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16. April 2013

HOCKING, AMANDA: STERNENLIED – WATERSONG 01

366_hocking_watersongsternenlied.jpgOriginaltitel: Wake – A Watersong Novel
übersetzt von Violeta Topalova und Anja Hansen-Schmidt
Verlag: cbt
ISBN-13: 9783570161593
ISBN-10: 3570161595
Fantasy, Jugendbuch (ab 13 Jahren)
Serie: Watersong (Band 01)
1. Auflage 03/2013
Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag,
320 Seiten
Neupreis [D]: 16,99 €

Verlagsseite
Autorenblog englisch

AmandaHocking  ©-Mariah-Paaverud-Chimera-Studios

AmandaHocking
© Mariah-Paaverud-Chimera-Studios

1984 in Austin, Minnesota, geboren wurde die Erfolgsautorin Amanda Hocking. Alle Achtung kann man da nur sagen, respektive schreiben. Denn die Verfasserin von Fantasyromanen gilt derzeit als erfolgreichste Selbstverlegerin der Welt. Ihre E-Books wurden weit über 1 Million mal verkauft, was die ehemalige Altenpflegerin zur Dollar-Millionärin machte. Ebenfalls zu diesem Reichtum beigetragen hat der Verkauf der Filmrechte der Trilogie Die Tochter der Tryll. Aus Hockings Feder stammt auch die Buchreihe Unter dem Vampirmond, die dystopische Grafiknovelle The Hollows, der märchenhafte Roman Virtue und die Watersong-Quadrologie. Während in den Staaten nach Wake, Lullaby und Tidal bereits der vierte, abschließende Roman Elegy für August 2013 angekündigt ist, erschien im März die deutsche Übersetzung des Auftaktromans der Reihe unter dem Titel Sternenlied.

Das englische Cover wurde motivmäßig für den Schutzumschlag der deutschen Ausgabe übernommen. Das im Wasser befindliche Mädchen stellt, laut Autorenblog, die Hauptfigur Gemma dar. Was ich übrigens an diesem Umschlag besonders schön finde, ist der irisierende bzw. holografische Streifeneffekt, der an Lichtstrahlen unter Wasser erinnert. Außerdem ist besagter Schutzumschlag relativ stabil gearbeitet und wer ihn entfernt und umdreht, hält quasi ein Poster in der Hand.

Doch zurück zum Inhalt des Auftaktromans der Watersong-Quadrologie. Darin werden (nicht zum ersten Mal) Sirenen thematisiert. Die Faszination, aber auch die Gefahr, die von diesen mystischen Meerwesen ausgeht. Letzteres offenbart sich im Grunde bereits im Prolog. Gleichzeitig wird dabei aber auch deutlich, dass die Sirenen nicht unbedingt glücklich mit ihrem Schicksal sind.

Eine zwar nicht ganz unbekannte, aber nach wie vor spannende Grundidee, die Hocking da modifiziert hat. Dabei setzt die Autorin zwar auf differente aber nicht allzu komplexe Figuren. Sie bedient sich diverser Klischees und auch die Handlung ist nicht sonderlich tiefgründig oder durch eine rasche Entwicklung geprägt. Unterhaltsam ist ihr Roman aber allemal. Und trotz einer gewissen Eindimensionalität gelingt es Hocking, eine dichte Hintergrundatmosphäre zu schaffen.

