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28. März 2013

WUDY, BRISSA: SCHIFFBRUCH … und das Leben ist doch vollkommen

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Renate Götz Verlag
ISBN-13: 9783902625137
ISBN-10: 3902625139
Erfahrungen
Ausgabe 05/2010
Taschenbuch, 228 Seiten
Neupreis [D] 17,41 €

Verlagsseite

Die alleinerziehende Lehrerin Brissa Wudy ist nach einem Unfall auf einen Rollstuhl angewiesen. In ihrem Buch Schiffbruch erzählt sie von diesem lebensumwälzenden Geschehen.

Was mich gleich eingangs sehr berührt hat, ist eine Form der Demut, die man eher selten erlebt. Wudy bedankt sich für all das Gute, das ihr seither widerfahren ist. Für Dinge, von denen sie weiß, dass sie nicht selbstverständlich sind. Dies und der Untertitel … und das Leben ist doch vollkommen deuten bereits das an, was sich im Buch noch genauer herauskristallisiert: Brissa Wudy hat sich von den Folgen ihres Unfalles nicht unterkriegen lassen. Das heißt nicht, dass sie nicht mental zu Boden gegangen ist. Auch wenn sie es nicht explizit schreibt, spürt man es mehrfach zwischen den Zeilen. Doch sie hat sich jedes Mal wieder aufgerichtet.

Da sie in ihrem Buch überwiegend auf die Zeit nach dem Unfall eingeht, kann man sich nur ausmalen, wie stark ihre Persönlichkeit, wie groß ihre Lebenslust oder wie ausgeprägt ihr soziales Engagement zuvor gewesen sein muss. Und in diesem Bereich hat sie keine Lähmung erfahren. Allerdings musste sie ihre Grenzen neu kennenlernen und definieren.

Schiffbruch … und das Leben ist doch vollkommen liest sich sehr flüssig, obwohl das Geschriebene nicht immer leicht und auch nicht konsequent linear aufgebaut ist. Die Autorin erzählt zum einen die fiktive Geschichte einer Gruppe Gestrandeter. Die pflegt auf einer einsamen Insel nicht nur ihre Wunden, sondern hält ebenso nach dem Leben außerhalb der Insel Ausschau, wie sie versucht, Gegebenes zu akzeptieren. Dabei wechselt Wudy die Perspektiven, lässt ihre LeserInnen immer wieder aus der Sicht eines anderen Schiffbrüchigen an den Ereignissen dort teilnehmen. Das Bild der einsamen Insel, die Machtlosigkeit der Gestrandeten nach dem Schiffbruch, ihre Sorgen, Nöte und Ängste aber auch ihre zarten Hoffnungen korrespondieren synonym mit dem, was Wudy zum anderen über sich selbst schreibt.

Wer eine autobiografische Erzählung über die erlittenen Verletzungen und die daraus resultierenden Behandlungen und expliziten Spätfolgen, erwartet, wird sehr schnell mit etwas anderem überrascht. Mit Wudys deutlich spürbarer spiritueller Einstellung etwa oder ihren philosophischen Betrachtungen verschiedener Dinge. Genauere Schilderungen über die Folgen ihrer Lähmung im täglichen Leben gehen darüber fast unter. Eher beiläufig erfährt man, wie sie nach einem Umzug in eine eigentlich barrierefreie Wohnung vom zuständigen Architekten hören muss, dass sie doch bloß aufstehen und wenige Schritte gehen muss, um in die überhaupt nicht barrierefreie Dusche zu gelangen. Nur ganz zaghaft blitzen solche Erlebnisse auf und werden sofort von etwas anderem übertüncht.

Verdrängung? Dieser Verdacht drängt sich durchaus auf. Manches im Buch kam mir zu distanziert vor. Fast, als ob Wudy sich selbst keinen genaueren Blick auf bestimmte Gedanken gestatten würde. Doch wesentlich öfter offenbart sich die Stärke einer Frau, die gelernt hat, sich in Krisenzeiten einem Schilfrohr im Sturm gleich bis zum Boden zu neigen und dann wieder aufzurichten. Allenfalls geknickt, aber nicht gebrochen. Die ihre Lebensfreude trotz allem nicht verliert, weil neben ihr auch ihre Freunde und Verwandten sie weiterhin als Frau und Mutter und nicht nur als Behinderte sehen. Genauso bezeichnend wie berührend fand ich in diesem Zusammenhang, dass sie dank und mit einer Freundin zu einer Bauchtanzgruppe stieß und ihre Freude am Tanzen wiederfand.

