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17. April 2013

GANSS, INGRID: DER SPIELMANN

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Verlag: Dryas
ISBN-13: 9783940855169
ISBN-10: 3940855162
Belletristik, historisch
Ausgabe: 1. Auflage 11/2009
Taschenbuch, 600 Seiten
Neupreis [D]: 14,00 €

Verlagsseite

 

Ingrid Ganss © Privat

Ingrid Ganss
© Privat

Habe ich schon einmal erwähnt, dass ich Märchen liebe? Die lese ich allerdings meist in Form von Märchensammlungen. Deshalb wäre ich auch beinahe an dem ursprünglich bereits im Jahr 2000 und auch unter dem Titel Die Braut des Spielmanns erschienenen und 2009 neu von DRYAS aufgelegten Debütroman von Ingrid Ganß vorbeigelaufen. Zu unscheinbar und trist erschien mir ehrlich gesagt dessen Aufmachung. Weder die Covergestaltung noch die Dicke des Buches deutete auf das hin, was ich letztlich darin fand. Die 1959 geborene Autorin, Fremdsprachen-korrespondentin und Industriekauffrau schreibt seit frühester Kindheit Geschichten und Märchen. Ihr Debütroman erzählt das Märchen von König Drosselbart der Brüder Grimm auf tiefgründige und nicht durchgehend märchenhafte Weise nach.

Während bei den bekannten Märchenerzählern die Prinzessin anfangs nur wankelmütig, stolz und hämisch-übermütig dargestellt wird, erfährt man durch Ganß, was hinter deren Verhalten steckt. Ihre weibliche Hauptfigur Elisabeth von Messelstein, die behütet und verwöhnt aufgewachsen ist, offenbart sich als gebildete und moderne Fürstentochter. Das geht so weit, dass sie sich weigert, den Heiratsplänen zuzustimmen, die ihr Vater für sie schmiedet. Sie schüttet genau wie ihre Grimm-Vorgängerin Spott und Häme über mögliche Kandidaten aus, um diese abzuschrecken. Und genau wie diese muss sie mit den Folgen leben. Denn ihr Vater schwört angesichts ihrer Aufmüpfigkeit, sie mit dem erstbesten Mann zu verbinden, der um ihre Hand anhält. Bei einer Verfilmung von König Drosselbart mit Ken Duken trug der einen unansehnlichen Zottelbart im Gesicht und lebte augenscheinlich mehr schlecht als recht von seinen Tonwaren. Ganß lässt ihren Spielmann Jakob, besagter Erstbester, gleich von Anfang an gut aussehen. Ein Bruch zu Elisabeths bisherigen Leben ist das an der Seite ihres Mannes auf staubigen Landstraßen, in einer schäbigen Hütte und einer Welt voller Gaukler, Zigeuner und einfachem Volk jedoch allemal. Bald schon droht sie am Kampf ums Überleben zu verzweifeln. Doch als sie erkennt, dass sie die wahren Schönheiten des Lebens in ihrem goldenen Käfig bislang nicht erkannt hat, versucht sie, an Jakobs Seite eine Existenz aufzubauen.

Während die Brüder Grimm sich auf einige Aspekte beschränkten (immerhin haben ihre Märchen selten allzu viele Seiten), kann Ganß wesentlich tiefer gehen und tut dies auch. Sie siedelt ihre Geschichte im von Armut und Not gebeutelten Deutschland Mitte des 17. Jahrhunderts kurz nach dem 30jährigen Krieg an. Die von ihr heraufbeschworenen Orte sind erdacht, wirken jedoch real. Bauern versuchen sich gegen die nach wie vor im Luxus lebenden Adligen bzw. deren stete Forderungen in Form von Steuern und Abgaben aufzulehnen, was tödliche Folgen für sie haben kann. Elisabeth zeigt sich bezüglich ihrer Rolle als Frau emanzipiert. Die gleichermaßen nachdenkliche wie zunehmend sympathische weibliche Hauptfigur steht einem männlichen Part gegenüber, der an der Welt zu verzweifeln droht. Seine Gedanken werden selten explizit ausgesprochen. Doch obwohl die Geschichte größtenteils aus Elisabeths Sicht erzählt wird, kann man als LeserIn Jakobs Überlegungen, seine Zweifel und Hoffnungen allzeit klar nachvollziehen. Er scheint ein recht bewegtes, aufrührerisches Leben geführt zu haben. Während er Elisabeth mehrfach auflaufen und sie ihre Vorurteile und ihr Unwissen auf die harte Tour erkennen lässt, muss er feststellen, dass er selbst nicht von Voreingenommenheit, Intoleranz und Engstirnigkeit frei ist. Wer oder was er wirklich ist, beschäftigt LeserInnen den ganzen Roman hindurch, das Geheimnis wird erst gegen Ende etwas gelüftet.