Der Fokus in Sternenlied liegt auf Gemma und ihrer Schwester Harper. Nach dem einleitenden Prolog, der auf ein blutiges Ereignis verweist, ohne zunächst die Hintergründe zu offenbaren, lernt man die beiden näher kennen. Hocking lässt ihre LeserInnen an deren Gefühls- und Gedankenwelt teilnehmen und bietet einen Einblick in das ‚noch‘ normale Leben, das sie führen. Während Harper ruhiger, besonnener und verantwortungsbewusster wirkt, offenbart sich Gemma relativ aufgeweckt und sportlich ehrgeizig. Das Wasser ist eindeutig ihr Element. Sie liebt das Meer und kann sich ein Leben ohne nicht vorstellen. Dass ausgerechnet dort Gefahr lauert, ist deshalb natürlich umso fataler. Außerdem ist sie zum ersten Mal verliebt, in Alex. Da Harper sich um sie und ihren Vater kümmert, kann Gemma sich eigentlich ganz auf diese Dinge konzentrieren. Dann jedoch tauchen drei Mädchen auf, die genauso geheimnisvoll wie faszinierend wirken. Obwohl Harper sie vor Thea, Lexi und Penn warnt und Gemma auch spürt, dass etwas mit ihnen nicht stimmt, fühlt sie sich unaufhaltsam in deren Bann gezogen. Und bevor sie erkennen kann, was damit eigentlich auf sie zukommt, ist es bereits zu spät.

Insgesamt kommt die Autorin mit relativ wenig Figuren aus. Neben Harper und Gemma, Thea, Lexi und Penn gibt es Alex und Daniel (der ein Auge auf Harper geworfen hat). Typische Jungs von neben an, nicht sehr tiefgründig aber ganz nett. Die Liebesgeschichten, die zu einem an und für sich perfekten Sommer gehören, entwickeln sich sehr dezent und drängen zu keiner Zeit in den Vordergrund. Was in meinem Augen wiederum gut auf das anvisierte Zielpublikum passt. Es gilt dabei das eine oder andere Hindernis zu umschiffen und die Beteiligten gehen zaghaft und unsicher, aber glaubwürdig miteinander um. Insgesamt fügt sich dieser Erzählstrang sehr harmonisch und gut in die etwas spannendere Hintergrundgeschichte ein.

Obwohl diese sich zunächst nicht sehr temporeich entwickelt, fliegt man dank Hockings Schreibstil durch die kurz gehaltenen Kapitel. Leicht lesbar entwickelt sich sukzessive und gut nachvollziehbar die Bedrohungssituation. Und das, obwohl die Geschichte insgesamt wenig überraschende Wendungen und einiges an Vorhersehbarkeit bietet. Das wird allerdings etwas durch die nachvollziehbaren Handlungen der Figuren ausgeglichen. Sobald die drei fremden Mädchen auftauchen, zieht das Erzähltempo an. Dass man es hier nicht mit kleinen Meerjungfrauen im niedlich-netten Barbiestyle zu tun hat, macht ja bereits die Inhaltsangabe deutlich. Stattdessen lernt man Wesen kennen, die grausam sind und auch vor Mord nicht zurückschrecken. Prompt hält Hocking dann auch nicht mit blutigen und düsteren Passagen hinter den Berg, sodass ich persönlich (wie so oft bei Jugendbüchern) ein Problem mit der Altersfreigabe (ab 13 Jahren) habe.

Wie so oft in den Einzelbänden einer Buchreihe werden nicht alle Fragen beantwortet, die die Autorin in Sternenlied aufwirft. Doch da es eine Fortsetzung gibt, bleibt die Hoffnung, dass darin schlüssige Antworten gefunden werden.

Fazit: 04aperlenpunkte.jpg

Ein etwas zögerlicher und durchwachsener Auftaktroman. Hocking nimmt mystische Überlieferungen, würzt sie mit Fantasy und rundet das Ganze mit etwas Realität ab. Die spielerische Leichtigkeit einer aufkeimenden Teenagerliebe stellt sie der tödlichen Gefahr gegenüber. Die Erzählstränge sind dicht und harmonisch miteinander verwoben. Dennoch punktet Sternenlied nicht zwingend mit einem gleichmäßig hohen Spannungsbogen – trotz einiger härterer (und in meinen Augen für 13jährige grenzwertiger) Szenen. Doch das ist bei vielen Auftaktromanen so und deshalb nicht grundsätzlich schlecht zu bewerten. Tatsächlich zieht die Geschichte trotz der erwähnten Schwachpunkte ihre LeserInnen ganz unaufgeregt in ihren Bann. Sie hat Potenzial, und da sie weitergeht, bin ich bereits auf den zweiten Teil gespannt. Für den Auftakt der Watersong-Quadrologie möchte ich schwache vier von fünf Punkten vergeben.

Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)

22. November 2012

O’CONNELL, SEAN: DER AUSERWÄHLTE – Tir na nÓg 01

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Acabus Fantasy
ISBN-13: 9783862820399
ISBN-10: 3862820394
Fantasy, Science-Fiction
1.
Auflage 11/2011
Taschenbuch, 230 Seiten
[D] 13,90 € 

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Autorenseite 

Vor etlichen Jahren, meine Schwägerin und ich sahen uns im Kino Titanic an, hörte ich (glaube ich) zum ersten Mal von Tir na nÓg. Als ich bei Stöbern im Verlagsprogramm von Acabus Fantasy diese drei Worte las, fiel mir die entsprechende Filmszene sofort wieder ein. Das Schiff dem Untergang geweiht. Eine Frau mit ihren beiden Kindern, Passagiere der dritten Klasse, keine Chance von Bord zu kommen. Statt verzweifelt zu weinen und ihr Schicksal zu verfluchen, brachte die Frau ihre Kinder zu Bett und erzählte ihnen, ihre Gesichter streichelnd, die Geschichte von Tir na nÓg, was übersetzt etwa „Land der Jugend“ bedeutet, wie ich später herausfand.  

Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich habe das Buch jetzt gerade vor mir liegen, weil ich mich an diese Szene erinnert fühlte und – die Inhaltsangabe nicht weiter beachtend – davon ausgegangen bin, dass es um jene Geschichte geht. Mit der hat der Roman aber nicht wirklich zu tun und mit Titanic natürlich schon gar nichts. Das Cover erinnert mich übrigens bei genauerer Betrachtung an einen Western. Keine Ahnung warum. Vielleicht liegt es an den Sepiatönen, in denen es gehalten ist. Vielleicht an dem Mann mit dem großen Hut, der darauf auch abgebildet ist. Doch natürlich ist der erste Teil von Tir na nÓg – Der Auserwählte auch kein Western.  

Stattdessen entführt der in England geborene, in London und Lindau aufgewachsene und heute in Ravensburg/Weingarten lebende Autor seine LeserInnen in die Zukunft. Und wer nicht unbedingt ein gedrucktes Buch in Händen halten will, kann den Roman auch als Hörbuch oder E-Book erwerben.  

O’Connell studierte Deutsch, Philosophie, Kunst- und Medienwissenschaften, arbeitete als Radiomoderator, Zeitungsredakteur und in der Werbebranche. Mittlerweile ist der seit seiner Kindheit schreibende Autor in der Computerbranche tätig. Sein Lieblingsgenre sind Science-Fiction und Fantasy, beeinflusst werden seine Arbeiten von China Mie­ville, Jeff Noon, Kij John­son und Ian R. MacLeod. 

Ganz neu ist seine Idee nicht. Es geht wieder einmal um eine dem Untergang geweihte Welt, die durch einen Auserwählten gerettet werden soll. Dieser Auserwählte und die in Aussicht gestellte Rettung sind lange schon prophezeit, wobei der Retter erst einmal nichts von seiner Bestimmung weiß oder gar ahnt.  

Die Welt, die es zu retten gilt, scheint die unsere zu sein, wird doch etwa Bezug auf die alten Griechen genommen. Sie teilt sich in Nordlande und Südmeer, gleich eingangs des Buches findet man eine Karte, voller Ortsnamen und Gewässer, die es jedoch im Hier und Jetzt nicht gibt. Diese Welt wird im Buch sehr bildhaft beschrieben und stellt sich ein Jahrtausend nach der großen Katastrophe teils mittelalterlich, teils futuristisch, teils aus-dem-was-da-ist-das-Beste-machend dar.  