Wudy beschränkt sich in ihrem Buch aber nicht nur auf das Schildern ihrer Erlebnisse bzw. ihrer Reaktionen und Gefühle darauf. Sie macht sich auch Gedanken um andere. Versucht sich in diese im Bezug auf ihre eigene körperliche Einschränkung hineinzufühlen. Erklärungen für bestimmte Verhaltensweisen zu finden, ohne diese zu verurteilen. Gleichzeitig sieht sie immer noch andere Männer und Frauen, denen es offensichtlich deutlich schlechter geht als ihr selbst. Auch an den sich daraus ergebenden Gedanken lässt die Autorin ihre LeserInnen teilhaben.

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Man merkt dem Buch an, dass es geschrieben werden musste. Zur Bewältigung des Erlebten. Dennoch entstand auch ein Buch über den Wert einer positiven Lebenseinstellung. Eines, das den eigenen Blick auf das persönliche Umfeld verändern kann. Ein Buch, das zeigt, dass ein Schiffbruch im Leben nicht das Ende sein muss. Und dass neue (Lebens-)Wege, so unbekannt und erschreckend sie auch erscheinen mögen, immer noch Wege sind, die es sich zu beschreiten lohnt. Ein Buch, für das ich vier von fünf Punkten vergebe. Und eine Autorin, der ich an dieser Stelle und von ganzem Herzen weiterhin so viel Kraft und Lebensfreude wünsche.

Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)

25. März 2013

ADERHOLD, CARL: FISCHE KENNEN KEINEN EHEBRUCH

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Originaltitel: Les poissons ne connaissant pas l’adultère
übersetzt von Doris Heinemann
Blanvalet Taschenbuch Verlag
ISBN-13: 9783442380671
ISBN-10: 3442380677
Belletristik
Ausgabe 02/2013
Taschenbuch, 288 Seiten
Neupreis [D] 8,99 €

Verlagsseite

Es kommt nicht sehr häufig vor, dass Romantitel wörtlich übersetzt werden. Bei Aderholds Roman  Les poissons ne connaissant pas l’adultère, der 2011 zunächst als gebundene Ausgabe und 2013 bei Blanvalet als Taschenbuch veröffentlicht wurde, ist das jedoch der Fall. Dass der Roman von einem französischen Autor verfasst wurde, fiel mir allerdings erst auf, als ich das Buch aufblätterte und den Originaltitel entdeckte. Der 1963 geborene Autor und ursprüngliche Historiker lebt und arbeitet in Paris. Seinen 2007 erschienenen Bestseller Mort aux cons kenne ich nicht, denn Fische kennen keinen Ehebruch ist mein erster Roman von ihm.

Relativ bald kristallisierte sich heraus, dass der Roman nicht ganz so lustig-leicht ist, wie ich angesichts des etwas schräg klingenden Titels, der Covergestaltung oder der Inhaltsangabe vermutet habe. Stattdessen geht es um eine Frau, die ausbricht, um sich selbst zu finden. Die Wahrheiten ins Auge blickt, die sie bisher tunlichst übersehen hat.

Aderhold erzählt die Geschichte von Valerie, deren Leben festgefahren scheint. Die Supermarktkassiererin, die für Mann und Tochter alles macht, ohne Anerkennung dafür zu finden, bekommt von ihren Freundinnen eine Typberatung zu ihrem 40. Geburtstag geschenkt. Wohl niemand hat mit dem Effekt gerechnet, den das Ergebnis auslöst. Obwohl sie danach à la Julia Roberts ihr Umfeld verzaubert, nimmt zuhause niemand angemessen Notiz von ihrem veränderten Äußeren. Aus Frust und einer Laune heraus fährt Valerie am nächsten Morgen nicht wie gewohnt zur Arbeit. Stattdessen überrascht sie sich selbst damit, in den Zug nach Toulouse zu steigen. Eine Zugfahrt, die nicht nur ihr Leben verändern kann.

