als auch das eigentliche Leben der Dänen und Wikinger, die ja nicht nur als Seefahrer und furchtlose Krieger zugange waren.

 

Ich bin ehrlich gestanden etwas gespalten, was meine Meinung zu dem Buch betrifft. Einerseits beschreibt Meyer sehr plakativ die damaligen Lebensumstände. Die Morde gehen weder unter noch werden sie bei aller Brutalität übertrieben blutrünstig dargestellt. Runas Rechtlosigkeit in ihrer Zeit als Sklavin, die Armut, die Emotionen der Romanfiguren – all das vermag der Autor glaubwürdig zu vermitteln. Der Wandel des Waisenjungen und späteren Mönchs Odo zum Verfechter seiner fanatischen Ideologie ist so beschrieben, dass sie angesichts seines kindlichen Traumas erklärbar ist. Soweit so gut.

 

Doch die Geschichte verliert immer wieder genau diese Glaubwürdigkeit durch das gleichzeitige Einbringen von Zufällen, die in manchen Passagen einfach zu viel sind. Logischerweise muss Odo auf das Buch der Sünden treffen, es finden, um sein Verhalten zu rechtfertigen. Doch die Weise, wie das in dieser Geschichte geschieht, überzeugt mich nicht. Logischerweise muss er das Schicksal seiner Mutter eruieren, damit der Handlungsbogen von Helgi und Odo zu einem schlüssigen Ende kommt. Angesichts des kurzen Zeitraumes, in dem Odo dies gelingt, hapert es aber schon wieder an meinem Verständnis dafür. Logischerweise muss Odo eine sichere Basis (sprich den kleinen Orden in Haithabu) für sein Vorhaben finden. Die Umstände, die dazu führen, sind aber eben sehr zufällig.

 

Es gibt kleinere Nebenstränge. Beispielsweise die abgrundtiefe Feindseligkeit zwischen Runa und ihrer Schwester. Woher der Hass derselben kommt, arbeitet der Autor nicht genau heraus. Er nutzt ihn in meinen Augen einfach als Mittel, die Geschichte gegen Ende noch einmal hochzuputschen. Fast scheint es, als würde Meyer sich in zu vielen Nebenschauplätzen verlieren. Doch das stimmt nur bedingt. Zumindest teilweise führen wie einfache Füllkapitel wirkende Passagen tatsächlich letztendlich irgendwie zum Ende des Gesamthandlungsbogens. Ebenfalls negativ aufgefallen ist mir eine gewisse Vorhersehbarkeit, die mal schwächer, mal stärker ausgeprägt daherkommt. Leider wirkt das tödlich auf die Spannung, die dadurch kein wirklich hohes Level erreicht. Und auch die vielen, vielen lebensbedrohlichen Situationen, in die beispielsweise Helgi kommt, sind mir etwas zu überzogen dargestellt. Mag sein, dass das mit der damaligen Zeit zusammenhängt, in der man sich seines Lebens nicht sicher war. Doch auf mich wirkt es einfach so, als ob die Spannung künstlich aufgeputscht wird. – Was schade ist, denn der Schreibstil Meyers hat das im Grunde genommen nicht nötig. Das Ende selbst könnte aus Hollywood stammen. Zwar explodiert nichts, aber etwas zu blutig wird es spätestens jetzt allemal und wie alte Westernhelden schaffen es auch die Figuren in Meyers Roman noch das eine oder andere mit übermenschlich wirkender Kraft in Angriff zu nehmen und gar zu erledigen, bevor sie denn sterben. Von dramatisch einstürzenden Gebäuden, just an dem Ort, an dem Odo seinen Plan vollenden will, ganz zu schweigen.

 

Dennoch, obwohl diese Sachen es mir stellenweise sehr schwer gemacht haben, den Roman zu Ende zu lesen, war gleichzeitig etwas darin, das mich immer wieder zum Weitermachen angestachelt hat. War es die Hoffnung, dass sich die Schwächen in nichts auflösen? Der sympathisch dargestellte Helgi? Der völlig unsympathische, doch seltsam diffus bleibende Soziopath Odo? Die Neugier, weil Haithabu und Rujana gleich um die Ecke liegen und ich einfach hinfahren könnte (obwohl natürlich so gut wie nichts mehr von damals im Heute vorhanden ist)? Ich weiß es wirklich nicht.

 

Fazit

 

Ein durchaus opulenter Roman, der aber die eine oder andere Schwäche aufweist. Kein Lesequickie, man sollte dabei bleiben, damit der Handlungsfaden nicht verloren geht. Die Geschichte hat mich nicht wirklich überzeugt und gepackt. Aber auch nicht endgültig abgeschreckt. Deshalb 3 von 5 Punkten für Meyers Debütroman.

 

Copyright © 2010 by Antje Jürgens (AJ)

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