Die Hauptfigur ist Cornelis, der gerade 16 geworden, von einem Sammler, Meister Aki genannt, aus seinem bisherigen Leben geholt wird. Offiziell um ihm beim Sammeln von Informationen über die Vorgänge zu helfen, die letztlich zu der Katastrophe in der Vergangenheit geführt haben. Die Älteren, die noch davon wissen, machen mehr oder weniger ein Geheimnis daraus, Gerüchte und Halbwissen drohen in einen Krieg auszuarten.  

O’Connell verarbeitet in seiner Geschichte Mythen, Legenden, Magisches, Märchenhaftes. Figuren, die einem aus anderen Geschichten bekannt vorkommen. Dabei verzichtet er auf Vampire oder Werwölfe, die seit Längerem gerne verarbeitet werden, ebenso auf Elfen oder Ähnliches. Und obwohl seine Figuren und die Reise, die sie antreten, ideentechnisch betrachtet schon mehrfach verarbeitet worden sein mögen, gestaltet der Autor alles in einem ganz eigenen Stil. 

In O’Connells Zukunftswelt tummeln sich nicht nur Menschen, sondern Wesen aus verschiedenen Dimensionen. Es ist von den Anunnaki die Rede, jenen riesenhaften Wesen eventuell außerirdischen Ursprungs, deren Skelette den realen Medienberichten zufolge immer mal wieder anscheinend bei Ausgrabungen aufgetaucht und als Fake abgetan worden sind. Schon angesichts von O‘Connells Beschreibung ihres Kopfes/Gesichtes her kann man hier auf Außerirdische tippen, wenn sie auch abgesehen von ihrer Größe sonst den Menschen ähneln. Es gibt kleine Puppen, mit deren Hilfe sich die Anunnaki willenlose (Menschen-)Sklaven schaffen können. Es gibt Gestaltwandler, die sich in jede x-beliebige Form verwandeln können, aber nicht sehr gescheit sind. Die über Leichen gehen, um ihren Herzenswunsch erfüllt zu bekommen. Nicht zu vergessen die Insektoiden in Gestalt riesiger Gottesanbeterinnen, die Appetit auf Cornelis und Meister Aki haben. Es gibt Fanatiker und Fatalisten, scheinbar Allwissende und Unwissende, intrigante und hilfsbereite, stärkere und schwächere Charaktere. Unsterbliche gefällig? Auch die gibt es in O’Connells Geschichte in Form der gottgleichen Älteren. Sie leben auf Tir na nÓg, seit der Zeit der großen Katastrophe, geschützt durch ein energetisches Bollwerk. Jenes Bollwerk kann nur von jemandem mit dem passenden genetischen Code überwunden werden, dem Auserwählten. Spätestens jetzt wird klar, dass Cornelis nicht willkürlich von Meister Aki ausgesucht wurde.  

Der Schreibstil des Autors hat es mir erschwert, in die Geschichte einzutauchen. Das Buch beginnt in einem etwas unübersichtlichen, nicht klar abgegrenzten Mix aus Rückblenden und aktuellem Geschehen, nicht sehr mitreißenden Dialogen und zu ausführlichen Erklärungen. Hinzu kommen ein etwas naiver, eingangs eher mürrisch als sympathisch wirkender Hauptcharakter, der seine Bestimmung nicht so recht annehmen möchte, und sein teils zu belehrend wirkender Lehrmeister. Sehr schnell taucht eine große Zahl an Nebencharakteren auf, die es ebenfalls nicht erleichtern, in die Geschichte einzutauchen. Und wie in vielen Romanen ähnlicher Thematik werden viele ihrer Handlungsweisen eher präsentiert als logisch begründet aufgebaut. 

Mit dem Auftaktroman Der Auserwählte aus der Tir na nÓg-Reihe hat man also schon mal kein Buch zur Hand, das man einfach so nebenbei lesen kann. Bedauerlich fand ich auch, dass O’Connells Figuren in ihrer fantastischen und doch so bekannten Welt dann noch auf Schusswaffen angewiesen waren. 