Empathisch und sorgfältig beschreibt die Autorin die Wandlung, die Elisabeth durchmacht. Das Gefühl der inneren Zerrissenheit, dass das neue Leben (welches durchaus Platz für eigene Wünsche und Träume bietet), im Zusammenhang mit dem damaligen Sinn für Sitte und Anstand und ihrer Erziehung auslöst. Und so modern die junge Frau in gewisser Weise denken mag, so unsicher ist sie bei allem, was die körperliche Seite ihrer Ehe mit Jakob angeht. Wobei man hier eindeutig sagen kann: Ein Glück, dass es Jakob ist und niemand, der sie einfach derb an ihre ehelichen Pflichten erinnert und sich über ihre Bedürfnisse hinwegsetzt. Doch einfach ist das Leben an seiner Seite wie gesagt nicht.

Schlüssig und stringent verwebt Ganß einen bildhaft-detaillierten Erzählfaden mit dem anderen. So entsteht sukzessive eine dichte und stimmige Hintergrundatmosphäre, vor der die komplex herausgearbeiteten Figuren agieren. Doch birgt das Schaffen einer dichten Hintergrundatmosphäre die Gefahr von Längen; Ganß konnte sich ihr denn auch prompt nicht völlig entziehen.

Ein weiterer Schwachpunkt ist, dass die Autorin in dem Versuch, ihre Figuren so authentisch wie möglich darzustellen, eingangs Dialoge durch Verwendung einzelner Begriffe so hochtrabend-gekünstelt und salbungsvoll-gespreizt gestaltet, dass manche vielleicht das Buch verfrüht aus der Hand legen. Doch ist das wirklich ein Schwachpunkt? Die Dialoge mögen aus heutiger Sicht betrachtet zu gestellt wirken. Gleichzeitig zeigt sich durch diese gekünstelte Hofsprache jedoch sehr gut die vermeintliche Überlegenheit des Adels über das einfache Volk. Zumal diejenigen, die sich daran stören, bald feststellen werden, dass die Dialoge lebendiger werden, sobald Elisabeth an Jakobs Seite Messelstein verlässt. Spätestens ab da liest sich der Roman sehr flüssig.

Doch während die Brüder Grimm ihre Figuren glücklich bis an ihr Ende leben ließen, steuert die Geschichte von Jakob und Elisabeth auf ein offenes Ende zu. Es vereint Hoffnung und die harte, reale Existenz auf subtile Weise miteinander. Es passt auch auf die beiden Hauptfiguren und überhaupt sehr gut, weil es aus der Geschichte heraus und in sich die einzig konsequente Lösung ist. Doch spätestens hier unterscheidet sich der Roman von der Märchenvorlage.

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Ein trotz kleinerer Längen lebendig erzählter, mitreißender Mix aus Märchen, Liebesgeschichte und historischem Roman, der sich irgendwie allen Genrezuordnungen zu entziehen scheint. Ein Roman von Schuld und Sühne, Stolz und Vorurteil, Liebe und Vergebung; der zeigt, wie sehr ein erster Eindruck täuschen kann. Und einer, der glücklicherweise eine Fortsetzung gefunden hat. 2010 erschien Der König, den ich nach Der Spielmann mit Sicherheit ebenfalls lesen werde. Für das Debüt von Ingrid Ganß möchte ich vier von fünf Punkten vergeben.

Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)

15. April 2013

CRAMER, SOFIE & ULRICH,SVEN: HERZ AN HERZ

Filed under: Belletristik,Roman — Schlagwörter: , , — Ati @ 20:24

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ISBN-13: 9783499256653
ISBN-10: 3499256657
Belletristik
2. Auflage 02/2012
Taschenbuch,  320 Seiten
Neupreis [D]: 8,99 €

Verlagsseite
Autorenseite Sofie Cramer
Autorenseite Sven Ulrich

 

Was haben Sofie Cramer und Heidi Goch gemeinsam? Sie teilen sich denselben Körper. Denn Sofie Cramer ist ein Pseudonym, das die 1974 in Niedersachsen geborene Chick-Lit-Autorin Heidi Goch verwendet. Unter anderem mit Herz an Herz wendet sie sich tiefsinnigeren Themen wie Liebe und Tod zu, präsentiert diese jedoch auf leichte Weise. In ihren ersten Roman dieser Art flossen eigene Erlebnisse in das Geschehen ein, denn die Autorin verlor ihren Partner und konnte durch das Schreiben ihre Trauer leichter verarbeiten. Goch bietet Kurse im Kreativen Schreiben und Alphabetisierung an. Herz an Herz entstand in Zusammenarbeit mit dem 1965 in Berlin geborenen Drehbuchautor Sven Ulrich, der seit 2010 das Schreiben von Romanen für sich entdeckt hat.

Die Idee eine mehr oder weniger intime Korrespondenz mit einem Wildfremden zu führen, ist nicht ganz neu. Doch ist Herz an Herz wieder einmal eins der Bücher, das deutlich macht, dass es auf die Umsetzung ankommt. Die ist den beiden Autoren  mit kleineren Abzügen gelungen.

Auf einer Hochzeitsfeier soll Sara eine Flaschenpost ins Meer werfen. Doch in ihrer finden sich keine guten Wünsche für das Brautpaar.

Zitat aus dem Buch

>>SOS. 26.6.10 (irgendwann nachts mit 2 Promille)
Lieber Flaschenpostfinder,
gratuliere, du bist Opfer
eines dämlichen Hochzeitsspielchens geworden! Diese Post richtet sich an alle angeschlagenen Flaschen, deren Leben genauso lehr … äh, leer is, wie dieses braune kackbraune Altglas. Eigentlich sollen wir hier Wünsche für das Brautpaar aufschreiben. Aber alle guten Wünsche nur zu mir,
dem einsamsten Menschen im ganzen Universum! Ahoi!
Sara Becker, Lappenbergsallee 185, 20257 Hamburg<<

Nicht sehr nett, aber Saras momentaner Laune entsprechend. Überraschenderweise erhält sie genau darauf etwas später einen humorvollen Brief von einem Mann namens Berti aus Bayern. Und danach entspinnt sich eine rege Korrespondenz in Form von Briefen, E-Mail und SMS. Schnell wird klar, wie gut die beiden zusammenpassen. Allerdings schrecken beide vor einem Treffen zurück, weil sie nicht ganz offen zueinander waren.

Während Saras Geheimnisse recht offensichtlich sind, entziehen sich den LeserInnen die von Berti ein wenig mehr. In den Briefen offenbart sich, wie festgefahren sie sich in ihren jeweiligen Leben fühlen. Obwohl sie in ihren Nachrichten und Briefen das eine oder andere für sich behalten, gehen sie trotzdem sehr offen miteinander um, äußern sich ernsthaft oder auf amüsante Weise. Was auf der einen Seite eine herrliche Unkompliziertheit beinhaltet, schürt andererseits (unerfüllbare) Vorstellungen im jeweils Anderen, was die Situation zunehmend erschwert.

Dennoch entwickelt sich sukzessive eine Liebesgeschichte. Bald ahnt man, worauf das Ganze zusteuert. Doch sympathische Charaktere und der leicht lesbare Schreibstil sorgen dafür, dass man leicht durch das Buch gleitet, teilweise mitleidet und -hofft. Die Geschichte an sich wirkt genau wie die Figuren echt. Herz an Herz erzählt, was unzählige Menschen spätestens seit Erfindung von Chat-Rooms zumindest in ähnlicher Form erlebt haben dürften. Von Einsamkeit und Hoffnung und Angst vor der Hoffnung. Aber auch von Schmetterlingen im Bauch.

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Wie es ausgeht, will ich nicht verraten. Herz an Herz  ist jedoch ein leichter und unkomplizierter Lesegenuss für Zwischendurch. Mit etwas zu schöngefärbten und zu vorhersehbaren, aber dennoch passenden Ende. Eine Geschichte, der ich vier von fünf Punkten geben möchte.

Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)

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