Ihre Mitreisenden bestehen aus zwei Paaren und einer älteren Frau. Der Autor wechselt immer wieder die Perspektive und lässt seine LeserInnen mal aus der Sicht der einen oder des anderen einen Blick auf das Geschehen werfen. Und das spielt quasi den gesamten Roman in dem Zug nach Toulouse. Valerie fühlt sich nicht erst dort begehrenswert, zumal sie nach einem Artikel, der anlässlich ihrer Typberatung in einer Frauenzeitschrift erscheint, von Wildfremden angesprochen und um Autogramme gebeten wird. Nicht nur die beiden Männer im Abteil flirten mit ihr. Deren Frauen sind davon natürlich weniger begeistert. Die alte Frau wiederum ist auf dem Weg zu ihrem Liebhaber, während ein Kontrolleur in seinem Beruf aufgeht und gleichzeitig ein verhinderter Revoluzzer ist. Es gibt noch weitere Figuren, die mehr oder weniger große Rollen spielen.

Während Aderhold von Liebe und Lebenskrisen schreibt, bedient er sich allerdings diverser Klischees, die er teils zu sehr aufplustert. Eins davon weist darauf hin, dass seine männlichen Charaktere eindeutig schöne und sinnliche Frauen zu bevorzugen scheinen, die nicht allzu anstrengend sind, egal was in ihrem Kopf so vorgehen mag (oder eben auch nicht).

Dabei lässt er Männer und Frauen (gedanklich und verbal) aufeinander losgehen. An und für sich normal wirkende Lebensfassaden beginnen zu bröckeln. Zarte neue (Liebes-)Hoffnungen keimen und Fragen und Zweifel machen deutlich, dass (nicht nur) Valerie am jahrelangen Ausharren bisheriger Situationen und Beziehungen zu ersticken droht. Die Reisenden lachen zusammen, weinen, betrügen und belügen sich und andere, träumen und erwachen, sammeln spontan für einen Schwarzfahrer, feiern miteinander. Die Charaktere sind leicht neurotisch, teils extravagant und bizarr. Stellenweise mehr oder weniger liebenswert wirken sie nicht konsequent real, aber auch nicht vollkommen unecht. Was ich sehr schön finde, ist die Zugreise als Symbol für Veränderungen, die im Leben aller in einem steten Fluss stattfinden. Für Begegnungen mit Neuem und Abschied von Altem.

Trotz der an sich guten Grundidee konnte mich das Buch nicht richtig fesseln. Ich habe es mehrmals begonnen und wieder weggelegt, weil ich mit dem Schreibstil des Autors nicht zurechtkam. Der in typisch französischer Manier viele, viele Details beschreibt und es dennoch schafft, recht oberflächlich zu bleiben. Der bei seinem Geschehen zwischen den Charakteren hin und her springt, und es mir dadurch erschwert, mich mit diesen anzufreunden. Was mich persönlich jedoch am meisten gestört hat, war der Umstand, dass Aderholds Figuren zwar genau beobachten und alles zu ergründen suchen, jedoch trotz einiger Aktionen nicht so richtig handeln. Dass lebendige Dialoge fehlen und die wenigen Gesprächsansätze durch indirekte Reden förmlich erschlagen werden, tut ein Übriges. Obwohl Aderhold einen typischen französischen Schreibstil pflegt, fehlt seiner Schreibe in diesem Roman die lebendige Leichtigkeit, die ich mit anderen französischen Autoren in Verbindung bringe. Der Roman plätschert unaufgeregt vor sich hin und zieht sich trotz der kurz gehaltenen Kapitel stellenweise.

Fazit: 03aperlenpunkte.jpg

Mit Fische kennen keinen Ehebruch hält man keine ganz alltägliche Geschichte in Händen. Kein Buch für LeserInnen die viel Handlung erwarten und lebendige Dialoge bevorzugen. Dafür eins, das einem etwas Durchhaltevermögen abverlangt und das weder vollkommen oberflächlich noch hochgeistig ist. Kein Buch, das man nebenbei lesen sollte, da dadurch eventuell Passagen entgehen, die daran erinnern, dass man selbst allzu häufig über bestimmte Dinge hinwegsieht. Für Aderholds Roman möchte ich drei von fünf Punkten vergeben, da zwei eindeutig zu wenig wären.

Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)

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