Dennoch wollte ich, nachdem ich mich an den Schreibstil gewöhnt hatte, wissen, wie es mit Cornelis und seinen Mitstreitern, aber auch mit den Widersachern weitergeht. Was sich hinter dem Großen Tier versteckt, das anscheinend für das Ende unserer (?) Zivilisation und einen Neuanfang sorgte. O’Connell deutet vieles an, lässt aber genauso vieles offen, was darin begründet sein dürfte, dass es einen zweiten Teil gibt, der bereits auf dem Markt ist. Sieht man von den ersten zwei, drei Kapiteln ab, haben mir die sehr bildhaften Beschreibungen gefallen, ließen sie doch ein klares Bild der Welt entstehen, in der Cornelis sich auf seine beschwerliche Reise macht. Außerdem hat mir der Metamorph einen neugierig machenden Schauer über den Rücken gesandt.  

Fazit: Man muss sich an den Schreibstil von O’Connell gewöhnen und sollte grundsätzlich einen Lesegeschmack haben, der sich etwas abseits gerade marktüblicher Fantasygeschichten entfaltet. Dann jedoch wird man mit einer Geschichte belohnt, die sich wohlwollend vom Gros abhebt und fantastische mit realen Elementen, Zukunftsfiktion mit Tatsächlichem, Altes mit Neuem verknüpft. Einem durchwachsenen Auftaktroman, der bei genauerem Überlegen vielleicht doch mehr mit der eingangs erwähnten Geschichte zu tun hat, als ich anfangs dachte, wenn auch nur im übertragenen Sinn. Dem ich drei von fünf Punkten geben möchte und der mich trotz der erwähnten Schwächen neugierig auf die Fortsetzung gemacht hat.  

Copyright © 2012, Antje Jürgens (AJ)

19. November 2012

HARTMAN, RACHEL: SERAFINA – Das Königreich der Drachen

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Originaltitel: Seraphina
aus dem Amerikanischen übersetzt von Petra Koob-Pawis
cbj
ISBN-13: 978-3570152690
ISBN-10: 3570152693
Fantasy, Jugendbuch/All-Age
1. Auflage 11/2012
Hardcover mit Schutzumschlag, 512 Seiten
[D] 17,99 €

Verlagsseite

Autorenseite (englisch) 

Mit dem im Juli 2012 bei Random House veröffentlichten Fantasy-Jugendbuch Seraphina debütierte die 1972 in Lexington, Kentucky, geborene Schriftstellerin Rachel Hartman. Zumindest im Bereich Jugendbuch/Fantasyroman, denn Comic-Fans ist sie vielleicht bereits seit Ende der 1990er-Jahre ein Begriff. Von ihr stammt die Serie um Amy Unbounded, die 1998 mit dem Ignatz Award for Best Minicomic ausgezeichnet wurde. Hartman lebt und arbeitet heute nach Aufenthalten in Chicago, Philadelphia, St. Louis, England und auch Japan in Vancouver. Nach eigenen Angaben beeinflussen Pratchett, Eliot, Wynne Jones und/oder McMaster Bujold ihre Arbeiten und zu Seraphina inspirierte die seit ihrer Kindheit Cello spielende Autorin das Renaissancelied „Mille Regretz“.  

Ihr Debütroman, der dank cbj in deutscher Übersetzung seit November 2012 auf dem Buchmarkt erhältlich ist, wurde in der Übersetzung von Seraphina zu Serafina. Auch das Cover wurde gänzlich anders gestaltet und der eine oder andere Kritiker hat sowohl daran wie auch an der Übersetzung im gesamten herumgemäkelt. An Charme verloren hat in meinen Augen jedoch weder die Hauptfigur Serafina noch die Geschichte an sich.

Serafina – Das Königreich der Drachen entführt LeserInnen in eine Welt, in der Drachen neben Menschen existieren. Dank eines Friedensvertrages sogar teils direkt unter ihnen. Allerdings nicht im Reich der Drachen in den Nordlanden, wie der Titel vermuten lässt. Die Beschreibung ihrer Welt kommt sogar relativ kurz. Man erfährt, dass sie eine Regierung haben, über großes Wissen verfügen, strikten Regeln und Vorschriften unterworfen sind. Obwohl ihnen Gefühle fremd sind, sind sie nicht per se Einzelgänger. Auch die unter den Menschen in den Südlanden lebenden, forschenden, ja teils pädagogisch tätigen Drachen nicht. Allerdings haben sie das Problem, dass sie in ihrer Menschengestalt Gefühle entwickeln. Wer die und die damit verbundenen Erinnerungen nicht freiwillig löschen lässt, wird rigide bestraft.  

Der eigentliche Handlungsort sind die Südlande. Diesen Teil der Welt beanspruchen die Menschen für sich, teilen ihn jedoch mit einigen Drachen in Menschengestalt. Eine Königin und ihr Hofstaat herrschen über die Menschen, Drachen werden größtenteils von Drachen überwacht. Das Leben dort scheint dem Mittelalter vergleichbar. Es gibt keinen modernen technischen Schnickschnack. Eine ganz eigene Welt also, die der unseren in vielen Dingen dennoch überaus vergleichbar ist. Und das bezieht sich auf das Verhältnis Mensch-Drache, das auf jede Minderheit übertragen werden könnte.  

Der vermeintliche Friede, der zwischen den beiden so ungleichen Spezies herrscht, ist brüchig bis stark gefährdet. Je näher die Feierlichkeiten zum Jubiläum des Friedensvertrages rücken, desto schlimmer wird es. LeserInnen dürfen nach dem Prolog, der sich um Serafina selbst dreht, ab dem Moment daran teilnehmen, in dem die Beisetzungsfeierlichkeiten für ein Mitglied der königlichen Familie stattfinden. Gerüchten zufolge soll ein Drache soll Prinz Rufus getötet haben. Ganz sicher ist dies jedoch nicht, denn die Söhne von St. Ogdo sind gegen den Friedensvertrag und genau wie abtrünnige Drachen auf Krieg aus. Und so kurz vor den Feierlichkeiten tut rasche Aufklärung not.  

Musik kommt in Serafina nicht zu kurz. Die Hauptfigur des Romans lebt quasi für dafür. Nicht nur im Bezug darauf beweist die Autorin, dass sie ihren Bachelortitel in Komparativer Literatur zurecht trägt. Serafina ist Halbwaise. Ihre Mutter ist bereits seit Langem tot, das Verhältnis zum Vater gespalten. Mit ihrem außergewöhnlichen Talent ist sie für den Hofkomponisten tätig und sowohl für den musikalischen Teil der Begräbnis- als auch für den der Jubiläumsfeierlichkeiten zuständig. Dabei sollte sie sich eher dezent im Hintergrund halten, angesichts des Geheimnisses, das sie hegt. Das Mädchen ist im Grunde genommen etwas, das es gar nicht geben dürfte. Sie versteht die menschliche wie auch die Sprache der Drachen, hat einen wesentlich tieferen Einblick als andere und muss dennoch zunächst hilflos verfolgen, was geschieht. Das Mädchen wird seit Längerem von Visionen heimgesucht, die ihr Leben nicht unbedingt erleichtern und die sich zunehmend als Erinnerungen herausstellen. Sie hegt einen Garten voll seltsamer Wesen und Gestalten, der anscheinend nur in ihrem Kopf existiert. Ja, Serafina ist eindeutig nicht so normal, wie es auf den ersten Blick scheint. Ihrem Onkel und Lehrer Orma kann sie sich zwar dann und wann anvertrauen, doch Verständnis findet sie bei ihm nur bedingt.  

Nach und nach erfahren die LeserInnen nicht nur, was genau es mit Serafina auf sich hat, sondern lernen ihre stärker werdende Persönlichkeit kennen. Darüber hinaus können sie verfolgen, wie sie genauso zarte wie verbotene Gefühle für den Hauptmann der Garde, Mitglied der königlichen Familie und Verlobten der Thronfolgerin, Lucian Kiggs, entwickelt. Der ermittelt in dem Mordfall an seinem Onkel und versucht mit Serafina die Intrige aufzuklären, die sie hinter dem feigen Mordanschlag vermuten. Dabei weiß er nicht, was er von Serafina halten soll und noch weniger von dem bereits erwähnten Geheimnis. Gleichzeitig spürt er, dass sie einiges verbindet.  

Hartman zeigt einmal mehr, dass man weder eine brandneue Idee noch einen bahnbrechend umwerfenden Plot braucht, um einen fesselnden Roman zu schreiben. Denn tatsächlich ist die nicht ganz unbekannte Grundidee relativ einfach gehalten. Was mir an diesem Roman so gut gefallen hat, sind die Bezüge, die die Autorin zur realen Welt darstellt. Es geht um Ablehnung, Ausgrenzung, Fremdenhass, elitäres Denken. Einsamkeit, Verständnis, Anerkennung. Aber auch um Freundschaft und Versöhnung. Sie mischt Fantasy, Märchen und Fabeln mit dem normalen Leben. Überaus geschickt zeichnet sie dabei auch ihre Figuren wohltuend normal. Ohne exorbitante Fähigkeiten meistern sie ihr Schicksal und haben dabei Probleme, Ängste, Sorgen und Hoffnungen wie wir. Fehler und Denkweisen entstehen teils aus Erfahrungen und die sind nicht immer schön. Die Neugier auf die jeweils andere Spezies, die Angst vor dem eigentlich trotz seiner Allgegenwärtigkeit vorhandenen Unbekannten, all das wird schlüssig verwoben und schafft eine dichte und authentische Atmosphäre.  

Was etwas behutsam beginnt, offenbart sich sukzessive und immer klarer erkennbar als eine Geschichte, die aktuelle wie historische und rein fiktive Elemente verbindet. Das alles in einer Welt, in der die Monster äußerlich nicht immer zwingend monströs sind. In einer fantastischen Welt, der jedoch die Bezüge zum Jetzt und Heute nicht fehlen. Und mit Charakteren, zu denen man leichten Zugang findet. Nicht nur im Bezug auf Serafina, die trotz ihrer Andersartigkeit liebenswert ist und mit ihrer Intelligenz und ihrem bisweilen schnellen Mundwerk lebendig wirkt. Sie erzählt Serafina – Das Königreich der Drachen im übrigen und haucht auch den übrigen Figuren, wie etwa Prinz Lucian, der Thronfolgerin, dem Hofkomponisten oder auch Orma Leben ein. Beschreibt sie teils sympathisch und liebenswert, teils genau gegenteilig.  

Der Zauber der Geschichte entfaltet sich trotz des variierenden Erzähltempos recht schnell. Mehrmals nimmt die Autorin das Tempo etwas zurück, widmet sich genaueren Erklärungen, und steigert es anschließend wieder. Vieles wird in Form von lebendigen Dialogen erklärt. Mal wirft man einen Blick in die Vergangenheit, mal in die Zukunft, mal weilt man damit in der Gegenwart. Immer hat es die Autorin geschafft, die Handlungsfäden schlüssig zu verknüpfen. Auch dies trägt dazu bei, die Atmosphäre lebensecht zu gestalten. Mehr als einmal lenkt Hartman ihre LeserInnen unauffällig von dem Pfad ab, den ihre Figuren doch eigentlich ganz gradlinig beschreiten; führt gedanklich in die Irre oder bestätigt, dass man zuvor eher auf dem Irrweg war.  

Fazit: Der angenehme Sprachstil und einige humorvolle Sequenzen helfen über kleinere Längen hinweg, in denen Hartman zu sehr auf das Thema Musik eingeht. Trotz des mehr oder wenigen offenen Endes verliert sich kein Handlungsfaden unangenehm im Nichts. Sehr praktisch sind das Glossar und das Personenverzeichnis ganz hinten im Buch. Dort habe ich auch den Hinweis gefunden, dass es weitere Bände geben soll. Und auf die warte ich überaus gespannt, nachdem ich für Hartmans gelungenen Auftaktroman Serafina – Das Königreich der Drachen vier von fünf Punkten geben möchte.  

Copyright © 2012, Antje Jürgens (AJ)

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